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Rezension zu
Das Paradies meines Nachbarn

Außerordentlich grandioser Roman über das Sein und das Bewusstsein, über Schuld und Schicksal.

Von: Koreander.net
02.03.2020

Was für ein grandioser Roman. Schon lange hatte ich nicht mehr so einen WTF-Moment wie bei dieser großartigen Geschichte. Die entscheidenden Seiten musste ich tatsächlich mehrere Male lesen, um sie vollends auf mich wirken zu lassen und um die Qualität dieser Erzählung angemessen würdigen zu können. Zugegeben, ich hatte Schwierigkeiten in den Roman reinzukommen. Die Welt der hippen Produktdesigner mag zwar treffend beschrieben sein (wer weiß das schon) aber Identifikationspotenzial bietet sie für mich nicht. Im Kern geht es um drei sehr unterschiedliche Iraner. Einer lebt noch in Teheran, einer ist seit seiner Jugend in Deutschland, ehemaliger Kindersoldat, nun Top-Designer, vermögend und in jeder Hinsicht erfolgreich, ein Musterbeispiel der Integration und der Dritte ist Halb-Iraner, in Deutschland geboren und gefangen im Hamsterrad des Alltags. Die Drei kennen sich nicht und doch wird das Schicksal sie zusammenführen. „Salam, hier schreibt Ali-Reza. Ich kannte ihre Mutter gut und verfüge über einen Brief, den ich Ihnen überreichen soll. Es ist wichtig. Für Sie mindestens so sehr wie für mich.“ Ebrahimi schafft es, die Geschichte des Iran, als nachfühlbare Lebensgeschichte dreier Individuen zu verarbeiten. Karl Marx nannte es „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“. In der Soziologie heißt es „Die Sozialstruktur bedingt die Persönlichkeitsstruktur“. Und Goethe schrieb: „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist.“ All dies bedeutet nichts anderes, als das wir unserer Herkunft nicht entfliehen können bzw. dass diese unser Ich unsere Identität prägt. Die gesellschaftlichen Bedingungen formen uns. Ob wir das nun wollen oder nicht. Wir verändern uns natürlich, wenn wir uns mit anderen Menschen umgeben, wenn wir unsere Ursprungsgesellschaft verlassen (müssen), wenn wir migrieren oder flüchten. Aber unser Charakter bleibt dennoch geprägt durch die früheren Erfahrungen. Ob man es nun Schicksal nennt oder (persönliche) Geschichte. Um noch einmal Marx zu zitieren: „Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Es ist leicht einsehbar, dass sich Menschen entsprechend dieses Ensembles unterschiedlich entwickeln. Wie verlaufen Biographien mit unterschiedlichen Voraussetzungen? Was passiert nach Schicksalsschlägen oder Turning Points? Wie verändern sich die Lebenswege und die Menschen, die diesen Verhältnissen ausgesetzt sind? Was bewirkt der Zufall und welchen Einfluss hat er auf die Identität von Menschen? Was treibt die Menschen dazu sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten? Und tragen Sie für ihr Verhalten die Verantwortung, sind gar Schuld? All diese Fragen verwebt Ebrahimi zu einer spannenden und vor allem nachdenkenswerten Geschichte. Dabei ist nicht nur der Plot außerordentlich gelungen, auch die Beschreibung der Psyche, der Innere Dialog der Protagonisten, fesselt durch Glaubwürdigkeit. Lest „Das Paradies meines Nachbarn“, wenn ihr euch hiervon angesprochen fühlt: „Über das Fremde in uns selbst und über die Verantwortung, die wir für andere haben.“ Lest den Roman, wenn euch der Iran interessiert, euch die Psyche von Menschen, ihre Identität fasziniert oder ihr einfach mal wieder von einer Geschichte richtig überrascht werden wollt.

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