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Rezension zu
Die Glücklichen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Lebensträume...

Von: parden
27.04.2015

Während man vom Kind zum Erwachsenen heranreift, findet man immer mehr darüber heraus, wer man eigentlich ist, und trifft Entscheidungen, um Lebensentwürfe zu realisieren. So auch Isabell und Georg, ein junges Paar mit einem kleinen Kind. Sie fühlen sich wohl in ihrem Beruf - sie ist eine begabte Cellistin, er ein erfolgreicher Journalist - und haben gerade den Traum von einer kleinen Familie verwirklicht. In ihrem Stadtviertel voller Flair und der Altbauwohnung, in der Isabell bereits als Kind gewohnt hat, genießen sie das Leben zu dritt, nichts scheint wichtiger als die geregelten Abläufe, die Verbundenheit miteinander. Doch ein kleiner Missklang schleicht sich ein, als Isabell nach der Geburt ihres Sohnes wieder im Orchestergraben sitzt. Als sie ihr Solo spielt, beginnen ihre Hände zu zittern - winzig beim ersten Mal, doch mit jedem Auftritt ärger. Gleichzeitig mehren sich die Gerüchte, der Verlag würde Georgs Zeitung verkaufen. Plötzlich scheint nichts mehr sicher. ... nimmt dann das Cello und vergewissert sich, dass sie ohne Probleme, ohne den Hauch eines Zitterns spielen kann; ihre Fähigkeit ist unbeschädigt, ihre Hände sind gesund, wenn sie für sich allein spielt. Dann ist alles möglich, ist alles eine Suche, sie und das Cello wachsen zusammen, werden zu einem Organismus mit einem Kreislauf aus Ruhe und Kraft, aus Bewegung und Klang. Doch im Theater kehrt die Angst zurück, jeder Abend ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, kein unkontrolliertes Zittern, nein, es kommt auf den Punkt genau, wenn sie verwundbar ist. (S. 79) Isabell lässt sich krankschreiben, verliert das Engagement am Theater, und Georg muss sich ebenfalls nach einer neuen Stelle umschauen, nachdem die Zeitung verkauft ist. Gleichzeitig wird nach umfassender Sanierung des Hauses die Miete erhöht. Der Druck und die Verunsicherung wachsen. Isabell spricht nicht über ihr Problem, hat Sorge, dass das Zittern real wird, sobald sie es benennt, hofft, es gehe so vorüber, zieht sich in sich zurück. Georg fühlt sich zunehmend als Versager, der seine Familie nicht versorgen kann, die Alternativen scheinen reizlos, kein anderer Job, kein anderes Haus zumutbar. Was geschieht, wenn Lebensträume platzen? Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räume ein. Früher haben er und Isabell das oft gemeinsam gemacht. Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, geschmackvolle Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen (...) lässt ihn seine Nachbarschaft im Stich. Sie stößt ihn davon. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sagen alle dasselbe: Wir können, du nicht. (S. 200 f.) Isabell, die das kommende Unheil nicht wahrhaben will, trotzig Einkäufe tätigt wie zu den Zeiten, als das kein Problem war, so lange es eben noch geht. Und Georg, der zu rechnen beginnt, zum sparsamen Mahner wird, Discounter nun statt Bioladen. Ängste, Schuldgefühle, Unsicherheit - und über allem die Sprachlosigkeit. Es fehlen die Worte, die eine gemeinsame Lösung finden lassen könnten, die Verständnis für die Situation des anderen bringen würden, die wieder eine Gemeinsamkeit entstehen lassen könnten. So irrt jeder einzeln für sich wie ein Trabant durch die Unsicherheit, isoliert sich immer mehr, fühlt sich unverstanden und am Rande des Erträglichen. Das stark geglaubte Familienband zerfasert, droht zu zerreißen, in den Abgrund der Scherben der Lebensentwürfe zu trudeln. Sie verachtet seine Vernunft und nimmt ihm seinen Mangel an Eitelkeit übel. Eine gewisse Eitelkeit, die verhindert, dass sie sich den miesen Umständen vorauseilend anpassen, dass sie eins werden mit den miesen Umständen, dass sie diese Umstände eigentlich erst heraufbeschwören. (S. 224) Kristine Bilkau wählt in ihrem Debütroman eine distanzierte Erzählweise, lässt den Leser abwechselnd aus der Sicht Isabells und Georgs an den Geschehnissen teilhaben. Dabei legt sie in glasklarer Sprache Gefühle und Gedanken auf den Seziertisch, so dass der wachsende Druck, die zunehmende Sprachlosigkeit, der Verlust der Hoffnung trotz der distanzierten Sicht der Dinge greifbar, spürbar werden. Neben den sehr authentischen Charakteren präsentiert Kristine Bilkau darüber hinaus mit der Infragestellung von Lebensentwürfen ein Thema, das auch den Leser mit einbezieht. Jeder kann seiner Situation entsprechend etwas aus der Erzählung herauslesen, für sich als wesentlich und bedeutsam herausfiltern, wird dazu verführt, sich mit Themen und Fragen des Lebens zu beschäftigen. Ich frage mich, wie lange es hier so weitergehen kann. Ich fühle mich wie unter Wasser. Ich tauche, ich halte die Luft an, eine Weile wird es noch gehen, aber ich weiß, lange halte ich es nicht mehr durch. (S. 195) Ein melancholisch gestimmter Roman, der aber nicht in die Hoffnungslosigkeit abgleitet, sondern eine Perspektive bietet, der Titel durchaus passend gewählt. Für mich eine überraschende Entdeckung, die ich hiermit sehr gerne weiterempfehle! © Parden

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