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McHugh – Im Sog der Schuld

Laura McHugh und ihr neues Buch »Im Sog der Schuld«

Ein Gespräch mit Laura McHugh

Mit ihrem zweiten Roman, Im Sog der Schuld, präsentiert sich Laura McHugh erneut als bemerkenswert scharfe Beobachterin. Geschickt verwebt sie in diesem hauptsächlich im südlichen Iowa angesiedelten Roman das Flair von Colorado, Minnesota, Illinois und Missouri mit der weitläufigen Landschaft des Hawkeye State und erschafft dabei nicht nur das Psychogramm einer Familie, sondern erzählt auch die Geschichten der Häuser, in denen wir leben.


Es ist bekannt, dass Sie in Missouri und den angrenzenden Bundesstaaten aufgewachsen sind, deshalb fragt man sich, was es mit dem in der Widmung erwähnten »kleinen weißen Haus in der South Fourteenth Street« auf sich hat. Am meisten interessiert uns natürlich auch, was Sie überhaupt auf die Idee gebracht hat, diesen Roman zu schreiben. Können Sie etwas darüber sagen?

Laura McHugh: Es handelt sich um das Haus meiner Großeltern in Keokuk, das allerdings nicht mit den feudalen Anwesen im Buch vergleichbar ist. Meine Familie ist häufig umgezogen, und das Haus meiner Großeltern war in all den Jahren das einzige, das sich wie ein wirkliches Zuhause angefühlt hat. Zwar gab es nur ein einziges Schlafzimmer, doch wann immer wir zu zehnt bei ihnen einfielen (ich bin eines von acht Geschwistern), schien es auf wundersame Weise zu wachsen und Platz für alle zu schaffen. Jahre nach dem Tod meiner Großeltern bin ich noch einmal hingefahren. Die Tür stand sperrangelweit offen, also bin ich reingegangen. Es war alles kaputt – eine Horde Hausbesetzer hatte sich darin breitgemacht. Ich hatte Angst. Das ganze Viertel, das sich immer so sicher angefühlt hatte, wirkte auf einmal gefährlich, und es gelang mir nicht, meine Erinnerungen mit dem, zu dem es geworden war, unter einen Hut zu bringen. In gewisser Weise geht es in Im Sog der Schuld auch um diese Sehnsucht, nach Hause zurückzukehren, was in vielerlei Hinsicht leider unmöglich ist. Ich wollte auch über den Verfall und den Niedergang einer Kleinstadt schreiben und habe das mit einer Figur verknüpft, die von der Erinnerung an ein grausames Verbrechen heimgesucht wird und es deshalb nicht schafft, sich aus der Vergangenheit zu lösen. Ich wollte sehen, ob es ihr gelingt, das Geheimnis zu lüften und sich weiterzuentwickeln, obwohl rings um sie herum alles zerbröckelt und in sich zusammenfällt.


Was ist das Reizvolle an solchen alten Häusern – insbesondere für Autoren?

Laura McHugh: Die Vorstellung, dass ein Haus eine Geschichte hat und sich so vieles darin abgespielt haben könnte, was man vermutlich niemals erfährt, fasziniert mich einfach. Unser erstes Haus hatte jahrelang leer gestanden, bevor meine Eltern es gekauft hatten, und es hieß, dass es dort spuken würde. Es war ein Carpenter Gothic mit hohen Bogenfenstern, verschnörkelten Zierleisten an der Fassade und einer reich verzierten Treppe, die meine Mutter ein ganzes Jahr lang akribisch restauriert hat, bevor das Haus in Brand geriet. Danach wurde es zwar wieder aufgebaut, aber ohne all die charakteristischen Besonderheiten, die es so atemberaubend schön gemacht hatten. Selbst heute noch betrauert meine Mutter jedes Mal, wenn wir vorbeifahren, den fehlenden Balkon, die verkürzten Fenster und die schlichte Fassade ohne die Verzierungen, die es früher hatte.


Die Protagonistin Arden wird zwar gewissermaßen vom Verschwinden ihrer beiden Schwestern »verfolgt«, trotzdem handelt es sich bei Im Sog der Schuld nicht um eine Geistergeschichte, obwohl durchaus gruselige Dinge passieren, die eine bedrohliche Atmosphäre heraufbeschwören. War das von Anfang an Ihre Absicht, oder hat sich diese Tendenz erst im Lauf der Zeit von allein entwickelt?

Laura McHugh: Ich denke, beides. Natürlich war mir von Anfang an klar, dass Arden von der Tragödie von damals »verfolgt« wird, gleichzeitig gefiel mir dieser kurze Moment des Zweifels, wenn man sich als Leser fragt: Passiert hier gerade tatsächlich etwas, oder spielt sich das nur in ihrem Kopf ab? Die Details haben sich erst im Lauf des Schreibprozesses ergeben.


Apropos Schreibprozess: Erstellen Sie vorab ein Gerüst, an dem Sie sich orientieren, oder lassen Sie sich von den Figuren durch die Geschichte führen?

Laura McHugh: Ich habe beide Methoden probiert. Die Schwere des Blutes habe ich ohne jeglichen im Vorfeld erstellten Plan geschrieben (allerdings habe ich bei der Überarbeitung einiges an organisatorischer Arbeit investiert). Für Im Sog der Schuld habe ich die Handlung grob skizziert, doch später musste ich feststellen, dass mir viel Freude am Schreiben verloren ging, weil ich mich an die im Vorfeld festgelegten Punkte halten musste. Am besten komme ich zurecht, wenn ich die Geschichte sich anhand der Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Figuren entwickeln lasse und danach überall dort feinschleife, wo es notwendig ist.


In Im Sog der Schuld verschmelzen die Erinnerungen auf wunderbare Weise mit der Wahrheit, was nicht nur häufig in Romanen, sondern auch im wahren Leben vorkommt. Manchmal verändert sich unsere Erinnerung an irgendwelche Ereignisse aus der Vergangenheit schlicht und ergreifend im Lauf der Zeit. Könnten Sie uns erklären, weshalb in Ihren Büchern Ihre Themen, die Erinnerung und die Wahrheit, häufig miteinander verschmelzen?

Laura McHugh: Ich habe viel Interessantes darüber gelesen, wie wenig verlässlich die Aussagen von Augenzeugen sind, und fand die Frage, inwieweit diese Tatsache die Ermittlungen in einem Verbrechen beeinflussen und womöglich sogar in eine völlig falsche Richtung lenken kann, besonders faszinierend. Ich nehme an, mein Interesse am menschlichen Erinnerungsvermögen hat ihren Ursprung in meiner eigenen Vergangenheit: Ich bin das jüngste von acht Kindern, und wir erzählen uns zwar eine Menge Dinge von früher, aber logischerweise kann ich mich an vieles nicht mit derselben Klarheit erinnern wie meine älteren Geschwister. Zwar erinnere ich mich an bestimmte Details und Ereignisse aus den Häusern und den Städten, in denen wir gewohnt haben, als ich noch ganz klein war, doch was davon echte Erinnerungen sind und was davon herrührt, dass meine Geschwister es mir x-mal erzählt haben, kann ich nicht sagen. Kann man eigene Erinnerungen überhaupt von denen unterscheiden, die andere gewissermaßen in unsere Köpfe gepflanzt haben? Ist es möglich, einen fast zwanzig Jahre zurückliegenden Fall noch einmal aufzurollen und die Wahrheit ans Licht zu bringen? Das waren die Fragen, denen ich mit meinem Roman nachgehen wollte.


Wie war es, das berühmt-berüchtigte zweite Buch zu schreiben? Waren damit große Ängste verbunden?

Laura McHugh: Beim zweiten Buch hatte ich definitiv mehr Angst als beim Schreiben meines Erstlings. Keiner hat darauf gewartet, dass es endlich fertig wird, sondern ich konnte herumtrödeln, alle möglichen Fehler begehen und sie in den nachfolgenden Manuskriptversionen wieder beheben, ohne dass es jemand mitbekommt. Beim zweiten Buch besteht bereits eine gewisse Erwartungshaltung, und es gibt alle möglichen anderen Dinge, die einem im Kopf herumgeistern. Außerdem ist das erste Buch ja nicht plötzlich aus den Gedanken verschwunden. Man möchte sich dem neuen Roman mit derselben Hingabe widmen, trotzdem ist man immer noch damit beschäftigt, das alte Buch zu promoten. Es ist schwierig, all das beiseitezuschieben und sich auf die Geschichte zu konzentrieren, die man jetzt gern schreiben möchte. Bei diesem zweiten Roman habe ich viel darüber gelernt, was für mich gut funktioniert und was nicht, und ich hoffe, dass es mir beim nächsten Projekt hilft.


Was inspiriert Sie als Autorin? Was bringt Ihre Kreativität zum Sprudeln?

Laura McHugh: Still danebenzustehen und zu beobachten. Das klingt furchtbar langweilig, aber so ist es nun mal. Ich bin jemand, der andere Menschen gern beobachtet. Beispielsweise erfinde ich ständig Geschichten über wildfremde Leute, die ich in der Bibliothek sehe, oder wenn ich an einem interessanten Haus vorbeikomme, male ich mir aus, welche Familie wohl darin wohnt. Und natürlich lese ich die Krimirezensionen in der Zeitung.


Dieses Interview wurde in einer längeren Fassung ursprünglich auf leslielindsay.com veröffentlicht.

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