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Rezension zu
Gespräche mit Freunden

Unaufdringliche, tiefgründige und witzige Prosa!

Von: Buchberührung
15.08.2019

Ich war überaus gespannt, die neue literarische Stimme der englischsprachigen Literatur kennenzulernen. Ich fragte mich, ob mich das Debüt von Sally Rooney genauso einnehmen würde, wie andere LeserInnen zuvor auch. Die ersten Zeilen las ich daher am Meer, dort ist bekanntlich alles viel schöner, alles besser, alles aufregender. Vor allem ein Buch! Sally Rooney, so sagt man, habe ein Wunderwerk vollbracht. Ihr erster Roman sei extrem vielschichtig und besäße eine solche Sogkraft, dass es einen buchstäblich umhaue. Zadie Smith verneigt sich vor ihr. Ich werde es sicher auch tun, denke ich. Ich bin unentschlossen, wo genau ich ansetzen soll, deswegen ähnelt dieser Text eher einem persönlichen Eindruck als einer professionellen Rezension. Der Roman von Rooney ist die fortwährende Szene einer vielverzweigten Diskussion. Vier Figuren, zwei Paare, eine Hauptprotagonistin: Frances ist 21, Studentin und lesbisch – mit Bobbi (Geschichtsstudentin) – bis sie Nick trifft und bisexuell wird. Nick (Schauspieler) ist mit Melissa (Fotografin) verheiratet, die wiederum findet Bobbi attraktiv. Die Truppe lernt sich auf einem Poetry Slam-Abend kennen, wo Frances und Bobbi auftreten. Der Roman stellt diese Personenkonstellation in den Mittelpunkt des Geschehenes, ebenso wie die sich zwischen ihnen abspielenden intellektuellen Unterhaltungen, und die damit aufkommenden Gefühle. Das Stück lotet Potentiale zwischen Personen aus, erprobt „was so alles geht“, wenn Streit und Neid, Eifersucht und Schmerz, Leid und Liebe ineinandergreifen und die einzelnen Figuren einzeln und miteinander in diesem Gefühlskosmos wandern lassen. Die sensible Frances – die zufälligerweise (oder auch nicht?) der tollpatschigen Versagertänzerin Frances Ha aus dem gleichnamigen Film von Noah Baumbach zwillingshaft ähnelt – figuriert dabei als Projektionsfigur des Romans, die dieses komplexe Emotionschaos verstärkt durchlebt und vor allem für die Leserschaft minutiös reflektiert. Rooney hat mit ihr eine unabhängige und experimentierfreudige Figur erschaffen, die ihre traumatische Kindheit und den Aufstieg aus der sog. „Arbeiterklasse“ durch neue soziale Verbindungen, körperliche Selbstverletzungen und viel Nachdenken zu verarbeiten sucht. In den intelligenten und zum Teil traurig komischen Gesprächen geht es um Politik, Kunst und Beziehungen – zu sich selbst und zu anderen. Muss man einen alkoholkranken Vater lieben? Darf man anders sein als die eigenen Eltern? Ist es erlaubt, der/dem Ex auf ewig nachzutrauern und deswegen zukünftige eigene Beziehungen zu sabotieren? Kann man einen verheirateten Menschen aufrichtig lieben ohne den Drang zu haben, dessen Ehe zerstören zu wollen? Muss man zwangsläufig dessen EhepartnerIn hassen, obwohl diese/r eigentlich liebenswürdig und zuvorkommend ist? Wird man unheilbar krank, wenn man sich moralisch falsch verhält? Ist es deshalb angeraten, doch an einen Gott zu glauben? Was ist mit Selbstliebe? Muss man alles sagen, was man denkt? Und warum sind heutige Depressionen die Spätfolge des globalen Kapitalismus? Muss man auf „hart tun“, weil man am Weltgeschehen droht, zugrunde zu gehen? Oder darf man weinen, auch beim Sex? Sally Rooneys Figuren arbeiten sich an dieser Art von unbeantwortbaren, philosophischen Fragen ab. Als Teil der Generation Y hinterfragt Rooney mit ihnen, wie ökonomische, politische und soziale Umwelten unser Denken prägen, welchen physischen und mentalen Folgen dieser Entwicklungen wir ausgesetzt sind und wie wir mit ihnen in der Öffentlichkeit und heimlich umgehen. Der Roman ist dabei auf eine äußerst kluge Weise Kritik an diesem globalen Gesellschaftssystem, indem es am Ende nur einer Tatsache Raum schenkt: Wahre katharische Heilung gibt es wohl nach wie vor nur im Arm eines Anderen, oder etwa nicht? Ganz herzlichen Dank an der Verlag!

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