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Rezension zu
Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen

Kein Abenteuer/Erfahrungs-Roman, dennoch ein wahres Füllhorn an maritimen Wissen unterhaltsam vermittelt.

Von: Bücherfüllhorn
19.12.2016

Zwei die loszogen um einen Eishai zu fangen. Ganz ehrlich? Ich hatte noch nie von einem Eishai gehört, bezweifelte zunächst dessen Existenz und fand dann heraus, dass er auch „Grönlandhai“ genannt wird. Erzähler ist der Autor selber, der sich mit seinem Freund und Künstler Hugo Aasjord auf den Weg macht, einen Eishai zu fangen. Ich musste ein wenig recherchieren, um herauszufinden, dass dies eine wahre Begebenheit und ein langwieriges Unterfangen war. Den Künstler Hugo Aasjord gibt es wirklich. Zu all dem hätte ich mir einfach ein Vorwort des Autors gewünscht. Über ein Jahr fahren die beiden bei jeder sich bietenden Gelegenheit und einigermaßen guten Wetterverhältnissen aufs Meer bei den Lofoten hinaus um zu „jagen“. Dieses Jagen mutet aber oft eher wie eine meditative maritime Spazierfahrt an. Man hat viel Zeit zum nachdenken in der gewaltigen Natur. Der Autor Morten A. Stroksnes kommt erzählend von einem ins andere, zum Beispiel was mit der Suche nach dem Kadaver eines Schottischen Hochlandrindes (zur Haifütterung) beginnt führt über Abhandlungen zu verschiedene Pflanzen, Singvögel, Landschaftsbeschreibungen, einen Opferaltar, Fäulnisgase der Wale und Fischereibetriebe bis zur Fundstelle um den Köder für den Eishai zu entnehmen. Diese „abschweifenden Gedanken“ und das Sachwissen zu allen möglichen Themen rund ums Meer, Ozean, Fischen, Tiefsee und Küsten lassen sich unterhaltsam lesen. Der Eishai ist praktisch Hauptdarsteller dieser Erzählung: Das Fleisch giftig, stinkt wie Urin und nach seinem Verzehr fällt man in einen alkoholähnlichen Rausch. In Island gilt es als „Hakarl“ als eine Delikatesse. Eishaie werden heute erforscht, sie werden mit Sendern ausgestattet, um ihre Bewegungen aufzuzeichnen. Sie sind blind durch eine bestimmte Art von Parasiten in den Augen. Es gibt schöne Beschreibungen über das Meer, wie es vom Autor und seinem Freund empfunden wurde. Das Rausfahren in den Vestfjord, das Meer, die Natur, die Gespräche, das Schweigen. Sie genießen die Augenblicke, ob stürmisch oder ruhig. Zitat S.107: „Das Meer ist kalt und aufgewühlt, der Regen peitscht die Wellen so stark, dass sie weiß werden und geräuschvoll an Land rollen. See und Himmel bilden einen gehetzten Kreislauf.“ Zitat S.126: „Die Stunden vergehen. Wir sind mit uns und der Welt zufrieden, und ich habe nicht den Wunsch, irgendwo anders zu sein. Die Landschaft ist nichts, was vor mir liegt und was ich hinter mich bringen muss. Nein, sie ist um mich herum und unglaublich präsent – mitten in diesem physischen Strömungen vor dem Leuchtturm von Skrova und weit entfernt von den Informationsströmen, in denen wir uns normalerweise bewegen“. Zitat Seite 259: „Wir unterhalten uns gelegentlich, sitzen ansonsten aber schweigend da. Schweigen wird von uns fast nie als bedrückend erlebt, und das mag durchaus als Definition für Freundschaft taugen.“. Überhaupt bietet das Buch eine wahres Füllhorn an maritimen Wissen. Hier eine kleine Auswahl in loser Reihenfolge: Erwähnt wird der Maler Christian Krogh beim imposanten Anblick der Lofoten: Von dieser Großartigkeit überwältigt, weiß er fast nicht, wie er das malen soll, er hat keine adäquaten Farbtöne und weiß nicht, wo er ansetzen soll. Zitat Seite 46: „Die Erhabenheit und Größe wiederzugeben, ebenso wie die unerbittliche, unbarmherzige Ruhe und Gleichgültigkeit der Natur.“ Michael Sars und Sohn Georg Ossian waren Meeresforscher unter einfachsten Bedingungen, norwegische Forschungsschiffe wurden nach ihnen benannt. Vieles wird über die Tiefsee erzählt. Hier ein Zitat auf Seite 56: „In der Tiefe blinkt und glüht es allenthalben. Da dort unten mehr Arten leben als an Land, ist die Verständigung über Leuchtsignale die wohl verbreitetste Kommunikationsform auf der Erde.“ Auch über Märchen und Sagen wird sich dem Meer genähert. Christian Asbjornsen wurde durch seine entsprechenden Sammlungen an Volksmärchen berühmt. Oder die „Carta Marina“, in der damaligen Zeit durchaus real und bestimmt nicht als Märchen gedacht. Olaus Magnus schrieb die Geschichte der nordischen Völker und spann Seemannsgarn, und zeichnete 1555 in die Carta Marina die „Standtorte“ der Seeungeheuer ein, auch vor Deutschlands Küsten gab es eines. Dazu gab er praktische Ratschläge und Tipps, diese Ungeheuer, Meerjungfrauen und Meermänner zu besiegen. Ein weiteres Thema der Wind: man schrieb dem Wind bestimmte Eigenschaften zu und es früher gab es Windbeschwörer. Meteorologen kennen acht Windrichtungen, und auf der Insel Senja gibt es 30 lokale verwendete Begriffe für unterschiedliche Windarten Es gibt alle denkbaren Informationen über Wale z.B. Finnwale hören sich nur auf bestimmten Frequenzen. Leuchttürme: Für einsame Leuchtturmwärter gab es Wanderbibliotheken. Die norwegische Leuchtturm-Erbauer- Familie Mork wird vorgestellt und der Pendand dazu die schottischen Leuchtturmbauer-Familie Stevenson. Ja, die Familie des Robert Louis Stevenson der das Buch „die Schatzinsel geschrieben hat. Es gibt auch unerwartete Sätze und Beschreibungen mit subtilen Humor wie der „Besenstielmord“ oder ich sage nur die „NASA und der Walspeck“. Oder kurioses wie die „WM im Kabeljaufischen“. Es wird natürlich auch auf die Umweltverschmutzung der Meere eingegangen, auf die riesigen Plastik-Strudel die es in den Ozeanen gibt und wie der Schiffsverkehr die Navigation der Wale erschwert. Ich musste dabei an das Buch von Janice Jakeit „Row for Silence“ denken. Das passt auch gut zu dem Thema Unterwasserlärm. Sie berichtet von einer Nacht, in der sie Geräusche wie Schmirgelpapier unter ihrem Boot hörte: Haie. Die Verbindung dazu: Morten A. Stroksnes beschreibt wie Schmirgelpapier aus Eishaihaut nach Deutschland exportiert wurde. Zudem werden ganz viele Namen genannt: Kartographen, Forscher, Maler, historische Berühmtheiten, Sammler, Namen aus der Mythologie und und und. Es gibt gefühlte hunderte Literaturhinweise (ich liebe Literaturhinweise!) und diese sind auch am Schluss nochmal zusammengefasst. Ich habe mir überlegt, ob ich diese Stichwörter hier erwähnen soll oder nicht. Sie hören sich vielleicht langweilig an und manch einer denkt sich „das interessiert mich eigentlich nicht“. Der Clou an der Sache aber, dass dies im Buch während des Lesens gar nicht auffällt, weil es kurzweilig und erhellend geschrieben ist. Deswegen möchte ich die Liste nun doch hier anfügen: Hier nur kurze Stichwörter zu Themen, die angesprochen wurden: Seestern „Brisinga endecacnemos“ (S.51), benannt nach dem Halsschmuck der Brisingamen Ernst Haeckel (Zoologe, Philosoph und Freidenker) Mehr Menschen im All als in der Tiefsee Herman Melville - Moby Dick Ambra/Amber Anziehungskraft des Meeres Jagd nach Seewölfen Kabeljauzungen Espenholz fault nicht in Salzwasser Alte Fachbegriffe wie Skytinga und hogginga und seltene Wörter wie siybarturn (90) Thunfische im Vestfjord (S.88) Australische Surfer mögen kein orange und gelb wegen Haien (S.102) Nordnorweger essen keine Makrelen wegen dem Geschmack !? (S.105) Vergleich: Neue Raumsonden werden mit Sonnensegel zur Energiegewinnung gebaut, erinnern an Segelboote, Meeresgott Okeanus Raumsonde Rosetta sucht nach Wasser auf anderen Planetn (S.133) – Warum gibt es im Universum Wasser? Elefant Topsy wird hingerichtet, Thomas Edison (S.154) “Electrocuting an Elephant” Mythologie Meerdraug (?) Kaffeekabeljau, wenn Kabeljau über 30kg wiegt gibt die Zeitung Lofotenposten als Belohnung ein Päckchen Kaffee (S. 200) und vielleicht noch einen kleinen Bericht. Kabeljau- und Eishaileber eignen sich hervorragend zur Herstellung langlebiger Farbe für Holzhäuser (S.225) Lutefisk + Stockfisch (S. 226+227) Johan Hjort: norwegischer Zoologe Pytheas entdeckt eine neue Insel und nennt sie Thule Seelilienexepert Philip Herbert Carpenter Charles Wyville Thomson Herstellung verschiedener Transorten und Verwendung Originell fand ich auch die ironischen Bemerkungen und „das auf den Arm nehmen“ der beiden Freunde mit trockenstem Humor. So eine Art Freundschafts-Dialog entsteht nur, wenn man sich lange und tief genug kennt und nur so kann wahrscheinlich auch diese Idee geboren worden sein, einen Eishai zu jagen. Die Jagd nimmt mit den Köderresten aus der Kabeljau-Leber ein Ende. Diese Köderreste sind manche Erwähnung wert und tatsächlich interessant. Man kann es eigentlich nicht vergleichen, aber beim Lesen über den Fischfang und die Methoden musste ich an die Doku-Serie „Der gefährlichste Job Alaskas“ denken, hier gehen Königskrabbenfischer ihrer Arbeit in der Beringsee nach. Ich fragte mich während des Lesens, was ist das eigentlich für ein Buch? Eine Erzählung? Eine wahre Geschichte? Ein Abenteuer? Eine Erfahrung? Ein bisschen Autobiografisches? Ein Sammelsurium an maritimen Fakten und Hintergründen? Diese ganzen Informationen, Kleinigkeiten, Begebenheiten, alles aneinandergereiht wie „Wissens“-Perlen wie auf einer Schnur, ein ewiger Kreislauf? Morten A. Stroksnes berichtet von einem ins andere, schafft Verbindungen, erklärt Sachwissen auf verständliche Art und wie nebenbei. Überhaupt hat der Erzählton seinen ganz eigenen Reiz. Zum einen merkt man gar nicht, dass man sich so viel Sachwissen anliest, zum anderen wird die Küstenlandschaft vor den Lofoten und dem Vestfjord so beschrieben, dass man meint das Meer schon zu riechen. Allerdings sollte ein generelles Interesse an Sachwissen zu allerlei maritimen Themen da sein, ansonsten besteht die Gefahr, dass es zu viele Längen gibt und man einige Textpassagen „überfliegen“ will. Die Handlung selber, die Jagd nach dem Eishai wird nicht allzu oft erwähnt, ist aber im Hintergrund stets präsent. Der feine Spannungsbogen besteht aus der Frage, ob und wie es ihnen gelingt, den Eishai zu fangen. Es ist eher eine Art behäbige und ruhige Dokumentation der Geschehnisse, auch wenn sie mal gerade nicht auf dem Meer sind. Ich würde empfehlen, dieses Buch bedächtig und genussvoll zu lesen, ja, man kann es sich sogar gut häppchenweise gönnen. Da all dieses Sachwissen unterhaltsam und gut verständlich ist, eignet es sich nicht nur für Interessierte rund ums Thema Meer, Fische, Norwegen, Boote, sondern auch für Laien, die etwas dazu lernen wollen. Tja, die Sterne. Wie viel kann ich geben? Schwierig. Wenn ich es als Roman sehe, kann ich wahrscheinlich nur 2-3 Sterne vergeben, weil die Spannung durch zu viele Unterbrechungen auf der Strecke bleibt, weil es zu viel Ablenkung gibt. Das Thema mit dem Fangen eines Eishais spielt sich dezent im Hintergrund ab, bildet praktisch nur den „Aufhänger“ für all das Sachwissen zu vermitteln. Wer einen Abenteuer- oder Erfahrugsroman erwartet, liegt komplett falsch. Dennoch sind die Themen kurzweilig und der Erzählton einnehmend. Wenn ich als Sachbuch sehe, würde ich es als erzählendes Sachbuch sehen und da kann ich gut und gerne 5 Sterne vergeben, weil es auf ruhige, aber unterhaltsame Art Wissen vermittelt. Bei amazon wird es unter der Kategorie Abenteuer und Reiseberichte geführt, dem kann ich aber gar nicht zustimmen. Ich würde es also in die Kategorie Sachbücher einordnen. Ich entscheide mich nun für einen Mittelweg und vergebe vier Sterne.

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