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Rezension zu
Walkaway

Unterhaltsam erzählte Gesellschaftskritik

Von: Michael Lehmann-Pape
08.08.2018

An manchen Stellen, gerade im ersten Drittel, ist es ein wenig grenzwertig, was den Überhang an Dialogen in Bezug auf den Fluss der Geschichte angeht. Doch, das versteht Doctorow gut umzusetzen, der Tonfall wird dabei nicht belehrend oder besserwisserisch und ist auch nicht mit einem zu hoch erhobenen moralischen Zeigefinger versehen. Wobei dennoch klar wird, dass das aktuelle „Lebenssystem“ der westlichen Moderne mit „denen da oben“, die ganz fest der Überzeugung sind, dass sie nicht aus Zufall sondern aufgrund eigener Leistung „ganz oben“ angekommen sind und mit „denen da untern“, die mit ein wenig Konsum in ihren prekären Verhältnissen „bei Laune“ gehalten werden, so nicht mehr auf Dauer funktionieren wird. Im Roman, der in naher Zukunft angesiedelt ist, ist dies bereits akut „ausgebrochen“. Denn immer mehr „Bürger“ verlassen die „sicheren Zonen“ (große Teile der zivilisierten Welt sind verwüstet, teils vergiftet, immer aber „Outland“ aufgrund der harschen Klimaveränderungen) und siedeln sich im „übriggelassenen“ Rest an. „Walkaways“, „Weg-Gänger“ verschiedenster Natur versuchen ihren Weg eines freien Lebens. Mal miteinander, mal eher für sich. Was den „Zotas“, jenen Reichen, die inzwischen ganz offen die Regierungen stellen, nur solange egal ist, wie es ihren Status nicht gefährdet. Wollen zu viele „Walkaway“ gestalten, fehlen dienstbare Geister in den Metropolen, da wird auch schon mal das ein oder andere „Nest der Neuansiedelung“ umfassend dem Erdboden gleichgemacht. Und nun ist das Undenkbare geschehen. Natalie, Tochter eines Hyperreichen, geht. Heimlich. Mit ihren beiden neuen Bekannten. Und stößt auf einen Gasthof der besonderen Art, in dem andere, solidarischere, nicht auf Leistung abgestimmte Lebensformen erprobt werden. Intensiv und mit Blick in die Tiefe erzählt Doctorow von dieser Utopie und dem, was es an innerer Veränderung dazu braucht. Und hat immer auch den klaren Blick für die menschlich-allzu menschlichen Unzulänglichkeiten. Die Lust am „Wichtig sein“, Neid und Eifersucht und all die anderen Dinge, mit denen sich Menschen selbst oft im Weg stehen. Gepaart mit der ständig drohenden Gefahr bewaffneter Überfälle und listiger Tricks der Mächtigen, bis hin zu Entführung und versuchter Gehirnwäsche bleibt die Spannung bei der Lektüre weitestgehend erhalten. Und wenn dann technisch die Frage der Übertragung eines Bewusstseins ins „Net“ beginnt, interessant zu werden, bleibt es für den Leser weiterhin hoch interessant, all die Verwirrungen und inneren Verwicklungen zu verfolgen, die Doctorow von allen Seiten her und in allen Facetten beleuchtet. Ohne zu sehr ins trocken-wissenschaftliche abzugleiten. Am Ende verbleibt eine unaufdringliche und dennoch schonungslose Analyse der gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart und eine, ein wenig an die 60er Jahre und die Hippie-Bewegung erinnernde, andere Möglichkeit des Lebens in enger Verbindung mit den vielfachen digitalen Möglichkeiten (samt Kleidungs- und Nahrungsherstellung), die den Leser nachdenklich und erfüllt zurücklässt. „Sie machte sich Sorgen, denn sie wusste, wie das war, wenn man die Person im Spiegel nicht wiedererkannte. Sie kannte das nagende Gefühl, wenn etwas nicht stimmte“. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

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