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Rezension zu
Roter Hunger

Holodomor

Von: Kerstin von KeJas-BlogBuch
19.09.2019

Sachbücher, egal um welches Thema, lese ich eher „hinter den Kulissen“, nur für mich und seltensten bespreche ich diese hier. „Roter Hunger“ hatte ich allerdings im Bloggerportal entdeckt und angefragt, da diese Thematik, auch durch die jüngsten Vorgänge in der Ukraine, mich sehr neugierig machte. Es passte zu ein paar Romanen, die ich vor kurzem gelesen und gehört habe und ich wollte einfach mehr wissen. Von Gusel Jachina kannte ich schon „Suleika öffnet die Augen„, eine Geschichte über eine tatarische Bäuerin und deren Schicksalsweg mit all den anderen von Stalin Verbannten. Vor kurzen dann „Wolgakinder„, dessen Schilderungen, zum Leben des Lehrers Bach und vor allem die historischen Hintergründe um und aus diesem kleinen Ort an der Wolga, die mich immens faszinierten. So wollte ich mehr wissen, mehr über dieses einst riesige Land Sowjetunion, der deutlich kleineren Ukraine, der Geschichte, die mir damals in der Schule viel zu kurz abgehandelt vorkam und über die Menschen, deren Schicksale irgendwo in der Masse untergingen. Dieses Sachbuch ist eine sehr gelungene Aufklärung über die einstige Abspaltung der Ukraine und deren Folgen für Land und Leute. Schon das Vorwort ist äußerts umfangreich und mit der Einleitung „Die ukrainische Frage“ kommt man diesem Land immer näher. Dem eigentlichen Inhalt um eben diesen Holodomor (ukrainisch Голодомор, wörtliche Übersetzung: Tötung durch Hunger) in den Jahren 1932/33 nähert man sich Seite für Seite, in denen es immer mehr zu erfahren gibt. Die ukrainische Revolution 1917, daran beteiligte Personen und Folgen für das ganze Land werden für ein Sachbuch typisch geschildert. Jahreszahlen, Orte, Begebenheiten, alles findet seinen Weg in das Buch und Anne Applebaum lässt all dies auf einen wirken, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte. "…aber Lebensmittel sind auch eine Waffe." Seite 49 Getreide, das Grundelement für die Nahrungsversorgung der Menschen. Bei mir ist noch das Wort „Kornspeicher“ hängen geblieben, womit die Masse an Getreidefeldern und der damit verbundenen Fähigkeit Unmengen an Menschen zu versorgen gemeint war. Doch was, wenn es nicht mehr genug gibt, auch weil eben nicht mehr genügend Menschen da sind um die Ernte einzubringen oder es zu Zwangsabgaben kommt, womit der einheimischen Bevölkerung letztendlich nichts mehr bleibt. Der Weg dorthin war nicht schleichend sondern schnell gegangen. Aus dem einstigen Zarenreich war eine Diktatur um Lenin und dem darauffolgenden Stalin geworden. Revolutionen gab es viele. Umsiedlungen und Verbannungen sorgten für Angst und Schrecken. Im Buch erliest man sich immer wieder die Willkür mit denen Politkommissare und deren Handlanger vorgingen. Ignoranz gegenüber dem leidenden Volk und der immer schlimmer werdenden Hungersnot. Die Rede vom „Krieg“ und dem „Feind“ im eigenen Land ist erschreckend zu erlesen, genau wie die Zwänge und Gesetze mit denen alles immer schlimmer wurde. "Wer sich weigerte Getreide zum festgelegten Preis an den Staat zu verkaufen, würde festgenommen und vor Gericht gestellt werden.(21*)" Seite 120 – *21= Iswestija ZK KPPS Die Gliederung des Buches ist sehr übersichtlich. Auf jeder Seite erkennt man wo man sich gerade befindet. Durch die, in der Kopfzeile, benannten Kapitel und jeweiligen Überschriften ist es ein leichtes sich zurecht zu finden. Bei allen im Buch vorkommenden Zitaten, Gesetzesvorlagen, Bestimmungen oder Überliefertem lässt sich anhand einer kleinen Kennnummer im Anhang die Quelle dazu finden. Ich habe sehr oft hin und her geblättert, nachgeschlagen und nachgelesen. Somit ist dieses Sachbuch keines, das mal eben schnell gelesen wird, die Komplexität darinnen ist enorm. Die Autorin behält sich einen sehr nüchternen, sachlichen Ton vor. Es gibt aber Unmengen an Zitaten und Schilderungen von Augenzeugen, die dermaßen unter die Haut gehen. Der Holodomor hat fast 4 Millionen Tote gefordert. Menschen aller Altersstufen, die elendig verhungerten. In ihren Häusern, auf den Straßen und Feldern. Ganze Familien die ausgelöscht wurden und aufgrund mangelnder Kraft der Überlebenden oftmals in Massengräbern landeten. Viele der Schilderungen geben auch wieder, was für Folgen diese Hungersnot, neben dem qualvollen Tot, hatten. Kriminalität um die Beschaffung von Essen, Furcht vor dem Nachbarn, der mitbekommen könnte, dass da noch ein Brot im Haus liegt und ein gegenseitiges Meucheln um ebendieses. Auch ist Kannibalismus ein Thema in dieser schrecklichen Zeit und wird ebenfalls durch die Berichte dargestellt. Ich war mehr als einmal „froh“ das es keine Emotionen im Buch gab, sondern dieser sachliche Ton beibehalten wurde. Dagegen empfand ich es als sehr moralisch ehrenvoll, dass die Autorin immer wieder Namen einfließen lies. Namen der Toten und Opfer, dieser von Menschen hervorgerufenen Katastrophe. Namen die vielleicht längst vergessen sind, vielleicht auch weil niemand mehr da ist um sich zu erinnern, aber durch dieses Buch letztendlich nicht vergessen werden. "Es gibt keine Anzeichen, dass überhaupt irgendetwas unternommen wurde. Die Berichte wurden verfasst und von den Funktionären in Empfang genommen, dann abgeheftet und vergessen." Seite 330 Die Angst vor den Eintreibungsbrigaden und die Gewalt gegenüber denen, die ihre Lebensmittel versteckten um irgendwie zu überleben, ist genauso Bestandteil im Buch, wie die Ignoranz der politisch Verantwortlichen. "Die Hungersnot und ihre Folgen hinterließen schreckliche Spuren. Doch obwohl die Wunden noch da sind, versuchen Millionen Ukrainer…sie zu heilen." Seite 449 Ein so umfangreiches Werk habe ich noch nie gelesen. Unwahrscheinlich informativ und erschreckend zugleich. Es hat mir sehr vieles aus der ukrainischen Geschichte näher gebracht, erklärt und verständlich gemacht. Rezension verfasst von © Kerstin ★★★★★

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