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Rezension zu
Kind 44

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Kind 44

Von: Kaisu
04.08.2015

"Es gibt keine Kriminalität." [S.37] Es ist der Leitsatz, der das komplette Buch ausmacht. Unter Stalins Herrschaft gibt es keine Morde. Es gibt vielleicht Unfälle aber auf keinen Fall Kriminalität. Damit das auch so in den Köpfen der Bewohner verankert wird, gibt es das MGB - die Staatssicherheit. Sie kontrolliert, spioniert und hat dafür zu sorgen, dass auch ja keiner aus der Reihe tanzt. Wenn doch, hatte er damit zu rechnen nach brutalen Verhören in Arbeitslager oder ähnliches verschleppt zu werden, sofern er die Folter überlebte. Leo ist ein MGB Offizier. Er dient seinem Land und kann sich entsprechend einen Wohlstand leisten, den kaum einer hat, der nicht für den Staat arbeitet. Er hat eine hübsche Frau und eigene vier Wände. Ein Luxus. Doch dann beginnt das stabile Gerüst zu wanken. Immer mehr Steine werden gelockert und die Fassade beginnt zu bröckeln. Ist er doch nicht der knallharte Offizier? Verheimlicht er etwas? Hegt er falsche Gedanken? Plötzlich wenden sich seine eigenen Kollegen gegen ihn und er muss sich entscheiden: Familie? Frau? Luxus? Verrat? Verbannung? Doch was ist passiert? Das Buch fängt recht ruhig im Jahre 1933 in der Sowjetunion an. Gute zwanzig Jahre vor den eigentlichen Ereignissen. Damals herrscht ein bitterer Winter. Eine Hungersnot bricht aus, die die Menschen sogar zum Kannibalismus zwingt. Diese Grausamkeit ist geschichtlich auch unter dem Namen "Holodomor" bekannt. In dieser Zeit wachsen die beiden Jungen Pavel und Andrej auf. Sie sind gerade auf der Jagd nach ihrem Abendessen - einer ausgemergelten Katze - als plötzlich Pavel verschwindet. Verzweifelt ruft sein jüngere Bruder nach ihm. Vergebens. Auch zu Hause ist er nicht angekommen. Pavel ist vermutlich das Opfer einer verhungerten Familie geworden und im Eintopf gelandet. Nach einem Cut befinden wir uns dann im Jahre 1955 in Moskau. Es ist eisig kalt. Ein Mann namens Leo ist mit einer Observierung beschäftigt. Diese läuft allerdings nicht so wie geplant. Ihr "Staatsfeind" konnte sich absetzen und ist geflüchtet. Das sollte einem Geheimoffizier eigentlich nicht passieren. Für Ärger und Hohn ist gesorgt. Dabei bleibt es jedoch nicht. Zwar bekommt er eine Chance seinen Patzer auszumerzen, doch man hat schon angefangen gegen ihn zu arbeiten. Stück für Stück werden die Stuhlbeine abgesägt. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." "Kontrolliere die, denen du vertraust." [S.55] Zunächst merkt Leo nichts davon. Erst als er nach einer schweren Erkältung wieder arbeiten geht, spürt er die Veränderung. Er wird dazu gezwungen seine Frau auszuspionen. Sie ist eine Staatsfeindin, was er nicht glauben will und so übernimmt er den Job, um ihre Unschuld zu unterstreichen. Zunächst ist er sich nicht sicher, ob dies nicht nur ein gemeiner Schachzug seiner Kollegen ist, um ihn von seinem Posten zu stoßen. Die Zweifel kommen jedoch mit der Zeit angekrochen und nun ist er sich nicht mehr sicher, wem er trauen soll. Außerdem wird er vor die Wahl gestellt: Seine Frau auszuliefern und seine Familie, sprich seine Eltern und seinen Stand somit retten oder eben nicht. Womit seine Chancen steigen degradiert zu werden. Was nicht immer nur den Jobverlust, sondern auch den Tod bedeuten kann und wer sollte schon herausfinden, dass das kaltblütiger Mord war? Schließlich gibt es keine Kriminalität. Wo ist nun der Bogen zu den Kindern? Ganz einfach. Parallel zu der Observierung wird einer Kinderleiche neben Bahngleisen gefunden. Auf den ersten Blick schaut es nach einem fiesem Unfall aus. Doch der Vater des Kindes hegt Zweifel daran. Ebenso berichtet der Finder von Details, die einfach nicht zu einem Mord passen. Wie wir jedoch schon wissen: Es gibt keinen Mord. Also darf man offiziell nicht daran arbeiten und auch keine Zweifel an diesem Manifest hegen. Leo wird hier mit hineingezogen. Bleibt aber bei seinem Standpunkt, dass es ein Unfall war. Soll die Familie etwas anderes denken. Der Staat sagt etwas anderes. Einige Zeit später stolpert Leo wieder über eine Kinderleiche. Wieder in der Nähe der Bahngleisen. Wieder ist der Bauchraum zerstört. Schaut aus, wie ausgenommen und auch weitere Dinge stimmen überein. So fängt der ehemals steinharte Leo an, weich zu werden. Er überlegt, recherchiert und gerät sehr schnell an seine Grenzen. Schließlich bleibt so etwas in einem Überwachungsstaat, wo jeder auf seinen eigenen Profit bedacht ist, nicht unbemerkt. Wie man merkt, ist die Geschichte sehr komplex. Jedes Steinchen, was hier gesetzt wird, dient allerdings dem sicheren Grundgerüst, dass sich die Story nach und nach aufbaut. Man spürt die Angst der Menschen. Man bibbert mit ihnen in der Kälte mit. Man fühlt ihre Verzweiflung. Gleichzeitig brodelt die Wut in einem. Vor allem, wenn man sich bewusst wird, dass es das MGB (später KGB) wirklich gab. Dass die Menschen - ähnlich wie in der DDR - überwacht wurden und Staatskritiker sowie Feinde gnadenlos ausradiert wurden. Das sorgt für eine dauerhafte unterschwellige Spannung in dem Buch, die sich bis zum Ende zieht. Schließlich will man wissen, was mit den Kindern passiert ist und welcher Zusammenhang zu dem Kannibalismus besteht. Entsprechend fühlte ich mich sehr gut unterhalten. Zeitweise hatte ich etwas mit der Komplexität zu kämpfen - gerade zu Beginn, wenn man noch nicht alle Namen kennt und die feinen Verbindungen erst einmal gedanklich aufbauen muss. Das legt sich aber rasch, je tiefer man in die Handlung eintaucht. Verabscheute man zu Anfang noch Leo, schließt man ihn irgendwann in sein Herz und bangt mit ihm mit. Alles in allem kann ich dieses Buch jedem Thriller-Leser empfehlen, der es komplex und verworren mag, der ein überraschendes Ende bevorzugt und nichts gegen die Einflechtung wahrer grausamer Begebenheiten hat. Ja, ich hatte gegen Ende einen "Oh, Ha!" Moment, denn es kommt eine Wendung die so nicht vorhersehbar war und wenn ich dann höre, dass dies im Film abgeändert wurde, ist das natürlich sehr schlecht ...Daher rate ich erst recht zum Buch! Der Nachfolger liegt hier schon bei mir im Regal und wird sicher bald ebenfalls von mir verschlungen werden.

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