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Rezension zu
Die Verängstigten

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Die Bestie Mensch

Von: Clamara
22.10.2018

In ihrem Roman "Die Verängstigten" zeichnet die syrische Autorin Dima Wannous ein verstörendes Psychogramm der Angst in Assads Syrien Seit der Assad-Clan sich mit dem Vater des heutigen Herrschers in den 60er Jahren an die Macht putschte und seine Diktatur durch die allumfassende Geheimpolizei konsolidierte, herrscht in Syrien die Angst. Die Angst vor allem und jedem. Die Angst vor der Ausgrenzung, der Brutalität, der Denunziation, vor Spionen und Mördern, Gefängnis, Folter und Tod. Und vor allem: Die Angst vor der Angst, gepaart mit einem schwindelerregenden Tablettenkonsum. Wie sich diese Angst auf die Menschen und ihre Beziehungen auswirkt, fasst Dima Wannous eindrucksvoll in Worte. Geschickt mischt sie Fiktion und Familiengeschichte, um persönliche und syrische Traumata aufzuarbeiten. Die Liebesgeschichte der von Panikattacken geplagten Protagonisten Sulaima und Nassim, die bezeichnenderweise in einer psychotherapeutischen Praxis ihren Anfang nimmt, legt sich wie eine Klammer um das Geschehen. Wer nach einer klaren inhaltlichen Struktur sucht, wird ein wenig verzweifelt im Labyrinth der vielen Personen, Informationen und verschwimmenden Zeitebenen herumirren. Richtig so! Auch der erzählerische Kniff, die Kapitel aus Nassims unvollendetem Roman, den er Sulaima vor seiner Flucht zur Lektüre überließ, Sulaimas jeweiligen Kommentaren dazu gegenüberzustellen, trägt perfekt zu dem Bild des sich auflösenden und sich stets suchenden Selbst der Protagonistin mit bei. Von dem Gedanken an ein klassisches Ende muss sich der Leser ebenso lösen. So wie Nassims Roman, in dessen Protagonistin Sulaima sich zunächst selbst zu erkennen glaubt, unvollendet bleibt, so wie für Syrien-Konflikt und Flüchtlingsströme derzeit keine Lösung in Sicht ist, wäre jedes Ende, das den Leser auch nur ansatzweise zufrieden entlässt, gänzlich unangemessen. Was dem Roman an struktureller Klarheit zu fehlen scheint, macht er durch einen von Larissa Bender kongenial ins Deutsche übertragenen ungewöhnlich ausdrucksstarken und bildhaften Stil wett. Wenn die Autorin eine Person beschreibt, tut sie dies so detailliert, dass man diese unweigerlich vor sich zu sehen glaubt. Wenn sie über menschliche Beziehungen, die Liebe und den Tod philosophiert, fühlt man sich in eigene Erfahrungen zurückversetzt. Wenn sie Angstzustände, Alpträume und Wahnvorstellungen mit professioneller Präzision analysiert, fühlt man sich als Leser in die jeweilige Figur förmlich hineingezogen. Am wichtigsten aber erscheint mir der Einblick, den wir in die Heimat, Kultur und Gesellschaft unserer syrischen Mitbürger und deren Fluchtmotive gewinnen, aus dem sich hoffentlich ein vertieftes Verständnis für die Situation der vielen bei uns lebenden Syrer und Syrerinnen ergibt. Wenn Dima Wannous ihre Protagonistin über den unversöhnlichen Hass zwischen Alawiten und Sunniten berichten lässt, der zum Bruch von Familien und Freundschaften, zu Todesdrohungen unter Verwandten und Bekannten führt und dem Bürgerkrieg zugrunde liegt, dann verstehe ich plötzlich, was es für sie bedeutet, meine beiden syrischen Nachbarsfamilien, dass sie - sunnitisch die einen, die anderen alawitisch - gemeinsam in ein Haus gesteckt wurden. Und ich verstehe ein bisschen mehr, warum sie nicht miteinander reden. Fazit: Ein starkes Stück Zeitgeschichte, dass man aushalten muss. Keine Bettlektüre und nichts für schwache Nerven. Ein unbedingt empfehlenswertes und wichtiges Buch mit einem gelungenen, syrisch inspirierten Cover.

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