Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Die verlorenen Briefe des William Woolf

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Vom Zauber des Briefeschreibens und den Geschichten, die das Leben schreibt

Von: Friedelchen
25.08.2019

"Briefe vereinen Seelen, wie kein Kuss es vermag."  John Donne Briefe, die ihren Adressaten nicht erreichen, kriegen durch William Woolf eine zweite Chance - als Briefdetektiv forscht er in London im Depot der verblichenen Briefe nach Hinweisen, um die Briefe doch noch zuzustellen. Als ihm eines Tages ein mysteriöser Liebesbrief von einer gewissen "Winter" unterkommt, die an ihre große Liebe schreibt, ist es wie ein Weckruf. Denn die Ehe mit seiner Frau Clare ist schon längst festgefahren und lässt in William den Wunsch keimen, die mysteriöse Frau kennenzulernen, die so offen und hoffnungsvoll über die Liebe und ihre Träume schreibt. Doch soll er sich wirklich auf die Suche nach der Unbekannten machen? Oder jagt er nur einem Wunschtraum hinterher? Wann habt ihr zum letzten Mal einen handgeschriebenen Brief verfasst? In Zeiten der immer weiter zunehmenden Digitalisierung wirkt das Briefeschreiben vermutlich altmodisch, doch für mich hat es einen ganz besonderen Zauber - und genau den fängt Helen Cullen in ihrem Debütwerk wunderbar ein. Kombiniert mit der ungewöhnlichen Liebesgeschichte war dieses Buch für mich dadurch ein ganz besonderer, eher ruhiger Lesegenuss, der in mir den Wunsch nach einer Rückbesinnung auf diese romantischere Form der Kommunikation geweckt hat und welches ich euch gerne ans Herz legen möchte. Wir lernen William im Depot der verblichenen Briefe kennen, wo er seit mehr als 10 Jahren arbeitet. In den Briefen, die er täglich durchforstet, hat er quasi schon alles erlebt: einige offenbaren Affären, andere decken jahrelang gehütete Geheimnisse auf oder enthalten sogar echte Schätze. Besonders angetan haben es William die Briefe an übersinnliche Entitäten wie Gott oder die Zahnfee. Per Zufall greift William in einem Postsack mit eben solchen Sendungen nach einem mitternachtsblauen Briefumschlag, adressiert an "Meine große Liebe" - und sieht schon bald sein so ruhig ablaufendes Leben gewaltig durchgerüttelt. Denn Winter, wie sich die Schreiberin nennt, weckt in ihm lange vergessene Wünsche und Sehnsüchte: den Wunsch, Schriftsteller zu werden und die Sehnsucht, seiner Frau wieder so nahe zu sein wie zu Beginn ihrer Beziehung. Oder sollte er sich von diesen Vorstellungen lösen und sich lieber auf die Suche nach Winter machen? Könnte William nicht ihre große Liebe sein? Helen Cullen geht in ihrem Debütroman der Frage nach, ob man sich in jemanden verlieben kann, den man noch nie getroffen hat, sondern nur anhand von Briefen kennenlernt und wirft dabei auch die Frage auf, ob man ehrlicher ist, wenn man dem Empfänger nicht gegenübersteht und die Worte laut aussprechen muss oder ob man eher dazu neigt, zu beschönigen und sich selbst so darzustellen, wie man gerne wäre? Die Briefe, die wir hier gemeinsam mit William lesen, haben mich jedenfalls sehr berühren können und ich konnte das schöne Gefühl und die Genugtuung, einen fehlgeleiteten Brief doch noch zuzustellen, vielleicht sogar nach Jahren, wirklich nachvollziehen.  In dem Buch geht es natürlich nicht nur um den Zauber von Briefen, sondern auch um die Natur der Liebe. In der Kunst, den Medien, in Romanen und Filmen wird ein Ideal der Liebe gezeichnet, dem die Realität eigentlich kaum standhalten kann. Und mit dieser Erkenntnis sehen sich auch William und Clare nach über zehn Jahren Ehe konfrontiert:     "... sie hatten sich nicht nur äußerlich verändert. Wann hatten sich eigentlich ihre Gefühle füreinander gewandelt? Waren es unzählige winzige Veränderungen gewesen, die über einen langen Zeitraum hinweg geschehen waren? Oder hatte er etwas Offensichtliches übersehen? Wenn er und Clare innerlich noch immer dieselben waren, konnten sie dann nicht wieder zueinanderfinden? Oder hatten sie sich zu weit voneinander entfernt, um an einem anderen, aber glücklicheren Ort wieder zusammenzukommen?" (S. 27) Die Geschichte wird abwechselnd von William als auch Clare erzählt und so sehen wir beide Seiten der Beziehung und mit welchen Problemen sie jeweils hadern. Dabei steht die Frage im Raum ob die Liebe im Alltag verloren geht, wenn sie nicht durch große Gesten verdeutlicht wird. Aber wie sieht es aus mit Williams Gefühlen für die unbekannte Winter? Zeichnen auch ihre Briefe ein idealisiertes Bild von der Liebe, dem die verführerische Unbekannte, sollte er auf sie treffen, vielleicht gar nicht standhalten kann? Mein Fazit: Die verlorenen Briefe des William Woolfist ein wunderbar erzähltes, emotionales Buch von der fast schon verlorenen Kunst des Briefeschreibens, von den faszinierenden Alltagsgeschichten, die das Leben schreibt und von der Frage, ob man einen Neuanfang wagen oder dem alten Traum, der alten Beziehung, dem alten Leben eine zweite Chance geben sollte? Wie William sich entscheidet, müsst ihr natürlich selbst herausfinden ;-) Nur so viel: die Geschichte lohnt sich!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.