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Eine mutige Frau zwischen den Fronten

Annette Wieners - Special zu "Die Diplomatenallee"

Hintergründe

Sollten Sie einmal durch Bonn spazieren, suchen Sie unbedingt die Godesberger Allee 18 auf und lassen Sie das Gebäude auf sich wirken. Viergeschossig, Siebzigerjahre-Charme. Hier, im Herzen der alten Bundesrepublik, betrieb die Stasi einen Stützpunkt, getarnt als diplomatische Ständige Vertretung der DDR in Bonn.
Als ich vor zwei Jahren mit der Romanrecherche begann, interessierte mich vor allem, wer in der Ständigen Vertretung (StäV) gearbeitet hatte und wie ich mir den Alltag dort vorstellen konnte. Fast 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählten dazu, manche hatten ihre Kinder mit nach Bonn gebracht. Wie lebten sie als linientreue Sozialisten im Kapitalismus? Wo sind sie heute? Ich fragte bei Personen und Institutionen nach, die damals mit den Leuten zu tun gehabt haben mussten, stieß aber sofort auf Widerstand. Weder auf Bonner Ebene noch auf Bundesebene wollte man etwas über die Zeit der DDR-Bürger im Westen wissen. Erst als ich insistierte, tröpfelten Informationen. Ich rührte an ein Thema, das unangenehm war.
In der alten Bundesrepublik lebten Tausende, die als Informanten oder Agenten für die Stasi arbeiteten. Nach dem Mauerfall wurden nur wenige enttarnt, viele blieben unerkannt auf ihren Posten in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien. Mancher wird inzwischen gestorben sein, doch die anderen werden bis heute ihre Entdeckung fürchten. Ich stellte einen Forschungsantrag bei der Stasi-Unterlagen-Behörde, um mehr zu erfahren, aber die Erkenntnisse waren auch hier zunächst mager. Mir fiel auf, dass nicht nur über das Personal, sondern auch über die Geschäfte der DDR in Bonn sehr wenig bekannt ist. In den 1970er-Jahren wurden millionenschwere Immobilienverträge geschlossen und nur ein kleiner Kreis Bonner Bürger profitierte davon. Hatte sich bisher noch niemand darüber gewundert?
Ich entschied mich, erneut nach Zeitzeugen zu suchen, und streute meine Fragen, um Personen zu erreichen, die bereit waren, Auskunft zu geben. Tatsächlich meldeten sich bald Informanten. Einer berichtete über die Arbeit der Geheimdienste zur Zeit der deutschen Teilung, ein anderer erzählte, wie ihn die Geheimdienste beobachtet hätten, sowohl der Bundesnachrichtendienst BND als auch die Stasi – im Rheinland. Die Unterschiede zwischen den Agenten seien deutlich gewesen: »Die Stasi hockte lautlos im Gebüsch, während man den BND rascheln hörte.«
Die alte Bundeshauptstadt war von Spionen durchsetzt, und im Vergleich zum geteilten Berlin besaß Bonn eine noch höhere Agentendichte. In den beschaulichen Gaststätten am Rhein trafen Ostblock und Westblock aufeinander. Bonn war das Brennglas des Kalten Kriegs – und übte sich in Weltläufigkeit.
Über 100 Nationen waren im Jahr 1974, in dem der Roman spielt, mit Botschaften in Bonn vertreten. Für die DDR und die Stasi muss es wie eine Einladung an eine labende Quelle gewesen sein, sich hier mit einer Ständigen Vertretung niederlassen zu dürfen. Die Bundesregierung unter Willy Brandt, der für seine Ost-West-Politik den Friedensnobelpreis bekommen hatte, unterschätzte wohl das Risiko, mit der StäV auch eine Basisstation der Stasi in Bonn einzurichten.
Meine Neugier auf das Innenleben der StäV wuchs, je mehr ich erfuhr. Unbedingt wollte ich die Spur der damaligen Belegschaft aufnehmen und beschloss, nach den wenigen Kindern zu suchen, deren Eltern in der StäV gearbeitet hatten. Vielleicht waren sie weniger sorgsam untergetaucht? Tatsächlich fand ich in Verzeichnissen erste Namen. Dann führte ich in Detailarbeit feine Linien zusammen, die der ein oder andere über die Jahre im Internet hinterlassen hatte. Als ich sicher war, dass die Identitäten stimmten, nahm ich zu den ehemaligen StäV-Kindern Kontakt auf.
Nicht alle waren erfreut, von mir zu hören. Es mochten oder konnten nicht alle frei über die Vergangenheit reden und in manchen Fällen musste ich zuerst Vertrauen aufbauen – oder finden. Übereinstimmend aber beschrieben die ehemaligen StäV-Kinder ihre Jahre in Bonn als besonders schön. Die ständige Aufsicht und Kontrolle durch die Erwachsenen hätten sie als Nähe und Zusammenhalt erlebt. Selbst die Schule war ja in die Enklave integriert: Auf Anweisung von Margot Honecker wurden die Kinder im Hinterhof der Ständigen Vertretung unterrichtet.
Ein strittiges Thema in unseren Gesprächen war die Stasi. Wie war die StäV mit dem Geheimdienst verwoben? Manche blockten die Frage ab, andere sagten: »Jeder, der in der StäV arbeitete, war bei der Stasi. Es hätte sonst gar nicht funktioniert.«
Endlich bekam ich nun Einblick in den Alltag der Agenten. Sie lebten nach strengen Sicherheitsregeln. Taschen mussten in der Öffentlichkeit geschlossen sein. Einkaufen war nur in festgelegter Begleitung erlaubt. Private West-Kontakte waren natürlich verboten, während »dienstliche« Kontakte bis in den Bundestag hinein erarbeitet wurden. Es gab ausschweifende Abendessen und Feiern in den StäV-Wohnungen, die der »allgemeinen Informationsbeschaffung« dienten.
Um auf ihre Posten zu kommen, hatten die Agenten sich nicht beworben, sondern waren, wie in der DDR üblich, ausgesucht worden. Es handelte sich um die »Zweite Generation« der Stasi, um Personen also, die in das System hineingeboren und folglich erst Mitte 20 waren, als sie nach Bonn kamen. Das Ministerium für Staatssicherheit versprach jedem, dass sein Einsatz am Rhein nur vier Jahre dauern würde. Aber dieses Versprechen wurde oftmals gebrochen. Agenten, die in den 1970er-Jahren in Bonn waren, wurden in den 1980er-Jahren überraschend noch einmal an die StäV geschickt – und mussten bei diesem zweiten Mal ihre Kinder in der DDR zurücklassen. Ich hörte bewegende Geschichten über allein gelassene Jugendliche und schockierte Kinder, aber auch über deprimierte Agenten, die in Bonn festsaßen und von ihrer einst geschätzten Stasi erpresst wurden.
Nach dem Fall der Mauer verschwand das StäV-Personal aus Bonn, doch einige Ehemalige halten bis heute untereinander Kontakt. Manche Antwort, die man mir gab, wird abgestimmt gewesen sein. Aber ich bekam auch Botschaften, die dringlich darum baten, die Zeit der DDR in Bonn ans Tageslicht zu holen.
Eine historische Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die StäV fehlt bisher, meine Recherche war eine Reise ins Unbekannte – oder wie eine gewisse Graphologin es sagen würde: Die StäV in Bonn trug die Handschrift der deutsch-deutschen Teilung und fiel durch Lügenkringel, Winkelarkaden und eine sehr starke Oberzone auf.
© minkmar

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