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Rezension zu
Daheim

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Endlich wieder im Judith Hermann-Space

Von: Marina Büttner
25.08.2021

Wie gut, dass ich hier das Hörbuch gewählt habe. Judith Hermann hat ihren neuen Roman „Daheim“ selbst eingelesen und ihre dunkle Stimme trägt den Text ganz wunderbar und schafft die passende Atmosphäre. Ich habe mich regelrecht in diese Stimme verliebt. Da es zur Zeit ja noch kaum echte Lesungen gibt, ist diese ungekürzte Lesung über mehr als 4 Stunden ein echtes Highlight gewesen. Hochinteressant ist, und das fällt mir erst ganz am Schluss auf, dass der Titel „Daheim“ irgendwie so gar nicht auf den Inhalt der Geschichte zutrifft. Ich empfinde alle in dieser Geschichte als heimatlos, obwohl die meisten der Protagonisten schon seit ihrer Geburt an diesem Ort zuhause sind. Vielleicht finde ich mich einfach zu sehr in der Heimatlosigkeit der Heldin. Vielleicht kenne ich einen solchen Ort, wie den, an dem diese Geschichte spielt, viel zu gut, nur war er für mich nie Heimat. Das Nächste, was mir auffällt: Alle in dieser Geschichte haben Namen, nur die Hauptfigur nicht. Da ist der Bruder Arild, in dessen Kneipe sie arbeitet. Die Kneipe am Seglerhafen eines Dorfes an der Nordsee. Von ihm nur gepachtet, vielleicht nur für eine Saison. Das kleine Haus der Heldin angemietet für eine unbestimmte Zeit, nebenan wohnt Mimi, die Malerin, die zur Freundin wird. Die einmal kurz Geliebte des Bruders war. Doch der Bruder hat sich in eine wesentlich jüngere Frau verliebt, Nike, die wie eine Verlorene erscheint und die der Bruder retten will. Und selbst der weit entfernt lebende Exmann der Heldin Otis, mit dem sie immer noch in Briefkontakt steht, ist in seiner Sammelleidenschaft, die vielleicht schon messieartig ist, gefangen, aber nicht beheimatet. Auch die Tochter der beiden, gerade erwachsen geworden, hat ihre Zuhause aufgegeben und ist in der Welt zu Wasser und zu Land unterwegs wie eine Nomadin. „Neulich war eine Amsel in der Falle, ganz am Anfang eine dicke Katze.“ „So ist das“, sagt Onno, „du fängst selten das, was du fangen willst. Du fängst mitunter was ganz anderes. Dann musst du sehen, was du damit machst.“ Die Protagonistin ist eine, die sich treiben lässt, sich meist auf ihre Intuition verlässt, die jedoch weiß, was sie nicht will. Zum Bespiel wollte sie als junge Frau, die in einer Zigarettenfabrik arbeitete, nicht wie alle anderen zur Mittagszeit „Mahlzeit“ sagen. Und sie wollte dann auch nicht auf das Angebot eines Zauberers eingehen, sich als seine Assistentin auf einem Kreuzfahrtschiff in zwei Teile zersägen zu lassen. Und sie wollte irgendwann nicht mehr Ehefrau sein, als die Tochter ihrer eigenen Wege ging. Nun lebt sie an der See und lebt weitestgehend in den Tag hinein. Bis auf die Arbeit in der Kneipe ist ihr Tag kaum strukturiert. Mal kommt Mimi auf einen Kaffee oder holt sie ab zum Schwimmen. Mimi, die Künstlerin, die mit dem großen Selbstvertrauen. Auch Mimis Bruder, der seit jeher nur auf dem Bauernhof der Eltern lebt und der immer das gleiche tut, taucht auf im Leben der Protagonistin. Mit ihm hat sie eine Affäre, die auch einfach zu geschehen scheint, ohne eigenes Zutun. Ihren Bruder versucht sie ein wenig in die Spur zu bringen, doch außer Nike zählt bei ihm meist gar nichts. Wir erleben eine dörfliche Geburtstagsfeier, auf der sich alle kennen, nur sie ist die Neue. Ein Schuhkarton. Otis hat auf den Deckel geschrieben: Meine Liebe, ich versuche das Archiv aufzulösen, weil die Welt sich auflöst. Es gibt Sachen, die du gebrauchen kannst, die wir gebrauchen werden, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren. Und ich klappe den Deckel auf. Er hat mir einen Weltempfänger Salut 001 Made in UDSSR geschickt, der so aussieht, als wäre er ungefähr so alt wie ich.“ In Hermanns Roman geschieht sehr wenig, es wird auch wenig gesprochen. Doch minimalistisch ist das Buch nicht. Es lebt von einer großen Fülle an Ideen und Vorstellungen, von Möglichkeiten und von Hinweisen und natürlich von seiner wunderbaren Sprache. Das Eingesperrtsein taucht mehrmals als Motiv auf: Fallen, Kartons und Zauberkisten. So ist es kein Wunder das gleichzeitig auch der Wunsch nach Befreiung zählt. Befreiung aus einem falschen Leben? Doch was ist ein/das richtige Leben? Dem geht die Autorin und gleichzeitig unweigerlich die Leser*innen auf die Spur. Eine Suche, die auch am Ende des Buches noch nicht abgeschlossen ist. Was bleibt, ist die Atmosphäre, diese besondere Form der Melancholie, die mich umfängt, so bald ich an das Buch zurückdenke, dieser typische Judith Hermann-Space, den es schon ganz am Anfang in ihren Erzählungen gab. Ein besonderes Leuchten!

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