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Rezension zu
Wer hat den schlechtesten Sex?

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Gabinetto Segreto der Literatur

Von: Atalante
27.08.2015

Im Neapler Museo Nazionale findet sich neben Mosaiken und Malereien aus den vom Vesuv zerstörten Städten ein spezieller Ausstellungsraum. Dieses Gabinetto Segreto war zum Schutz empfindsamer Seelen lange nur mit Sondererlaubnis zu betreten. Wer diese jedoch erhielt, konnte sich an erotischen bis derb sexuellen antiken Artefakten ergötzen. Ein derartiges erotisches Geheimkabinett im literarischen Sinne hat Rainer Moritz zusammengetragen. Der Titel „Wer hat den schlechtesten Sex?“ weist auf die spezifische Ausrichtung seines Sammelgebiets. Rainer Moritz, Kritiker und Leiter des Literaturhauses Hamburg, wurde nicht erst in seinem Studium der Literaturwissenschaften mit literarischen Feuchtgebieten konfrontiert. Wie viele leidenschaftliche Leser suchte und fand er schon in jungen Jahren die besten Stellen in heimischen Bücherbergen. Seine Initiation erfolgte beim eher soften Sex in „Narziß und Goldmund“, deutlichere Fingerzeige hingegen lieferte ihm Daniel Defoe. Ich gehöre zur gleichen Generation wie Moritz und erinnere mich an ähnliche Erfahrungen. Jedoch stieß ich im Regal meiner Eltern auf Casanova, wodurch ich dem Hesse-Leser einiges voraus hatte. Sein Defizit konnte Moritz bald mit „Moll Flanders“ ausgleichen, ein Bücherei-Buch, welches er unbehelligt studieren konnte, während meine Mutter "Die Memoiren der Fanny Hill" kurzerhand entsorgte. Diesem sehr persönlichen Einstieg in das Metier lässt der Autor eine akribische Analyse von Stellen und Stellungen folgen. Wissenschaftlich korrekt definiert er zunächst den Untersuchungsgegenstand. Was als erotische, was als pornographische Literatur gewertet wird, wandelt sich im Laufe der Zeit, wobei, wie die oben genannten Beispiele zeigen, die ältere nicht unbedingt die harmlosere sein muss. Moritz kündet in diesem Kapitel an, welche dunklen Winkel er auf den nachfolgenden Seiten erkunden wird. Seine Quellen findet der Forscher unter anderem bei Günter Grass und Clemens Meyer, Charlotte Roche und E. L. James. Mit deren Stellen führt er äußerst unterhaltsam aus, „was dieses Buch belegen soll. Kandidaten für den „schlechtesten Sex“ gibt es genügend“. Ist es überhaupt möglich, gut über Sex zu schreiben? Diskutiert wurde darüber schon oft. Moritz erinnert an den berühmten Eklat im Literarischen Quartett. Ich denke an eine Diskussion in einem schon längst erloschenen Forum. Wäre das Verschweigen eine Alternative? Mir kommt da ein Satz Wittgensteins in den Sinn, „was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen“? Oder hilft es, die Sache einfach zu überspringen? Als Gewährsmann dient Wolf Haas, dem es trotz eines Titels wie „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ peinlich ist, über Sex zu schreiben oder davon zu lesen. Er ist in guter Gesellschaft, dies zeigen beispielsweise Flaubert, Fontane und Frisch. Sie wussten, die schönste Sache der Welt gekonnt zu verklausulieren oder auf zahlreichen Wegen zu umgehen. Doch die Zeiten der Kutschfahrten und Gedankenstriche scheinen ein für alle Mal vorbei. Welche Blüten Schriftsteller treiben, wenn sie es treiben lassen, zeigt Rainer Moritz an Werken der neuesten Literatur. Wir begegnen Martin Walser, Elfriede Jelinek und Philip Roth, den üblichen Verdächtigen, so möchte man meinen. Aber auch Bernhard Schlink, Clemens J. Setz und Jonathan Franzen liefern Stellen. Korrekt aber nie ohne Ironie kommentiert der Connaisseur ihre Metaphorik. Sie bedienen sich bei Flora („Brüste (...) wuchsen (...) wie Kürbisse sogar über den Bauch hinaus“ - B. Sichtermann) und Fauna („Er kam wie ein trinkendes Pferd“ - J. Salter), finden Passendes im Baumarkt oder Feinkostladen (H-J. Ortheil). Dennoch, die Varianten des herausgestöhnten Vokabulars sind begrenzt. Alleine Großmeistern wie Martin Walser versagen auch hier nicht die Worte. Dieser Autor weiß auch um die Leiden des alternden Mannes, der als Spätsünder bisweilen zu „Matratzendesaster“ (9. Kap.) neigt. Manchmal führt die Recherche Moritz in Gefilde, die strenggenommen jenseits der Literatur liegen. Schlagertexte von Udo Jürgens und Loriots unvergessener Staubsaugervertreter fügen sich neben anatomisches Detailwissen und runden das Bild ab. Auch Kritikerkollegen lässt der Autor zu Wort kommen, um gegen Ende wieder bei einem der berühmtesten, Marcel Reich-Ranicki, zu landen. Dessen Meinung zu Murakamis erotischer Potenzpoesie darf angezweifelt werden. Immerhin galt der japanische Autor im letzten Jahr nicht nur als Anwärter für den Literaturnobelpreis, sondern ebenso für den Bad Sex in Fiction Award. Doch diesen erlangten nicht er und sein farbloser Herr Tazaki, sondern Ben Okris „The Age of Magic“. Im Bereich der deutschen Gegenwartsliteratur fehlt eine derartige Auszeichnung noch. Sie würde, um beim Phallischen zu bleiben, in der dicht besiedelten Preislandschaft steil herausragen. Wem der Juryvorsitz gebühren würde, das ist nach diesem Buch klar. Ein Regelwerk hat der künftige Vorsitzende bereits vorgelegt. Gehüllt in ein haptisch zwischen Samt und Latex changierendes Cover wird es von einem Literaturverzeichnis und einem Register der angeführten Autoren ergänzt.

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