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Interview mit Doireann-Ni-Ghriofa

Geschichte ist der Pulsschlag meiner Arbeit

Ein Gespräch mit Doireann Ní Ghríofa von Rhian Sasseen THE PARIS REVIEW Juni

IM WERK DER IRISCHEN Schriftstellerin Doireann Ní Ghríofa begegnet man Geschichte als etwas Amorphem, etwas Lebendigem, das immer wieder ins Leben von Menschen in der Gegenwart dringt oder darin für Brüche sorgt. »Die Vergangenheit zerfällt in Stücke / die Ereignisse verschwimmen«, heißt es in dem vorangestellten Mina Loy-Zitat, mit dem Ní Ghríofas sechster Gedichtband To Star the Dark beginnt, erschienen Anfang dieses Jahres. In Ein Geist in der Kehle, einem Hybrid aus Autofiktion und Essay, zuerst bei Tramp Press in Dublin erschienen und jetzt in den USA bei Biblioasis, schreibt sie: »Es kann einem schwindlig werden, wenn man sich über so lange Zeiträume hinweg in Texte aus der Vergangenheit versenkt, und es ist nicht immer ein rein vernünftiges Unterfangen; je länger man der Vergangenheit auf den Fersen ist, desto ungewöhnlicher erscheinen die Zufälle, die man entdeckt.«

Meine Einführung in Ní Ghríofas Werk geschah durch Ein Geist in der Kehle, und seitdem habe ich dieses Buch immer wieder zur Hand genommen und über die Fragen nachgedacht, die es thematisiert: Geschichte, Mutterschaft, Obsession und die Durchlässigkeit von Zeit, Ort und Identität. Das Buch verknüpft Ní Ghríofas furchtbare Erfahrungen bei der Geburt und dem Beinahe-Verlust ihres vierten Kindes mit dem Leben von Eibhlín Dubh Ní Chonaill, einer irischen Adligen aus dem 18. Jahrhundert, die nach der Entdeckung ihres ermordeten Ehemanns mit ihren Händen sein Blut schöpfte, trank und danach ein bemerkenswertes Klagelied über diesen Verlust verfasste. »Als wir uns zum ersten Mal begegneten«, schreibt Ní Ghríofa, »war ich ein Kind, und sie schon seit Jahrhunderten tot.« Was folgt, ist eine Liebeserzählung über die Jahrhunderte. Sie handelt davon, wie Ní Ghríofa sich akribisch und hingebungsvoll der Übersetzung des »Caoineadh Airt Uí Laoghaire« widmet, und den Recherchen zu dem weitgehend im Dunkeln liegenden Leben von Ní Chonaill.

Das folgende Gespräch fand Anfang April 2021 über Zoom statt, ich war in meinem Wohnzimmer in Brooklyn und Ní Ghríofa in ihrem Haus in Cork. Selbst auf dem Bildschirm strahlt Ní Ghríofa Wärme und Offenheit aus; immer wieder springt sie während des Gesprächs auf, zieht Bücher aus dem Regal und liest Stellen aus Gedichten vor, um einzelne Punkte zu veranschaulichen. Irland hatte zu dieser Zeit wegen der COVID-19-Pandemie gerade den vierten Monat eines harten Lockdowns hinter sich, in New York wurde die erste Impfkampagne angekündigt. Viel hat sich seitdem in beiden Ländern verändert – Beschränkungen wurden gelockert oder aufgehoben, und während die Zeit verstreicht, stellt sich das seltsame Gefühl ein, dass auch dieser Moment der globalen Krise und Angst in einigen Teilen der Welt allmählich zu Geschichte wird.

Ein Geist in der Kehle ist Ihr erstes Buch in Prosa. Wie kam es zu Ihrer Entscheidung für diese Form?

Es fühlt sich so an, als habe sich die Form für mich entschieden. Wenn ich über den Schreibprozess nachdenke, über die handwerkliche Seite des Schreibens an diesem Buch, stelle ich mit Erstaunen fest, wie oft ich das Buch selbst als die treibende Kraft empfand, nicht mich selbst. Ich hatte das Gefühl, dass es mir zeigte, in welcher Form es geschrieben werden musste, und da es mein erster Prosatext ist, war das für mich sehr ungewohnt. Ich hatte beim Schreiben immer wieder das Gefühl, dass ich das Ganze eigentlich stärker unter Kontrolle haben müsste, aber jedes Mal, wenn ich mich gegen diese eigenwillige, natürliche Form der Entfaltung sträuben wollte, wurde ich rasch eines Besseren belehrt. Das Buch fand zu sich selbst, als ich dieses Gefühl, alles unter Kontrolle haben zu müssen, loslassen konnte. Ich weiß selbst, wie frustrierend es ist, wenn ich als Autorin Interviews lese, in denen andere ihren Arbeitsprozess genau so beschreiben. Wenn Autor*innen Sachen sagen wie: »Diese Figur wollte einfach sie selbst sein«, dann kann das sehr unbefriedigend sein, aber es ist einfach die Wahrheit über die Entstehung dieses Buches. Es hat auf sich selbst bestanden.

Es klingt fast so, als seien Sie von dem Buch besessen gewesen, als habe es Sie besessen.

Ein bisschen. Ich bin immer etwas unsicher, wie offen ich darüber sprechen sollte, wie seltsam und verwirrend der Schreibprozess war, weil es laut ausgesprochen wirklich merkwürdig klingt. Aber es fühlte sich alles viel weniger seltsam an, als ich unter seinem Bann stand. Dieses Buch bestand mit großer Vehemenz auf sich selbst, und manchmal habe ich mich fast ohnmächtig gegenüber diesem Drang gefühlt. Ich glaube, dass das etwas sehr Seltenes ist, eine solche Erfahrung, und ich mich wirklich glücklich schätzen kann, dass mein erster Prosatext auf diese Weise zu mir kam.

Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Ich arbeite meistens an mehreren Sachen gleichzeitig. Während der Arbeit an Ein Geist in der Kehle habe ich auch meinen letzten Gedichtband To Star the Dark geschrieben. Es ist also gar nicht so leicht, genau zu sagen, wie lange ich für Ein Geist in der Kehle gebraucht habe. Immer wenn ich bei einem Buch nicht weiterkam, bin ich zum anderen gewechselt. Sie wurden also parallel geschrieben. Für mich ist das eine sehr befriedigende Art zu arbeiten.

In beiden Büchern verschwimmen die Grenzen zwischen Geschichte und Gegenwart – der neue Gedichtband beginnt mit dem erwähnten Mina Loy-Zitat, und in einem weiteren Gedicht schreiben Sie darüber, wie Sie auf das Foto des Mädchens aus dem Jahr 1888 blicken: »Ihre Hand hat Bestand nur noch in Pixeln, dieses Mädchen / das durch den Sehnerv ankommt, um eine Weile / in meinem Geist zu leben.« Welchen Einfluss hat Geschichte auf Ihre Arbeit?

Ich habe das Gefühl, dass wir erst im Laufe eines künstlerischen oder schriftstellerischen Lebens zu verstehen beginnen, welches unsere Hauptanliegen sind, und bei mir ist die Geschichte der Pulsschlag meiner Arbeit als Künstlerin. In all meinen Büchern, in all meinen Gedichten kehre ich immer wieder zu unserem Gefühl für die Vergangenheit zurück, und zu den Fragen, die die Vergangenheit an uns stellt, und zu unseren Versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben, einfach durch unsere lokale Verankerung, in die wir jeweils geboren wurden. Vielleicht ist das der Grund, warum mich diese Zeile von Mina Loy so sehr bewegt hat – »die Vergangenheit zerfällt in Stücke / die Ereignisse verschwimmen« –, weil ich dieses Gefühl des Bruchs ähnlich empfinde, dieses Mosaik der Vergangenheit mit seinen scharfen Kanten, und das Gefühl des Verschwimmens und der Unschärfe und die Art und Weise, wie Geschichte manchmal etwas ganz Unmittelbares hat. An einer Stelle in Ein Geist in der Kehle schreibe ich darüber, wie real sich Eibhlín Dubh Ní Chonaill für mich anfühlt – »so real wie der Hund, der hinter unserer Hecke heult«, so real wie »der menschliche Chor des Internet«. Wir mögen diese Dinge nicht sehen, auf einer oberflächlichen Ebene sind sie für uns nicht sichtbar, aber wir sind uns ihrer Präsenz und ihres Gewichts in unserem Leben bewusst, und so fühlt sich für mich Geschichte an, so real.

Wenn man jetzt noch an einem Ort wie Irland aufwächst und dort Tag für Tag sein Leben verbringt, dann wird man regelmäßig mit der Geschichte dieses Landes konfrontiert, mit den Ruinen, den Brüchen und den scharfen Kanten, mit den verschiedenen Versuchen von Menschen, diese Geschichte zu erzählen, Zusammenhänge herzustellen und ein stimmiges Bild zu entwerfen, und der Möglichkeit, diese überlieferte Geschichte in Frage zu stellen und ein eigenes Verständnis dafür zu entwickeln. Ich habe nie dieses Gefühl einer fast kindlichen Begeisterung oder Faszination für die Vergangenheit verloren, mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat. Ich vermute, dass es einfach zum Erwachsenwerden gehört, sich darüber bewusst zu werden, dass die Wege und Straßen unserer Heimatstadt über viele Generationen hinweg von unzähligen Menschen beschritten wurden. Man gewöhnt sich vermutlich daran, sein eigenes Leben zu leben, ohne dass diese anderen Leben allzu sehr ins eigene Bewusstsein dringen. Bei mir ist das anders, ich habe mich nie wirklich daran gewöhnen können. Es erscheint mir so merkwürdig und gleichzeitig so interessant, dass diese vielen anderen echten Menschen an denselben Orten wie ich ihr Leben gelebt haben. Das, denke ich, ist der Boden, auf dem meine Arbeit gedeiht, und hier in Irland lässt sich solchen Gedanken auch kaum entkommen, weil man ständig auf sichtbare Erinnerungen an die Vergangenheit stößt. Man geht vor die Tür und stolpert direkt über irgendeinen archäologischen Überrest aus der Vergangenheit.

Irland ist ein Land voller Geschichte.

Genau. Besonders in unserer Generation gibt es ein großes Interesse an der jüngeren Geschichte Irlands und ihren dunkleren Seiten, wie das Leben der Menschen kontrolliert wurde und wie schlecht man sie behandelt hat, die Institutionen, die man dafür schuf, wie Staat und Kirche bei der Unterdrückung von Menschen zusammwirkten und wie das Erbe dieser Politik bis heute fortwirkt, zum Beispiel in einem System wie dem der Direct Provision für Asylsuchende. Das sind Dinge, die die Menschen im heutigen Irland wirklich beschäftigen, und man sieht, wie sehr sie sich für Veränderungen einsetzen, aber es ist ein langer Weg.

In Ihrem Buch wird auch sehr viel Wert auf die gelebten Erfahrungen von Frauen gelegt, und Sie richten sich sehr stark an Leserinnen. Mehrmals verwenden Sie den Satz Dies ist ein weiblicher Text und beziehen ihn auf das Buch selbst, auf den Körper, auf so viele Dinge.

Das erste Mal kam mir der Satz in den Sinn, als ich mit meiner Tochter, wie an einer Stelle im Buch beschrieben, nach Hause fuhr, nachdem wir Kilcrea Abbey besucht hatten, einen Ort, an dem auch Eibhlín Dubh Ní Chonaill Zeit verbracht hatte. Der Satz ging mir ab da im Kopf herum wie ein Ohrwurm oder ein Popsong aus dem Radio. »Dies ist ein weiblicher Text.« Ich verstand zunächst aber nicht, was er bedeutete. Als wir zu Hause waren, musste ich ihn aufschreiben, und dann fragte ich mich das immer wieder, während ich an diesem Buch schrieb: Was ist ein weiblicher Text?

Wenn ich jetzt auf das Buch zurückblicke, fällt mir an diesem Refrain vor allem auf, dass es ein weiblicher Text heißt. Die Betonung scheint mir wichtig, weil es ein weiblicher Text ist – nur ein weiblicher Text unter vielen. Es gibt so viele verschiedene Arten im Leben von Frauen, sich weiblich zu fühlen. In meinem Fall heißt das: Ich konnte nur versuchen, auszudrücken, was ich aus der Perspektive einer weißen, in Irland lebenden cis-Frau aus der Mittelschicht als einen weiblichen Text wahrnehme. Auch nach dem Schreiben des Buches will ich so viel wie möglich über die vielen, vielen anderen Versionen dessen erfahren, wie weibliche Texte gesehen, empfunden, gelebt und interpretiert werden können.

Zur Erfahrung zu stehen, eine Frau zu sein, ihr Ausdruck zu verleihen wie in meinem Buch, ist in Irland allerdings ziemlich radikal, da irischen Frauen schon seit Ewigkeiten ein tiefes Gefühl von Scham eingepflanzt wird. Die Entscheidung, ein Buch mit dem Satz »Dies ist ein weiblicher Text« zu beginnen und zu beenden, selbstbewusst und ohne Scham, hat also etwas Riskantes. Ich bereue es nicht im Geringsten, hoffe aber auch, dass ich darauf aufbauend noch andere Vorstellungen davon entwickeln werde, was es bedeuten kann, ein weibliches Leben zu führen.

Diese Vielfältigkeit ist auch im Text sehr präsent. Ich finde es spannend, dass dies Ihr Ausgangspunkt war, die Frage, was Frau-Sein in aller Vielfältigkeit überhaupt ausmacht.

Ich finde es interessant, diese Neugier auf die Vielfältigkeit, auf das, was ein Leben als Frau bedeutet, in den Prozess des Schreibens eines Buches einfließen zu lassen, und am Ende des Prozesses immer noch sagen zu können: Ich verstehe es nicht ganz.

In dem Buch gibt es mehrere Dichotomien – Muttermilch und Blut zum Beispiel, oder die zweier Sprachen –, aber Sie lassen es immer wieder ineinander übergehen. Es gibt diese Übersetzung, die Jahrhunderte überspannt. Können Sie etwas über die Arbeit an der Übertragung von Eibhlín Dubh Ní Chonaills Gedicht erzählen? Da Sie vorher schon Ihre eigenen Gedichte aus dem Irischen ins Englische übersetzt haben: Unterscheidet sich Ihr Verfahren beim Übersetzen eigener Gedichte und der Gedichte Anderer?

Ja. Bei der Arbeit daran hat sich herausgestellt, dass das zwei sehr unterschiedliche Verfahren sind. Ich glaube, ich stehe auch als literarische Übersetzerin noch ganz am Anfang. Bislang habe ich nur meine eigenen Gedichte übersetzt, dazu das lange Gedicht von Eibhlín Dubh Ní Chonaill, abgedruckt am Ende von Ein Geist in der Kehle, und das gesamte lyrische Werk einer irischen Dichterin namens Caitlín Maude. Für mich ist das eine sehr interessante Erfahrung, und ich war überrascht, wie unterschiedlich ich beim Übersetzen meiner eigenen Gedichte und der Anderer vorgehe. Manchmal verwundert es mich richtig, um ehrlich zu sein, denn wenn ich eigene Gedichte übersetze, scheint es mir fast so, als würde ich das als Gelegenheit nutzen, eine frühere Version von mir selbst zu überarbeiten, indem ich genau zuhöre, was ich vor vier Jahren zu sagen versucht habe, und dann versuche, es als die, die ich jetzt bin, noch einmal zu sagen, in einer anderen Sprache. Manchmal frage ich mich, ob eine frühere Version von mir, wenn sie mir jetzt beim Übersetzen zusehen könnte, Einwände hätte. Mit anderen Worten: Beim Versuch, meine irischen Gedichte in die englische Sprache zu hüllen, neige ich zu großer Experimentierfreude. Schon die Formulierung, »in die englische Sprache zu hüllen«, ist eine sehr irische Beschreibung des Übersetzens. Im Irischen würde es »Béarla a chur ar« heißen, ich übersetze also direkt vom Irischen ins Englische, wenn ich das sage – so als würde ich den Mantel einer Sprache über einen anderen ziehen. Wenn ich aber die Gedichte anderer Dichterinnen übersetze, empfinde ich ein starkes Gefühl der Verbundenheit, der Spannung, und allergrößten Respekts. Ich tendiere mehr zur Texttreue. Aber was bedeutet das, Treue zum Original in der literarischen Übersetzung?

Das ist eine gute Frage.

Jede Frage hier wirft verschiedene weitere auf.

Vielfältigkeit!

Eben. Wenn ich die Werke anderer Dichterinnen übersetze, gehe ich sehr zögerlich und gewissenhaft vor. Wenn ich dagegen meine eigenen Gedichte ins Englische übersetze, gehe ich Risiken ein, springe zur Seite und schlage hier und da ein Rad. Ich habe das Gefühl, dass ich mir diese Schnörkel zugestehen darf, weil es meine eigene Arbeit ist und ich mir mehr erlauben kann.

Mein Buch Lies erschien zweisprachig, und bei der Übersetzung vom Irischen ins Englische habe ich viel herumgespielt. Ich habe kleine Spuren für die Leser*innen gelegt. In einem Gedicht kommt eine Uhrzeit auf der Anzeige einer Digitaluhr vor. In der einen Sprache schreibe ich 01:37, und in der Übersetzung auf der gegenüberliegenden Seite wird daraus 01:38, sodass diese Ziffern auf sich gegenseitig verweisen, und wenn eine Leserin oder ein Leser nicht beide Sprachen spricht, dann wirkt das wie ein Fingerzeig, ein Wink, oder ein kleiner Funke, der der Verschiebung Rechnung trägt, wenn ein Gedicht von
einer Sprache in die andere wechselt.

Ich verstecke solche Spuren sehr oft in meinen Texten.
Die kurze Antwort auf Ihre Frage lautet also, dass ich bei der Übersetzung von Gedichten anderer Dichterinnen sehr vorsichtig und gewissenhaft vorgehe, die Übersetzung meiner eigenen Gedichte aber als Gelegenheit nutze, herumzuspielen. Manchmal fühlt es sich fast wie ein Remix an, wenn ich ein Gedicht von mir übersetze, ich nähere mich dem Gedicht dabei noch einmal mit einem ganz anderen Blick. Und das fühlt sich ziemlich aufregend an.

Lesen Sie gerade etwas, das Ihnen gefällt?

Ich liebe amerikanische Lyrik. Ich habe mit Ende zwanzig angefangen zu schreiben und mein Handwerk durch Lesen gelernt, was ich jedem empfehle, der nicht die Möglichkeit hat, einen Master of Fine Arts zu machen. Man kann sich das Schreiben auch von zu Hause aus beibringen, sehr gut sogar. Ich habe es so gemacht. Es macht sogar wahnsinnig viel Spaß, weil man empfänglich wird für Stimmen auf den Seiten eines Buches und dem Gefühl, dass Sie kleine Feuerwerke für einen bereithalten.

Wenn man Bücher gefunden hat, die man mag, kann man immer wieder zu ihnen zurückkehren, und jedes Mal werden sie weitere Überraschungen für einen bereithalten. Ein Buch, das bei mir gerade auf dem Nachttisch liegt, ist Collected Works von Lorine Niedecker. Ich weiß, dass sie bei Ihnen auf der anderen Seite des Atlantiks eine geschätzte Autorin ist, aber hier spricht kaum jemand über ihre Gedichte; für mich war das wie der Sprung in einen kühlen Pool. Bei meinem Exemplar haben fast alle Seiten abgeknickte Ecken, als Markierung wichtiger Stellen.

Lorine Niedecker lese ich also, wieder und wieder. Ein anderes Buch, das ich sehr liebe, ist Stay, Illusion von Lucie Brock-Broido. Es ist ein unheimlich schönes Buch, und lustigerweise bin ich darauf gestoßen – mal sehen, ob ich das Datum reingeschrieben habe, als ich es gefunden habe ... ja. Es fiel mir im August 2019 in einem Antiquariat auf der Insel Valentia vor der Küste von Kerry im Süden Irlands in die Hände. Wie wunderbar, dass Lucie dort im Regal auf mich wartete.

Das war Schicksal!

Ich hatte im Internet einige ihrer Gedichte gelesen, die ch sehr mochte, und als ich dann das Buch sah, war ich sofort Feuer und Flamme. Wenn Sie jetzt hier wären und wir im selben Raum säßen, würde ich Ihnen Gedichte von ihr vorlesen, aber das erspare ich Ihnen jetzt. [lacht] Wie diese beiden Dichterinnen mit Sprache umgehen! Es fühlt sich so an, als würde man in ihren Bann gezogen, verzaubert. Den Sog dieser Gedichte empfinde ich so stark, dass ich sie wieder und wieder lese. Dann mag ich noch die Gedichte von Deborah Digges sehr, und auch die Lyrik von Rita Dove, Laura Kasischke, Layli Long Soldier und Ruth Stone. Viele amerikanische Gedichte haben etwas, das mich sehr bewegt, das mich sehr viel gelehrt hat und zu dem ich immer wieder zurückkehre.

Übersetzt von Cornelius Reiber

Interview Doireann Ní Ghríofa by The Paris Review.
Copyright © 2021, The Paris Review, used by permission of The Wylie Agency (UK) Limited.
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Doireann Ni Ghriofa

Doireann Ní Ghríofa
© Colm Hogan
Doireann Ní Ghríofa ist eine irische Dichterin und Essayistin. Ihre Themen kreisen um Mutterschaft und Begehren, Tod und Familie, in ihrem Schreiben überbrückt sie die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie ist vielfach preisgekrönt, und ihre Werke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Für ihre Texte erhielt sie unter anderem das Lannan Literary Fellowship (USA), den Ostana-Preis (Italien), ein Seamus Heaney Fellowship (Queen's University), den Hartnett Poetry Award und den renommierten Rooney Prize for Irish Literature. Mit »Ein Geist in der Kehle« gelang ihr ein international gefeierter Bestseller und der vielfach beachtete Durchbruch auf literarischer Ebene, sie gewann damit u.a. den An Post Irish Book of The Year Prize.

Ein Geist in der Kehle

Ab 29.03.3023 überall erhältlich

DIES IST EIN WEIBLICHER TEXT

ZWEI SCHRIFTSTELLERINNEN, Jahrhunderte voneinander getrennt: In ihrem ungewöhnlichen Prosadebüt verbindet Doireann Ní Ghríofa Essay und Autofiktion, um das Innenleben und die tiefe Verbundenheit zwischen zwei schreibenden Frauen aus zwei verschiedenen Epochen zu erkunden. Es ist eine Feier des Lebens, der Liebe und des rechten Umgangs mit Leiden.

Im 18. Jahrhundert trinkt eine irische Adelige, als sie erfährt, dass ihr Mann ermordet wurde, eine Handvoll seines Blutes und verfasst ein außergewöhnliches Gedicht, das zum nationalen Mythos werden wird. In der Gegenwart entgeht eine junge Mutter nur knapp einer Tragödie und stößt auf ein Gedicht, das sie bereits als Schulkind gelesen hat. Besessen von den Parallelen zu ihrem eigenen Leben macht sie sich auf die Suche nach dem verschwiegenen Rest des Geschehens.

Eine große Geschichte über eine Frau, die ihre Stimme befreit, indem sie in die Vergangenheit vordringt und die einer anderen findet.

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