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Rezension zu
Der Marsianer

Mark Watney darf nicht sterben!

Von: Britta Peters
19.04.2015

Oder: Wenn du zum Mars gehst, vergiss die Kartoffel nicht! Andy Weirs SF-Roman »Der Marsianer« schildert den fatalen Fehlschlag einer NASA-Mission, die den Astronauten Mark Watney zum Helden macht. Es gibt Bücher, die muss man lieben – weil sie etwas an sich haben, das sie einzigartig macht, weil ihre Protagonisten Schätzchen sind oder weil sie ein Thema behandeln, für das man brennt. Spätberufen habe ich ein Buch gelesen, das für mich alle drei Kriterien erfüllt. Empfohlen haben es wohlweislich nicht die Büchermenschen, sondern jene, die trotz Bildungsstand und Kaufkraft gern etwas abschätzig »Nerds« genannt werden. Aber seien wir ehrlich – Netzjargon und Nerdigkeit, das ist doch längst eingesickert in den Mainstream. Man geht nicht einfach nach Mordor, Good Guy Greg, denn: Winter is coming. Wer diesen Satz entziffern kann, wird am Sound von Der Marsianer Freude haben. Meme nutzen und verbreiten wir, einen Jargon haben wir uns zu eigen gemacht, der visuelle Signale mit verbalen mischt und nicht in einer Muttersprache verharrt. Wir produzieren Texte voller Smileys und teilen bei Facebook oder Twitter Weltraum-Hobbyfotos unserer Astronauten von der I.S.S. Wenn die sich aus dem Orbit melden, herzförmige Wolken posten und etwas dazu schreiben, ist Mark Watneys Haltung schon vorweggenommen. In der Literatur ist die Sprache der Nerds selten zu finden, man stelle sich nur mal einen Walser vor, dessen Protagonist fließend Leetspeak spricht und »My little Pony«-Shirts trägt. Schade ist das, denn Naturwissenschaftler, IT-Experten und Entwickler sind an den Innovationen heute fast schon mehr beteiligt als wir in Werbeberufen und joberhaltenden, blutleeren Forschungsprojekten umherirrenden Geisteswissenschaftler. Nur ist es so, dass Nerds zu selten Romane schreiben. Andy Weir ist Software Developer – Geisteswissenschaftler kichern nun: Nerd – und er schreibt über das, was er liebt. In diesem Fall einen Roman über das fiktive »ARES«-Projekt, bemannte Forschungsmissionen zum Mars. Auf seiner Homepage veröffentlichte er den Text bereits 2011, neben Kurzgeschichten und Fanfiction. Seine anderen Texte sind im englischen Original noch online (Und ja, einer davon beginnt mit »Oh yeah. I’m a mermaid.«). 2014 erschien die deutsche Übersetzung bei Heyne, und Fans der Hard Science Fiction dürfen sich freuen, denn er steht als wirklichkeitsnahe Technikvision in ihrer besten Tradition. Weirs Protagonist Mark Watney ist ebenfalls ein Mann mit vielen Talenten. Biologe, Techniker, Mitglied der ARES-3-Mission der NASA. Er erinnert an den Missionsleiter des Rosetta-Projektes, dessen lebensfrohes Grinsen nie von technischen Problemen zu erschüttern war. Das schaffte erst der Shitstorm (schon wieder Jargon) um das nicht ganz jugendfreie Motiv seines während der TV-Übertragung der Kometenlandung getragenen Lieblingshemdes. Watney ist auch so einer. Zielstrebig, fröhlich und unfassbar tapfer. Denn was ihm passiert, wünscht man nun wirklich keinem: Die Marsmission geht schief, das Team bricht vor Ort ab und auf dem Rückweg zur Landerakete wird im Staubsturm sein Raumanzug samt Elektronik schwer beschädigt. Die anderen müssen ihn laut dessen Anzeigen für tot halten und lassen ihn bewusstlos zurück. Watney rettet sich in das bereits aufgebaute Wohnmodul, in dem sich auch Vorräte für einen kurzen Aufenthalt befinden. Dort errechnet er für sein ab sofort geführtes Journal mit markigen Worten (»Ich bin am Arsch«) und mathematischer Präzision das Zeitfenster seines Überlebens. Dieser immer wieder aktualisierte Countdown bildet das Rückgrat des Romans. Eine Hoffnung gibt es, denn der nächste bemannte Flug ist bereits geplant – allerdings erst in vier Jahren. Es beginnt ein Kammerstück auf dem roten Planeten, denn Watney denkt nicht daran, einfach friedlich auf den Tod zu warten. Er hat Vorräte, Reste vorangegangener Missionen, wird auf die echten Mars-Rover als Material zurückgreifen und, tatsächlich, Kartoffeln anbauen. Weir gibt zu, aus künstlerischen Gründen an einigen Stellen die Physik etwas verbogen zu haben, damit die Story funktioniert. Dazu gehört die außer Acht gelassene radioaktive Strahlung des Mars-Regoliths, den der störrisch am Leben hängende Watney in sein Habitat schleppt, um ihn mit Fäkalien gedüngt in einen Kartoffelacker zu verwanden. Die Kartoffeln, sieben Stück sind es am Anfang, sind das kurioseste Detail des Plots, denn sie sollten eigentlich als Thanksgivingdinner die Moral der Mannschaft heben, die ansonsten brav auf Astronautenkost zurückgreift. So wird Watney also nicht nur der erste Marsbewohner, sondern auch der erste Mensch, der auf dem Mars sein eigenes Biogemüse anbaut. In seinem Journal macht der Biologe sich unterdessen Mut, bis zur Selbstmotivation (wiederum mit Mempotenzial) – »Mark Watney darf nicht sterben!« Unterdessen entdeckt man bei der NASA, dass das bereits betrauerte Crewmitglied lebt. Der Mannschaft der ARES-3-Mission, die sich auf dem psychologisch anstrengenden und langwierigen Rückflug befindet, wird das zunächst verschwiegen. Der Weltöffentlichkeit dagegen nicht – quer durch alle Medien entwickelt sich ein Watney-Hype. Projektentwürfe zur Rettung des Astronauten konkurrieren, eine chinesische Trägerrakete könnte der Schlüssel zu seiner Rettung sein, alternativ könnte die gebeutelte Crew in einem komplizierten Manöver erneut den Mars erreichen. Es ist eine der Stärken des Textes, dass er auf plumpes Weltallcruisen und flotte Flugmanöver à la Enterprise verzichtet. Einen tentakelbewehrten Freitag wird es auch nicht geben, und doch hat mit dem Marsianer das 21. Jahrhundert seine erste Hightech-Marsrobinsonade. Mark Watney, dessen schnodderige Tapferkeit ihn zum Sympathieträger macht, wächst beim Lesen trotz der etwas zähen ersten Seiten voller Gleichungen, Stücklisten und Rechenoperationen ans Herz, man will ihn wirklich nicht sterben sehen. Dazu kommt wie bei jeder guten SF der soziale Utopie-Anteil. Es sind nicht die USA, es ist die globalisierte Weltgemeinschaft, die Anteil am Schicksal des Gestrandeten nimmt. Allein China verfügt zum benötigten Zeitpunkt zufällig über (fast) einsatzbereites Material und in diesem Nahzukunfts-Szenario von einer zur Kooperation fähigen Menschheit heißt es bilanzierend: »Die chinesische Raumfahrtagentur hat ein Projekt aufgegeben, an dem sie Jahre gearbeitet hatte, nur um eine Trägerrakete beizusteuern.« Das ist in Zeiten, in den den andere am liebsten den kalten Krieg neu ausrufen wollen, ein starker Zug. Charakteristisch ist der Sound der kurzen Journaleinträge, die tatsächlich dem Soziolekt entsprechen, den wir aus dem Internet und technischen Umfeldern kennen. »Fürchtet meine botanischen Kräfte«, Flüche, Meme, Brüste-Emoticons im Marsstaub, wenn der Astronaut mit Mühe informiert wird, dass seine Kommunikationsversuche mit der Erde weltweit live übertragen werden. Apropos Brüste. Ein bisschen Meckern muss doch sein. Weir gibt sich Mühe, weibliche Figuren einzubauen und das nicht nur in den unteren Hierarchieebenen. Die ARES-Crew hat eine entscheidungsstarke Kommandantin, die Pressechefin der NASA ist Vollprofi durch und durch, auch die Entdeckung, dass es auf dem Mars einen Überlebenden gibt, macht eine NASA-Wissenschaftlerin. Doch trotz ihrer hochspezialisierten Jobs sind die Frauen im Kontrast zu ihren Positionen Stereotype, nah am Wasser gebaut, ihre Unterlippen beben, das liest sich stellenweise etwas merkwürdig, aber der gute Wille sei notiert. Am Ende hat man immer noch eine fantastische Story, die im Herbst 2015 auch in die Kinos kommt. Ridley Scott konnte man dafür gewinnen, Matt Damon wird Mark Watney spielen. Der Marsianer verspricht, als Film ein Knaller zu werden. Unbedingt sollte man das Buch vorher lesen, damit man weiß, wem man die Daumen drückt. Trotzdem sei hier nicht gespoilert, wie es ausgeht und ob es sich lohnt für die Chinesen, ihre Venus-Rakete für den milliardenteuren Rettungsversuch eines einzelnen Amerikaners aufzugeben. Im Kino dürften mitgebrachte Taschentücher nicht schaden, die Lektüre des Romans sollte man zum Wochenende beginnen, dann geht es in einem Rutsch bis zur Auflösung durch. Der Marsianer im besten Sinne leichte Literatur, dabei ein Buch für ganz unterschiedliche Zielgruppen. Eins für Nerds (Pardon) und eins für alle, die immer schon davon geträumt haben, einen Astronauten zu heiraten. Es lohnt sich die, die hoffnungsvoll von der international organisierten bemannten Raumfahrt träumen und es ist definitiv eins für die Fans von Halflife-Ikone Dr. Gordon Freeman. Und nicht zuletzt kann es uns unterhalten, die wir uns täglich im Internet bewegen und jemanden endlich mal so sprechen hören wollen, wie heute durch digitale Kanäle gesprochen wird. Wer will, liest es als Taschenbuch, da The Martian ursprünglich Elektrotext war, tut es das E-Buch aber auch. Britta Peters

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