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Rezension zu
Der magische Spiegel. Chinesische Märchen und Novellen aus den Zeiten der Blüte

Meditativ-kontemplative Märchensammlung.

Von: Koreander
05.06.2023

Der magische Spiegel von Lo Ta-Kang ist eine Auswahl von Märchen und Novellen aus den Zeiten der Blüte. Genau genommen umfassen die Märchen den Zeitraum vom 6. Jahrhundert bis ins 17. Jahrhundert. Dabei ist die titelgebende Geschichte auch die älteste und stammt um das Jahr 600. Eine Hälfte der Erzählungen stammt von Literaten, die andere Hälfte sind quasi Volksmärchen. Und so divers wie die Eckdaten sind, so unterschiedlich sind auch die Geschichten und deren erzählerische Qualität. Gleichzeitig haben die Märchen nicht nur eine unterhaltende Funktion, sondern sie sind zugleich Dokument ihrer Zeit und Kultur. Lesen ist immer auch auf einer höheren Eben, das empirische Studium der Kulturgeschichte. Je mehr man sich in die (alte) chinesische Literatur vertieft, desto mehr stellt man fest, wie sehr diese sich gegenseitig referenziert. Was anfangs ohne Interpretationshilfen gar nicht auffallen kann, lernt man mit der Zeit selber erkennen. Ebenso wie sich unzählige „klassische“ Figuren der Mythologie durch die Geschichten ziehen. Allem voran sicherlich die Füchsin. Insofern ist es äußerst spannend alte Märchen und Novellen zu lesen, auch gerne die Unbekannteren, um in den großen chinesischen Werken die Verweise zu erkennen. Dieses Eintauchen in die alte chinesische Kultur hat einen ganz besonderen Zauber. Der „chinesische“ Schreibstil ist völlig anders, als der uns gewohnte. Nicht nur die alte Sprache entführt in die fantastischen Welten, es ist auch ein anderer Umgang mit Hintergrundgeschichte, Spannungsbogen und Protagonist*innen. Wenn man das erste Mal auf solche Erzählungen stößt, kann man durchaus abgeschreckt werden. Da wo die Geschichte eigentlich an Fahrt aufnehmen sollte (so unsere westliche Erwartungshaltung), ist sie plötzlich bereits zu Ende. Wen wir für den Protagonisten gehalten haben, der spielt plötzlich überhaupt keine Rolle mehr, Einleitung und Ende werden gerne mal weggelassen oder auch einfach gleich der komplette Spannungsbogen. Das sind natürlich nur unsere Eindrücke, weil wir uns erst auf die Erzählung einlassen müssen und die historischen wie kulturellen Eigenheiten wissen müssen. Der Sammelband ist hierfür ausgezeichnet geeignet. Viele chinesische Geschichten sind durchsetzt mit taoistischer Mythologie (Magie), mit Lehren des Konfuzianismus (Kindespflicht) und Buddhismus. Die hier präsentierten Märchen und Novellen bilden da eine gute Auswahl. Von allem ist etwas dabei. Zwar gibt es einige wenige Fußnoten, die chinesische Besonderheiten erhellen sollen. Doch sind diese für meinen Geschmack zu selten und nicht ganz nachvollziehbar gesetzt. Gerade deswegen lohnt es sich aber, den Begriffen selber nachzugehen und somit ein besseres Verständnis zu entwickeln. So entdeckt man auch den roten Faden durch die Geschichten, der einem ansonsten weitestgehend verborgen bleiben dürfte. Dann wird eine unterhaltsame Märchenlektüre plötzlich zu einem kontemplativen Erlebnis. Und das ist der wesentlichste Unterschied zu europäischen Märchen. Natürlich haben auch diese meist eine Lehre, einen pädagogischen Kern oder zumindest eine kulturell-historische Referenz, aber die Ausrichtung ist eine völlig andere. Der Wertehorizont unterscheidet sich fundamental. Man könnte nicht ganz zu Unrecht sagen, dass Europa zur gleichen Zeit immer deutlich weiter in der Barbarei steckte. Und dennoch waren und sind die Probleme der Menschen zu allen Zeiten, an allen Orten die Gleichen. Man kann Der magische Spiegel also sehr unterschiedlich lesen. Man kann sich einfach von der alten chinesischen Fantastik entführen lassen, was allein schon ein Vergnügen ist. Oder diese Märchensammlung in einen größeren Zusammenhang setzen und sie als Einführung in Literatur, Kultur und Mythologie Chinas lesen. Aber Vorsicht, Letzteres kann süchtig machen.

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