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SPECIAL zu »Matterhorn« von Karl Marlantes

Vietnam now

Über 30 Jahre lang hat der Vietnamveteran Karl Marlantes an seinem Opus Magnum Matterhorn geschrieben und damit eine monolithische Aufarbeitung des Vietnamkriegs geschaffen – zugleich ein aufwühlendes und berührendes Abenteuerepos.
Basierend auf seinen eigenen Erlebnissen erzählt er die Geschichte von Lieutenant Waino Mellas, der mit seinem Bataillon an der nordvietnamesischen Grenze einen strategisch wichtigen Kampfstützpunkt errichten soll. Den Hügel, der dafür ausgewählt worden ist, taufen die Soldaten »Matterhorn«. Marlantes’ gewaltiger Roman, der wie ein Film vor dem inneren Auge des Lesers abläuft, ist uns Anlass, einen Blick auf die interessantesten Vietnamfilme zu werfen.


Krieg und Schönheit können dicht beieinander liegen – diese verstörende ästhetische Perspektive ist die Grundlage für Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (1979). Basierend auf Motiven von Joseph Conrads Novelle Heart of Darkness (erstmals 1899 veröffentlicht) erzählt der Film die Odyssee von Captain Willard (Martin Sheen), der in den Kriegsherd geschickt wird, um den offensichtlich größenwahnsinnig gewordenen Colonel Kurtz (Marlon Brando) auszuschalten. Es beginnt eine Reise nicht nur in den Wahnsinn des Dschungelkriegs, sondern zugleich in die Psyche der Protagonisten. Coppola erzählt seine Geschichte in rauschhaften, visionären Bildern von betörender Farbenpracht. Nicht von ungefähr gemahnen Teile des Films an einen LSD-Trip: Drogenkonsum und Rockmusik waren Begleiter, mit denen die Soldaten ihre Angst bekämpften. Apocalypse Now basiert auf einem Drehbuch des als militaristisch geltenden New-Hollywood-Regisseurs John Milius, der gerade dadurch, dass er nicht nur die Gräuel, sondern auch die Faszination des Krieges thematisiert, einen einmaligen Zugriff auf das Thema findet. Die letzten gehauchten Worte von Colonel Kurtz, mit
denen der Film endet, bleiben unvergessen: »The Horror – The Horror«.
Klassischer und deutlicher als Anti-Kriegsfilm angelegt ist Die durch die Hölle gehen (The Deer Hunter, 1978) des ebenso wie Coppola hochexzentrischen Michael Cimino. Der eigentliche Vietnamkrieg nimmt nur den Mittelteil des Films ein und wird von den berührenden Schicksalen der Hauptfiguren eingefasst. Bemerkenswert ist, dass Cimino die Arbeiterklasse in den Mittelpunkt rückt: Seine Helden sind Berg- und Minenarbeiter, die in einer kargen Industriestadt versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen – bevor der Krieg sie alle auf unterschiedliche Weise zerstört. Die durch die Hölle gehen ist wohl der konsequenteste und erschütterndste Abgesang auf Amerikas Traum von Freiheit und Menschlichkeit. Obwohl alle Darsteller Meisterleistungen abliefern, ist vor allem Christopher Walken hervorzuheben, der hier in der Form seines Lebens ist und dafür zu Recht mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.
Fast eine Dekade später meldet sich der Vietnam- Veteran Oliver Stone zu Wort und legt mit Platoon (1986) einen Kassenschlager vor, der weniger durch seine konventionelle Dramaturgie als durch die prägnante Kameraführung sowie die überragende Präsenz von Willem Dafoe und Tom Berenger lebt, beide Ikonen des Actionkinos der achtziger Jahre, die in diesem Film über sich selbst hinauswachsen und zwei fast messianische Figuren verkörpern.
Einen ganz anderen Zugang zum Thema findet Barry Levinson mit Good Morning Vietnam (1987), in dem Robin Williams einen Radiocomedian spielt, der die Soldaten an der Front mit seinen Gags vom ständig präsenten Tod ablenken soll. Obwohl dies ein ganz anderer Film ist, schließt Good Morning Vietnam in gewisser Weise an Apocalypse Now an, da Levinson mit einer mitunter sehr nihilistischen Komik spielt, den Anspruch des reinen Anti-Kriegsfilms also ähnlich wie Milius und Coppola bricht.

Mit Matterhorn liegt jetzt eine literarische Vision des Vietnamkriegs vor, die ihre Faszination aus der Authentizität, dem unglaublichen Detailreichtum zieht und damit die Geschichte der amerikanischen Vietnamaufarbeitung fortführt. Wer sich zutraut,
Matterhorn zu verfilmen, ist noch nicht bekannt – fest steht aber, dass dies der Stoff für den nächsten großen Vietnamfilm ist.

Tim Müller