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SPECIAL zu Jed Rubenfeld »Morddeutung«

Was war zuerst da: die Idee, Sigmund Freud zur Romanfigur zu machen, oder der Wunsch, einen Kriminalroman zu schreiben – kurz gesagt: Wie fing alles an?
Jed Rubenfeld: Alles begann, würde ich mal sagen, mit dem sensationellen Erfolg meines letzten Fachbuches mit dem Titel Revolution by Judiciary, das 2005 erschien. Dieses Werk hat sich meines Wissens stolze sechs Mal verkauft – einschließlich der vier Exemplare, die von Mitgliedern meines engsten Familienkreises erworben wurden. Wenn man in einer Disziplin derart brilliert, fühlt man sich natürlich ermutigt, sich der nächsten zuzuwenden.

In Wirklichkeit hatte ich einfach großes Glück. Wie Sie wissen, hatte ich vorher noch nie auch nur eine Seite Belletristik verfasst. Aber mir kam die Idee zu einem Roman, und diese Idee wirbelte rein durch Zufall viel Staub in der Verlagswelt auf.

Ausgangspunkt dieser Idee ist das bis heute ungelöste Rätsel um Freuds Reise in die Vereinigten Staaten im Jahre 1909 – seinen einzigen Besuch in Amerika – um eine Reihe von Vorlesungen an der Clark University zu halten. Diese Reise war nach allen objektiven Maßstäben ein Triumph. Freuds Vorlesungen waren ausgezeichnet besucht und es wurde begeistert mitgeschrieben. In den kommenden Jahren sollte die Psychoanalyse die amerikanische Psychiatrie praktisch vollständig übernehmen. Und doch kehrte Freud bis zu seinem Tod nie mehr in die Vereinigten Staaten zurück; er sprach von seinem Besuch dort, als hätte er Narben bei ihm hinterlassen, machte ihn verantwortlich für seine gesundheitlichen Gebrechen und bezeichnete die Amerikaner als „Wilde“, „Primitive“ und „Kriminelle“. Für Freud-Biographen ist das ein echtes Rätsel. Es gab sogar Spekulationen, ob ihm dort etwas zugestoßen sein könnte – ein uns nicht bekanntes Ereignis, das die Heftigkeit seiner mit dem Besuch in Amerika verbundenen Gefühle und seine misstrauische Feindseligkeit gegenüber dem Land erklären könnte.

Die Idee, die mir kam, war einfach. Was, wenn wir uns vorstellen würden, dass Freud während seiner Woche in Manhattan in einen Fall verwickelt wurde – einen „Fall“ im doppelten Sinne eines psychoanalytischen und eines Mordfalls? So entstand Morddeutung.


Sie sind Professor für Verfassungs- und Strafrecht in Yale. Warum haben Sie sich so intensiv mit Sigmund Freud beschäftigt?
Jed Rubenfeld: Na ja, die Juraprofessoren in Yale sind ein bisschen eigen. Es gibt hier eine Tendenz, über sehr breite Themen zu schreiben. Was mich betrifft, so lese und schreibe ich schon sehr lange über Freud. Zum Beispiel habe ich Freud auch in meinem Buch Freedom and Time diskutiert.


Was hat Ihnen mehr Spaß gemacht bzw. mehr Kopfzerbrechen bereitet: die Geschichte zu entwickeln oder die historischen Details zu recherchieren?
Jed Rubenfeld: Beides gleichermaßen.


Wenn Sie jemals die Gelegenheit bekämen, Sigmund Freud persönlich zu treffen – worüber würden Sie mit ihm reden, was würden Sie ihn fragen?
Jed Rubenfeld: Ich würde ihn fragen, warum Menschen vom Unglück genauso häufig und stark angezogen werden wie vom Glück.


Hätten Sie selbst gern um 1900 in New York gelebt, so wie es in Ihrem Buch beschrieben wird?
Jed Rubenfeld: Nein – so ganz ohne Klimaanlage.


Was für Quellen haben Ihnen dabei geholfen, das alte New York so lebendig zu beschreiben, wie es Ihnen in Morddeutung gelungen ist? Wie lief die Recherche ab?
Jed Rubenfeld: Ich habe unzählige Stunden mit Recherche verbracht. Ich wollte noch das winzigste zeitgenössische Detail in Morddeutung bis hin zur Farbe der Holzverkleidung der Taxis historisch exakt gestalten. Die Recherche war wirklich faszinierend. Ich habe bestimmt tausende von Zeitungsartikeln und hunderte von Büchern gelesen. Die wichtigste Quelle für mich waren zweifellos online verfügbare alte Zeitungsarchive, deren Datenbanken man per Volltextsuche durchforschen kann. Diese alten Zeitungen sind einfach unschätzbar wertvolle historische Fundgruben, und für das, was man heutzutage in einer halbstündigen Suche herausbekommt, hätte man früher ein Jahr gebraucht. Gleichzeitig ist diese halbstündige Suche heute auch noch genauer und umfassender.


Ihr Protagonist Stratham Younger ist eine der wenigen fiktiven Figuren in Morddeutung. Wie würden Sie seine Persönlichkeit beschreiben?
Jed Rubenfeld: Sie haben Recht, viele Figuren im Buch sind historisch: Freud, Jung, der Bürgermeister von New York City, George McClellan, Dr. Charles Dana, Harry Thaw und so weiter. Aber die zentralen Figuren – Stratham Younger, Jimmy Littlemore, Nora Acton, George und Clara Banwell – sind alle fiktional. Ihre Hintergründe und Persönlichkeiten sind sehr unterschiedlich. Morddeutung versucht, ein Bild von New York City im Jahre 1909 zu zeichnen, das seine verblüffende Vielfalt und Energie einfängt: die atemberaubende Geschwindigkeit in der die Wolkenkratzer gebaut wurden, der Strom neuer Einwanderer, das Klappern der Pferdehufe, die von hupenden, schlingernden Automobilen überholt wurden, die Armen und die Reichen, der Zusammenprall unterschiedlicher Religionen, die Korruption, die Sexskandale, die beinahe jeden Tag in den Schlagzeilen waren, die Transformation der reichen New Yorker „High Society“ von einem „blaublütigen“ Haufen überwiegend holländischer Abstammung in das Zusammenspiel von Geld, Macht und Prominenz, das sie noch heute kennzeichnet. Im Prinzip wurde im New York des Jahres 1909 die moderne amerikanische Gesellschaft geboren. Die Stadt selbst ist eine der Hauptpersönlichkeiten des Buches. Was allerdings Younger im Besonderen betrifft, fürchte ich, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Es wäre, als würde man versuchen seine eigene Persönlichkeit zu beschreiben.


Was würden Sie Ihren Lesern bezüglich der Funktion von Shakespeare/Hamlet im Roman sagen?
Jed Rubenfeld: Der ursprüngliche Titel für Morddeutung (im Original The Interpretation of Murder) lautete The Name of Action – die letzten Worte des Hamlet-Monologs „Sein oder nicht sein“. Das zeigt, wie zentral das Shakespeare-Thema für mein Buch ist, auch wenn es im Endeffekt nicht viele Seiten einnimmt. Ich will hier nicht zu viel verraten, aber gegen Ende des Romans werden die Leser auf ein neues Verständnis von Hamlets berühmtem Monolog stoßen. In gewissem Sinne geht es in dem gesamten Buch um diese Neuinterpretation von „Sein oder nicht sein“.

Übrigens ist es kein Zufall, dass in einem Buch über Freud und die Psychoanalyse Shakespeare vorkommt. Hamlet war für Freud sehr wichtig. In Die Traumdeutung schrieb er darüber, und er ermutigte seinen Schüler Ernest Jones dazu, seine Thesen in einem Artikel und später in einem ganzen Buch auszuarbeiten. Im Prinzip war Freud der Ansicht, dass die meisten berühmten westlichen Mythen und literarischen Werke die Richtigkeit der Psychoanalyse bewiesen, welche wiederum allein in der Lage war zu erklären, worum es in jenen Mythen und literarischen Werken tatsächlich ging. Darum nannte Freud den Ödipuskomplex den Ödipuskomplex; und nur der Ödipuskomplex konnte laut Freud den Hamlet erklären. Den gesamten Roman hindurch ringt mein Protagonist Stratham Younger mit Freuds Interpretation von Hamlet.


Werden Sie auch das Drehbuch schreiben?
Jed Rubenfeld: Ich fürchte, Warner Brothers wäre nicht so begeistert, wenn das Skript von jemandem ohne jegliche Erfahrung im Drehbuchschreiben verfasst würde.


In welcher Phase der Filmproduktion befindet sich das Studio im Moment?
Jed Rubenfeld: Es ist noch viel zu früh, um das Wort „Produktion“ zu verwenden. Warner Brothers hat die Filmrechte zu Morddeutung im September 2006 gekauft, nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Romans in den Vereinigten Staaten. Es gibt noch nicht mal ein Drehbuch.


Gibt es Vorbilder (andere Schriftsteller), die Sie beeinflusst haben?
Jed Rubenfeld: Um die Atmosphäre des Jahres 1909 in New York einzufangen, besonders innerhalb der Oberschicht, habe ich mich stark an Henry James und Edith Wharton orientiert. Was das arme New York der Einwanderer anbelangt, musste ich mich anderweitig umsehen. In der Hinsicht waren historische Quellen sicher wichtiger als Romanautoren, obwohl E.L. Doctorow hilfreich war. Von den zeitgenössischen historischen Krimis fand ich Der Dante Club von Matthew Pearl großartig zu lesen.


Welche fünf Bücher sollte man Ihrer Meinung nach auf jeden Fall einmal im Leben gelesen haben?
Jed Rubenfeld: Ich kann Ihnen eine willkürliche Liste einiger meiner Lieblingsbücher anbieten:
• Bester Roman, den ich je gelesen habe: Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit;
• Lustigstes Buch: unentschieden zwischen Joseph Hellers Catch-22 und Glück für Jim von Kingsley Amis;
• Bewegendster Roman, den ich in jüngerer Zeit gelesen habe: Was vom Tage übrigblieb von Kazuo Ishiguro;
• Bestes Buch, das ich meinen Töchtern vorlese: Philip Pullman, Der Goldene Kompass.


Dürfen sich Ihre Leser auf weitere Romane von Jed Rubenfeld freuen?
Jed Rubenfeld: Lustig – mein Verlag stellt mir dieselbe Frage. Ich wünschte, ich könnte sie beantworten.