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Rezension zu
Charlotte

Bilder – stärker als Familienblut

Von: Tanja Jeschke aus Stuttgart
02.06.2016

Von Tanja Jeschke Auf dem Cover des neuen Romans des Pariser Autors David Foenkinos schaut eine Frau den Betrachter eindringlich an und etwas skeptisch. Es ist Charlotte, um die es in dem gleichnamigen Roman geht, die jüdische Malerin Charlotte Salomon, geboren 1917 in Berlin, vergast 1943 in Auschwitz. Foenkinos Art, ihr Leben zu beschreiben, lässt den Leser zunächst genau diesen Blick von Charlotte einnehmen. Denn warum setzt der Text bei jedem Satz in einer neuen Zeile an? Lauter einzelne Aussagen, untereinander gereiht? Doch dann wird klar: Jeder Satz wird so zu einem Versuch, diesen schweren Beginn zu diesem bleischweren Leben noch einmal zu wagen. Manchmal sind es nur Ellipsen: „Rein zufällig“-„Alles schon vorbei“ – „Ohne Luftholen“. Es entwickelt sich ein Sog beim Lesen, der jede Skepsis fortreißt, und man ist froh, dass es diese vielen Endpunkte gibt auf jeder Seite, denn dann kann Luft geholt werden, und die ist nötig bei diesem Roman. Charlotte konnte keine Luft holen, weder in Auschwitz noch davor. Dabei bestand ihr Leben vor allem aus Endpunkten. Ihre Familiengeschichte raubt einem gänzlich den Atem, und zwar ganz unabhängig von der Verfolgung durch die Nazis. Foenkinos lässt den Mord an der jungen begabten Frau beinahe wie einen Schicksalsschlag erscheinen, der ihr vorgeschrieben war: In ihrer großen Familie herrschte der Tod, viele Mitglieder bringen sich selbst um, vor allem die Frauen, eine nach der anderen versinkt in grundloser Schwermut, stürzt sich auch dem Fenster, versinkt im eisigen Fluss. Eine genetische (?) Anlage zum Selbstmord – aber Charlotte wollte aus dem Grauen raus, sie wollte malen. Es gelingt dem Autor die Tragik zu vermitteln, die gerade darin liegt, dass sie mit ihren Bildern gegen die innere Todessehnsucht anmalte, sich selbst überwand, um dann den Nazis in die Fänge zu geraten und doch sterben zu müssen. Er zeigt, dass Charlotte keine Gefangene eines vorbestimmten Schicksals war, weil ihre Bilder sie überleben ließ, weil Kunst stärker ist als Familienblut. Der Roman führt den Leser ganz nah an die Malerin heran, und man mag ihr nicht mehr von der Seite weichen - bis zum letzten Endpunkt.

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