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Rezension zu
Der Schneegänger

Er war unterwegs, um die Unschuld zu töten...

Von: Mikka Liest
28.06.2016

Die Geschichte klingt erstmal sehr gradlinig: ein kleiner Junge verschwindet spurlos, ein paar Jahre später wird sein Skelett gefunden, schon nach wenigen Tagen wird der Vater als Hauptverdächtiger verhaftet. Zwischen den Eltern gab es oft Stress, wird gemunkelt. Medea-Syndrom, vermutet eine Ermittlerin: wenn ein Elternteil das Kind tötet, um den Partner zu bestrafen. Aber natürlich stellt sich schnell heraus, dass an diesem Fall absolut gar nichts einfach oder gradlinig ist. Die Ermittler graben eine Schicht nach der anderen ab, finden alte Schuld, alten Verrat, alten Neid, alte Gier... Und dennoch ist kein Ende in Sicht. Die Wendungen (und Sackgassen!) haben mir gut gefallen, denn dadurch fand ich den Fall nicht vorhersehbar oder ausgelutscht! Ich bin nur so durch die 448 Seiten geflogen und habe mich dabei sehr gut unterhalten gefühlt. Spannend ist es in meinen Augen auch, obwohl das Augenmerk der Geschichte oft eher auf dem Drumherum liegt: auf dem Zwischenmenschlichem, das nicht immer direkt mit dem Fall zu tun hat. Schon im ersten Band der Reihe ("Das Dorf der Mörder") verbiss sich Sanela Beara, die zu der Zeit nur eine kleine Streifenpolizistin war, in den damaligen Fall wie ein zu allem entschlossener Zwergpinscher und pfiff dabei munter auf Regeln und Befugnisse. Inzwischen ist sie keine Streifenpolizistin mehr, sondern Beamtin auf Probe im ersten Jahr des Masterstudiengangs Gehobener Polizeivollzugsdienst - aber immer noch wild entschlossen und nur zu bereit, aus der Reihe zu tanzen... Sie ist ohne Zweifel hochintelligent, vielleicht sogar brillant, und dabei einfühlsam und sehr intuitiv: sie hat ein untrügliches Gespür dafür, was Menschen bewegt, aber nur wenig Geduld mit Bürokratie und den hierarchischen Strukturen bei der Polizei. Das macht sie zu einem kantigen, gelegentlich sperrigen Charakter, aber auch zu einem sehr interessanten! Sie war mir sympathisch, ich habe gerne über sie gelesen, nur manchmal hat mich nicht überzeugt, mit was sie alles durchkommt, ohne dass sie hochkant rausfliegt und sich von einer Karriere bei der Polizei endgültig verabschieden kann. Ab und an wirkte es auch mich fast schon überheblich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich über die Regeln hinwegsetzt, weil sie sicher ist, dass sie alleine den Weg zur Wahrheit verfolgt. Außerdem ist sie verstörend anfällig für die Attraktivität von Tatverdächtigen... Mit Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring verbindet sie eine Art Hassliebe (meist mit Tendenz zum Hass), und obwohl sie sich im letzten Fall gegenseitig den letzten Nerv gekostet haben, fordert er sie auch dieses Mal wieder an. Schade fand ich, dass es relativ wenige Szenen gibt, in denen die beiden direkt miteinander zu tun haben, denn die Chemie zwischen ihnen ist sehr interessant! Keine Liebesgeschichte, aber da sprühen dennoch die Funken. In "Der Schneegänger" folgt der Leser ihren Erlebnissen meist getrennt voneinander, und Sanela steht eindeutig mehr im Rampenlicht. Sie ermittelt auf eigene Faust, benutzt ihre Kontakte in der kroatischen Community, fordert alte Gefallen ein, sprich: bringt den Fall voran und findet Sachen heraus, und dabei bewegt sie sich auf verdammt dünnem Eis. Gehring dagegen verrennt sich in Sackgassen und räumt hinter ihr her, indem er ihr zum Beispiel nachträglich die Befugnis besorgt, versteckt zu ermitteln. Sehr bedauerlich, denn er verkauft sich meiner Meinung nach deutlich unter Wert! Zitat: "Die Last des Gewehrs schien zentnerschwer. Darko blieb stehen und musste sich an einem Baum abstützen. Der Wind trieb die Wolken vor sich her, und für einen kurzen Moment schimmerte silbernes Mondlicht durch die kahlen Äste. Wie viel Schuld trug er selbst? Alle. Er war unterwegs, um die Unschuld zu töten." Den Schreibstil fand ich wieder großartig, sehr aussagekräftig und dabei voller Atmosphäre und ungewöhnlicher Metaphern. Fazit: Ein kleiner Junge wird ermordet, seine Leiche erst vier Jahre später gefunden. Da die Eltern des Jungen aus Kroatien stammen, wird Sanela Beara zu dem Fall dazu gerufen, obwohl sie nur Beamtin auf Probe und Studentin im Fach Gehobener Polizeivollzugsdienst ist. Eigentlich soll sie nur übersetzen und beobachten, fängt aber schnell damit an, auf eigene Faust versteckt zu ermitteln... Mir hat gut gefallen, wie vielschichtig und unvorhersehbar (zumindest in meinen Augen) sich die Geschichte entwickelt! Ich fand sie spannend und gut geschrieben, und besonders vom abwechslungsreichen Schreibstil war ich sehr angetan. Auch die Charaktere fand ich im Großen und Ganzen glaubhaft - mit einer Ausnahme: ich fand nicht mehr gänzlich glaubhaft, wie unverfroren sich Sanela über alle Regeln hinwegsetzt, ohne dass dieses Verhalten ihre Karriere bei der Polizei auf der Stelle beendet! Davon abgesehen ist sie für mich aber eine sympathische Heldin, über die ich gerne gelesen habe.

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