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Rezension zu
Bis ans Ende der Geschichte

Ein aufrüttelndes Buch über Schuld und Vergebung

Von: Nela
14.11.2016

»„Ich glaube an die Hölle… aber die ist hier auf Erden.” Er schüttelte den Kopf. „Gute Menschen und schlechte Menschen. Als wäre das so einfach. Jeder ist beides zugleich.”« (S.56) Erster Satz: Mein Vater wurde nicht müder, mir die Wünsche für seine eigene Beerdigung zu schildern. Nachdem ich „Die Spuren meiner Mutter“ von Jodi Picoult gelesen habe, war für mich klar, dass ich auch weitere Bücher dieser Autorin werde lesen müssen. Und es war mir auch klar, dass diese Werke wohl ebenso bewegend sein würden. Aber mit einem solchen gewaltigen Roman habe ich nicht gerechnet. Aber damit euch das etwas verständlich machen kann, werde ich erst ein bisschen etwas über das Buch sagen müssen. „Bis ans Ende der Geschichte“ wird aus vier unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Da wäre Sage Singer, sie stammt aus einer jüdischen Familie. Bei einem Autounfall verlor sie ihre Mutter und lebt seither sehr zurückgezogen und lässt sich kaum auf andere Menschen ein. Sie arbeitet als Bäckern, was ihr erlaubt, nachts in ihrer Backstube zu werkeln und tagsüber zu schlafen. Sage trägt einiges an emotionalen Ballasts mit sich herum, so gibt sie sich die Schuld am Tod ihrer Mutter und meint, sie sei es nicht Wert geliebt zu werden. Und weil sie auch glaubt, nicht glücklich werden zu dürfen, lässt sie sich auf eine Affäre mit einem verheirateten Mann ein. »Verlust ist nicht allein auf den Tod beschränkt, und Trauer ist ein mit Grauschleiern überzogenes Gefühl«. (S. 15) Dann erzählt uns auch Josef Weber seine Sicht der Geschichte. Er ist über 90 Jahre alt und lebt schon lange in den USA. In seinem Wohnort tat er viel für die Gemeinde, arbeitete als Footballcoach, gab Deutschunterricht oder zeigte sonst viel ehrenamtliches Engagement. Sage und Josef freunden sich in der Trauergruppe an, da sie ein Gespür für die Verletzungen und Narben des anderen haben. Doch dann findet Sage heraus, dass Josef sie vielleicht nicht ganz so zufällig mit ihr angefreundet hat. Er erzählt ihr nämlich, dass er im Zweiten Weltkrieg ein SS-Soldat war und unschuldige Menschen gefoltert und getötet hat. Ausserdem war er Aufseher im KZ Auschwitz, eben jenes Lager, dessen Horror Sages Grossmutter Minka überlebt hatte. »In jedem von uns steckt ein Ungeheur, in jedem von uns steckt ein Heiliger. Die wahre Frage ist die, welchen von beiden wir befördern und welcher den anderen vernichten wird.« (S. 138) Und dann ist da auch noch die Sichtweise von Minka, Sages Grossmutter. Sie verbringt eine unbeschwerte Kindheit in einem polnischen Dorf und hegt Ambitionen eine grosse Schriftstellerin zu werden. Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg über diese heile Welt herein und lässt solche Träume plötzlich nicht mehr so wichtig erscheinen. Bald schon muss Minka mit ihrer Familie in das jüdische Ghetto ziehen, wo alles knapp ist, Platz, Essen, Brennholz, Kleidung. Nur Arbeit ist genug da. Um sich das Leben etwas erträglicher zu machen, schreibt sie weiter an ihrer Geschichte über einen Upior, eine Gestalt aus polnischen Sagen. Bald schon erfolgen die ersten Deportationen und Minka und ihr Vater werden nach Auschwitz gebracht. Mit Hilfe ihrer Geschichte schafft sie es zu überleben und nicht an der ganzen Grausamkeit zu zerbrechen. »Ob sie auf der Suche nach Macht waren oder nach Rache oder Liebe – es waren alles unterschiedliche Formen des Hungers. Je grösser das Loch in einem war, desto verzweifelter bemühte man sich, es zu füllen.« (S.281) Die vierte und letzte Perspektive ist jene von Leo Stein, der für das Büro für Human Rights and Special Prosecutions (HRSP) arbeitet. Seine Aufgabe ist es Kriegsverbrecher aus der NS-Zeit zu verfolgen und für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Als sich Sage an ihn wendet, um von Josefs Gräueltaten zu berichten, ist er sich erst nicht sicher, ob er ihr glauben kann. Aber schnell wird ihm klar, dass Sage keine Märchen erfunden hat und er es hier mit einem richtigen Fall zu tun hat. »Zebras verändern ihre Streifen nicht, und Kriegsverbrecher bereuen nichts.« (S.116) Zudem gibt es noch Abschnitte in diesem Buch, die einem zu Beginn sehr rätselhaft erscheinen. Sie ähneln einem Märchen und scheinen nichts mit der Geschichte an und für sich gemein zu haben. Im Laufe des Buches merkt man aber, wie wichtig dieser Teil doch ist. All diese Teile werden auch optisch voneinander abgehoben, durch unterschiedliche Schriftarten, kursiver oder fett gedruckter Schreibweise. Das macht es dem Leser zum einen sehr einfach, sich zu orientieren und zu wissen, in wessen Geschichte man gerade steckt. Zum anderen macht es das Buch aber auch anstrengend zu lesen, da nicht alle gewählten Schriftarten sehr benutzerfreundlich sind. Vor allem zu Beginn der Geschichte störte mich dies doch sehr im Lesefluss. Jodie Picoult hat sich hier an ein sehr schwieriges moralischen Thema gewagt und es ist bemerkenswert, wie sie es vermag eine Welt die auf den ersten Blick nur schwarz-weiss erscheint, mit unglaublich vielen Grautönen zu füllen. Durch die Perspektivwechsel ermöglicht sie es nämlich den Lesern, auch in die Gefühls- und Gedankenwelt der vermeintlich „Bösen“ einzutauchen und so ihre Motive verständlicher zu machen. Die NS-zeit wird nämlich nicht nur aus der Sicht der Opfer beschrieben, sondern es bieten sich auch ungeahnte Einblicke in das Innenleben eines SS-Soldaten. Und es wird gezeigt, wie aus einem ganz normalen Jungen ein solches Monster werden kann. Wie bereits erwähnt, geht Picoult sehr behutsam und differenziert vor, für sie ist nichts einfach nur schwarz-weiss. So zeigt sie Hauptscharführer und deutsche Fabrikanten mit Herz, aber auch Juden, die gar keine Opfer sind und sich mit dem Feind verbünden. »Doch nicht alle Juden waren Opfer – das sah man am Judenältesten, der mit seiner neuen Frau in Sicherheit in seinem behaglichen Heim saß und Listen erstellte, während ihm das Blut meiner Familie an den Händen klebte. Und nicht alle Deutschen waren Mörder. Das sah man an Herrn Fassbinder, der in jener Nacht, als die Kinder abgeholt wurden, so viele Kinder gerettet hatte.« (S.330-331) Immer wieder werden moralische und ethische Fragen laut. Kann ein einfacher Soldat für das Ausführen seiner Befehle als Kriegsverbrecher beschuldigt werden? Die Deutschen scheren alle Juden über einen Kamm, aber sind die Juden besser, wenn sie alle Deutschen in einen Topf werfen und als Monster bezeichnen? Und in wie weit kann sich ein Mensch ändern und seine Taten bereuen? Gibt es dafür Vergebung? Kann man einen Mann am Ende seines Lebens noch verurteilen für etwas, was er ind er Blüte seiner Jugend getan hat? Da ist dieser Mann, der schon so lange in den USA lebt und viel Gutes für die Gemeinde getan hat und ein liebevoller Ehemann war. Aber da ist auch seine schreckliche Vergangenheit und immer noch der Glaube, dass alle Juden gleich sind und die Gnade einer beliebigen Jüdin ausreicht, um Vergebung für Taten an ganz anderen Juden zu bekommen. Jodi Picoult ist eine verdammt gute Geschichtenerzählerin und sie versteht es, den Leser zum nachdenken zu bringen und seine eigenen Moralvorstellungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein weiterer spannender Aspekt dieses Buches, ist die Geschichte in der Geschichte, jene Teile, die fast märchenhaft anmuten. Es ist nämlich Minkas Geschichte, die ihr im KZ das Leben rettete. In ihr werden viele dieser moralische Fragen gestellt, die Frage, ob man als Monster geboren wird, oder sich auch dagegen entscheiden kann. Die Frage, ob, wenn der Bruder ein Monster ist, einen das automatisch auch selbst zum Monster macht. Und wieder einmal ist am Schluss des Buches nichts mehr so, wie es zu sein scheint. Dinge, die man für Gegeben hingenommen hat, werden über den Haufen geworfen und ganz am Schluss stellt sich nochmals die finale Frage, ob Sage nun richtig gehandelt hat. Und plötzlich macht auch die deutsche Titelwahl so unglaublich viel Sinn… »Aber Vergebung ist nichts, was man für einen anderen tut. Man tut es für sich selbst.« (S.544) Fazit: „Bis ans Ende der Geschichte“ bietet unglaublich viele Denkanstösse, um sich mit den Themen Schuld, Vergebung, Gnade und Rache zu beschäftigen. Es zeigt, dass wir Menschen nicht einfach nur in Gut und Böse unterteilen können, sondern dass die Grenzen fliessend sein können. Ich finde es ungemein wichtig, sich mit dem Thema Holocaust auseinander zu setzen und das nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dieses Buch bietet dafür gute Einblicke in die Gedankenwelt beider Seiten. Und es lässt einem nicht mehr so schnell los.

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