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Rezension zu
Walden

Die "Bibel" der Natur

Von: Belle Novelle
21.09.2020

"Walden" von Henry David Thoreau ist ein Buch, mit dem ich schon häufig in Berührung gekommen bin, ohne es je in Gänze gelesen zu haben. Sei es in Sekundärliteratur für mein Studium oder aber auch in meiner Freizeit in Sachbüchern: Auf Thoreau wird immer gerne Bezug genommen, und Zitate aus seinem Werk reichern Texte enorm an – Zitate, die mich immer sehr angesprochen haben. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich "Walden" selbst einmal lesen musste. Bevor ich über meine persönlichen Leseeindrücke zu sprechen komme, möchte ich vorab ein wenig zum Inhalt des Buches und zum Autor schreiben: Henry D. Thoreau wurde am 12. Juli 1817 in Massachusetts geboren und wurde mit viel handwerklichem Geschick von seinem Vater gesegnet. Früh bemerkte er jedoch, dass es ihn in die Universität zog, wo er sich in Harvard letztendlich auch dem amerikanischen Transzendentalismus anschloss. Freiheit (die Sklavenbefreiung und der Kampf um Frauenrechte) und die Nähe zur Natur waren vor allem das Ziel der Bewegung. Susanne Ostwald benennt sie im Nachwort als „Gegenkraft zur fortschreitenden Industrialisierung“. (S. 572) Als Höhepunkt zieht Thoreau für zwei Jahre, am 4. Juli 1845, in eine selbstgebaute Hütte an den Walden-See, wo er vollkommen autark lebt – er lebt von dem, was ihm der Wald und der See zur Verfügung stellen. Am 6. September 1847 verlässt er seine Hütte, beendet das Leben im Wald und schreibt seine Erfahrungen mit Natur, Tier und Mensch nieder. "Walden" wurde zu einem der wichtigsten Bücher des 19. Jahrhunderts, gehört zur heutigen Weltliteratur und gilt als Beispiel für ein nachhaltiges und umweltfreundliches Leben. 539 Seiten voller Naturbeschreibungen und Selbstreflexion mag für viele nach einem Schauerroman klingen, doch was ist, wenn jede Beschreibung einer Intention zugeordnet werden kann? Was ist, wenn der Autor nicht wahllos beschreibt, sondern mit Sinn und Verstand? Dann kann jede noch so kleine Beschreibung zu einem Fest werden. Auf den ersten Seiten richtet sich Thoreau gegen die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Er nimmt dabei keine Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen und spricht, wie er es auch selbst von einem tugendhaften Menschen erwartet, die Wahrheit: „Man sage, was man zu sagen hat; nicht, was man glaubt, sagen zu sollen. Jede Wahrheit ist besser als eine Scheinwelt.“ (S. 529) Gerade diese Direktheit schätze ich sehr an dem 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Autoren treten dem Leser unglaublich nah, und wenn man sich erstmal auf die Kritik einlässt, kann man viele unterhaltsame Stunden mit ihr verbringen – für mich wirkt es häufig satirisch. Der Mensch, der unersättlich ist, alles und am besten sofort konsumiert und sich in der Arbeit verliert. Leben um zu arbeiten, um dann einmal im Jahr Urlaub machen zu können. Thoreau versteht diese Lebensweise nicht, wenn man doch immer, sein gesamtes Leben über Freiheit haben kann. Genau diese Freiheit und das Reisen sind außerdem Themen, die er gerne und häufig aufgreift. Er hat dazu eine klare Haltung: “Was bedeutet mir Afrika, was der Wilde Westen? Ist nicht unsere Innenwelt noch ein weißer Fleck auf der Karte? […] [S]ei ein Kolumbus und entdecke neue Welten in dir selbst, erschließe neue Wege, nicht des Handelns, sondern des Denkens.“ (S. 517 f.) "Walden" bietet aber auch viel Gesprächs- und Diskussionsbedarf. Thoreau stellt im Laufe des Buches immer wieder Verhaltenskodexe auf, an die man sich im Leben halten sollte. Sei es der Konsum von Fleisch, von Alkohol, die Musik oder aber auch die Sexualität: Der Mensch hat komplett enthaltsam und zurückgezogen zu leben. Er legt alles eindrücklich dar, doch zieht sich letztendlich selbst von seinem Kodex zurück: „Meine Anschauung habe ich hier niedergelegt; ob ich ihr nachlebe, gehört nicht hierher.“ (S. 352) Solche Sätze lassen den Leser etwas irritiert zurück und ja, lassen Thoreau auch unglaubwürdig wirken. Man kann ihn schwer ernst nehmen, was an seiner teilweisen linken Haltung liegt, von der er aber immer wieder zurückrudert. Es ist ein ewiges Hin und Her, was spannend und auch amüsant zu beobachten ist. "Walden" ist ein Buch, das man nur mit gezücktem Stift lesen kann. Man muss bereit sein, sich mehrere Tage zu nehmen, damit man genug Zeit hat, das Gelesene zu reflektieren. Doch hat man sich einmal die Zeit genommen, wird es ein lebenslanger Begleiter sein, davon bin ich überzeugt. Es ist gewissermaßen die Bibel der Natur und genau so sollte man "Walden" auch lesen: gewissenhaft, nicht jedes Wort allzu ernst nehmend und doch sollte man die Botschaft im Herzen speichern: „Die Erde ist nicht nur tote Geschichte, Schicht auf Schicht wie die Seiten eines Buches, in dem Geologen und Altertumsforscher blättern können, sie ist lebendige Dichtung wie die Blätter eines Baums, die den Blüten und der Frucht vorangehen; sie ist nicht versteinert, sie lebt.“ (S. 498) Und das, was lebt, sollte man gut behandeln, findet ihr nicht auch? Ein grandioses Buch. Unbedingt lesen und nicht wieder vergessen.

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