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Rezension zu
Macbeth

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Grandiose Neuinterpretation meines liebsten Shakespeare-Stücks

Von: Booksnstories
31.12.2018

Ein bisschen schwer fällt es mir überhaupt einen Anfang zu finden. Seit ich "Macbeth" vor knapp mehr als 10 Jahren im Englisch-Unterricht zum ersten Mal gelesen habe, übt dieses Stück über Macht, Gier, menschliche Abgründe und das Zusammenspiel mit dem Übernatürlichen eine große Faszination auf mich aus. Ich kann es ausgiebig rezitieren (sogar als notwendiges Übel in Form der obligatorischen Grüße in meiner Abitur-Zeitung), habe unzählige Verfilmungen regelrecht inhaliert (und abgeschrieben, weil sie der Großartigkeit des Ursprungstextes nicht gerecht werden) und ich liebe liebe liebe wie Ian Doescher einige der ikonischsten Szenen in seine Star Wars Retellings eingebaut hat (die drei Monster auf Geonosis als "Hexen" mit ihrem "Food is fair!" bringen mich immer noch zum hysterischen Lachen). Die Erwartungen an Joe Nesbøs Retelling waren gigantisch und die Fallhöhe entsprechend gewaltig. Ein bisschen hatte ich Angst vorm Lesen, doch es hat nicht viele Seiten gebraucht, um mich davon zu überzeugen, dass der norwegische Thriller-Experte einen sehr guten Job gemacht hat. Ich habe noch keinen anderen Titel von ihm gelesen, daher kann ich keine Einschätzung dazu abgeben, wie sich "Macbeth" im Vergleich zu Nesbøs vorherigen Romanen anfühlt. Ich kann nur aus der Sicht von jemandem, der "Macbeth" als sein Lieblings-Shakespeare-Stück bezeichnet, ohne Zögern bestätigen, dass meine Begeisterung für das Retelling der für das Original in nichts nachsteht. Das Setting Wie das Shakespeare-Stück lebt auch der Roman von seiner Atmosphäre. Bereits die ersten Seiten ziehen den Leser hinab in eine düstere, dreckige und verruchte Stadt, die Sin City und Gotham alle Ehre macht. Man erlebt die Jagd auf die Mitglieder einer Motorradgang so greifbar, dass man sie fast bildlich vor sich sieht, die quietschenden Reifen hört. Die Handlung des Romans ins Verbrechermillieu zu setzen ist zwar keine neue Idee (schon in der 2006-Verfilmung von Macbeth mit Avatar Sam Worthington wurde es so umgesetzt), aber es ist der einzig konsequente Ansatz, da uns heut zu Tage kaum eine gesellschaftliche Struktur begegnet, die nach dem antiken und mittelalterlichen Grundsatz von König und Königreich funktioniert ("Breaking Bad" warb schließlich nicht umsonst mit "All hail the king" und wie die Nachfolgeregelungen bei Motorradgangs von statten gehen, hat uns "Sons of Anarchy" ebenfalls anschaulich gelehrt ;)). Zwielichtige Spieltempel, Drogenküchen in alten U-Bahn-Schächten, windige Politiker als Marionetten des Verbrechens, Kingpins, die ihr "Imperium" ausbauen wollen - und mitten in diesem Moloch zwei eigentlich integre Polizisten, deren Wege sich im Verlauf des Romans kaum unterschiedlicher entwickeln könnten. Von dieser Mischung hat man sicherlich schon des öfteren gelesen und gesehen, doch sie bildet die perfekte Basis für die Interpretation des Shakespeare-Stücks. Die Hommage an den Originaltext Wichtige Orte und Gebäude tragen in Anspielung aufs Stück Namen aus dem Originaltext, das Spielcasino von Macbeths Lebensgefährtin heißt beispielsweise "Inverness". Die Namen der Charaktere sind weitestegehend ebenfalls übernommen, wirken aber nicht altbacken, sondern fügen sich wunderbar in das Setting ein. Der Originaltext verwendet viele Stilmittel, um dem Stück seine Atmosphäre zu verleihen und den Inhalt zu unterstreichen. Das Wetter spielt eine zentrale Rolle, ebenso wie die Natur mit ihrer Flora und Fauna. Die Hexen treten immer im Zusammenhang mit unheilvollem Wetter auf, in der Nacht von Macbeths Machtergreifung gerät die Natur durcheinander (eine Eule schlägt einen Falken, die Pferde des Königs fallen übereinander her) und Lady Macbeth fällt nach dem Mord langsam dem Wahnsinn anheim und beginnt zu schlafwandeln. Nesbø webt diese Motive gekonnt in seinen Erzählstil mit ein. So ist auch das Wetter stets ein wichtiger Indikator für das, was auf den nächsten Seiten geschieht ("Es war einer jener seltenen Tage gewesen, an denen die Sonne von einem wolkenlosen Himmel schien und Lady war sich sicher gewesen, dass sie morgens einen Vogel singen gehört hatte. Doch als die Sonne untergegangen war [...], war ein böser Mond über dem Inverness aufgegangen." S. 120). Die Tiermotive finden Verwendung ("Wenn man ein Fisch außerhalb des Wassers ist, spielt es keine Rolle, wie viel man verdient. Der Fisch kann nicht atmen und stirbt neben einem dicken Sack Geld.", S. 260) und ein Politiker, der für die Handlung wichtig ist, heißt nicht nur ähnlich, sondern wird auch stets über das Bild einer Schildkröte definiert (Tourtell = turtle). Politik nimmt eine tragende Rolle in der Handlung ein, allerdings eher ihre dunkle Seite. "Meine Religion heißt Kapitalismus, und der freie Markt ist mein Glaubensbekenntnis."(S. 24) kommt es beispielsweise gleich zu Beginn von einem der Drogenbarone und im Verlauf der Handlung wird ein System offenbart, in dem sich die Starken auf Kosten der Schwachen bereichern. Man könnte fast Bezüge zur Realität herstellen ;) Einer von Macbeths wichtigsten Beweggründen für den Mord am Polizeichef ist die durch seine Frau eingeflüsterte Befürchtung, es nicht auf herkömmlichem und ethisch richtigem Weg "nach oben" zu schaffen, sondern nur durch Betrügerei und Mord ("Du hast diesen Posten nur bekommen, damit es so aussieht, als wärest du so viel Wert wie sie. Den Job an der Spitze werden sie dir niemals geben. Nicht aus eigenem Antrieb. Wir müssen ihn uns nehmen." S. 132). Und Banquos Sohn Fleance, der Jura studiert, um seinem Durst nach Gerechtigkeit zu stillen, lässt in einer der wichtigsten Szenen der Handlung "nun, da bei ihm endlich der Groschen gefallen war und er die ganze Sache verstanden hatte, den Unterschied zwischen falsch und illegal, zwischen Moral und Gesetzgebung. Zwischen Macht und Verbrechen."(S. 258) kein gutes Haar an der herrschenden Auffassung von Recht und Ordnung. Damit spricht Nesbø wohl einige Meinungen, Befürchtungen, Ängste aus, die in unserer europäischen Gesellschaft erschreckenderweise immer salonfähiger werden. Und wenn man noch einen Schritt weitergeht, finden auch die ganz großen menschlichen Fragen Einzug in die Handlung (für mich persönlich eine Sache, die sowohl Original als auch Retelling so faszinierend macht). Wo liegen meine Wurzeln, wie finde ich Erfüllung in meinem Leben, was hinterlasse ich? Wie viel bin ich bereit zu opfern und ist es das am Ende wert? Eine sehr eindringliche Antwort darauf lässt Nesbø seinen Protagonisten auf Seite 496 geben. Für mich schon im Original eine der stärksten Szenen überhaupt und das Retelling setzt das gereimte Original in Prosa derart genial um, wie man es in noch keinem der anderen Hogarth-Romane gelesen hat. Man kann dem Autor zu dieser Umsetzung nur gratulieren. Bei aller möglichen Begeisterung sollte man sich als Leser aber auch bewusst sein, dass der "blutrünstige" Untertitel des Romans durchaus seine Daseinsberechtigung hat. Im Originaltext geht es bereits blutig her und auch das Retelling macht in dieser Hinsicht keine Gefangenen. Mir jagen einige Szenen - speziell Macbeths Visionen von den Menschen, für deren Tod er verantwortlich ist, und Lady Macbeth, die ein erschossenes Baby in den Armen hält oder beschreibt wie sie ihr eigenes Kind getötet hat - immer noch einen Schauer über den Rücken. HIer braucht man starke Nerven, um die Bilder, die sich zwangsläufig manifestieren, wieder loszuwerden. Ich könnte noch über so viel anderes schreiben, dass Nesbø in Anlehnung an die Textvorlage brillant neu interpretiert hat, möchte euch aber nicht langweilen. Eine letzte Sache muss jedoch noch sein und soll Zweifler dazu bewegen, diesen zugegebenermaßen dicken Thriller-Schinken bis zum Ende zu lesen. Das zentrale Motiv von Macbeth ist das Prinzip von "Aufstieg und Fall", das Schicksalsrad, das sich dreht, und somit auch Vorkommnisse, die sich zwangsläufig wiederholen. Am Ende des Romans taucht ein Totgesagter wieder auf und nichts aber auch nichts könnte Macbeth besser beenden als diese letzten 4 Seiten. Es mag euch an dieser Stelle vielleicht ein wenig kryptisch erscheinen, aber ihr werdet es verstehen. Dazu müsst ihr den Roman nur selbst lesen! ;) FAZIT Ich denke, es dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass ich "Macbeth" nur aus vollem Herzen zum Lesen empfehlen kann. Es ist ein Thriller, auf den man sich einlassen muss. Kein seichter Brei, den man einfach so ohne Köpfchen herunterliest, bei dem man sich durch die Handlung hechelt, vor lauter Spannung getrieben. Vielleicht muss man über die ein oder andere Länge hinwegsehen und ja eine Szene gab es, die sogar mir ein wenig zu übertrieben daherkam. Aber der Roman ist über fast die gesamte Textlänge eine derart kongeniale Hommage an den Ursprungstext, mit so vielen sprachlichen Feinheiten und Subtilitäten, dass es mich über den ein oder anderen Kritikpunkt hinwegsehen lässt und ich Nesbøs "Macbeth" sicher noch mehr als einmal lesen werde.

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