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Die erfolgreichen Skandinavien-Krimis von Leif GW Persson

Bäckström's back

Rezension zu "Sühne" von Bianca Reineke

Durch Charmeoffensiven hat er sich noch nie hervorgetan, und auch von blanker Höflichkeit hat er noch nie etwas gehört. Begriffe wie Engagement, Pflichtgefühl und Integrität sind Fremdworte für Evert Bäckström. Dass er dazu noch zutiefst rassistisch und sexistisch ist, macht ihn auch nicht gerade sympathischer. Man fragt sich welche Qualitäten ihm überhaupt zu seinem Job verholfen haben, denn Evert Bäckstrom ist Polizist.

Schöpfer dieses Antihelden ist Schwedens genialer Kriminalschriftsteller und Experte auf dem Gebiet der Kriminologie Leif GW Persson. Waschechten Krimilesern muss man diesen Autor nicht mehr vorstellen. Seine Romane verkaufen sich in Millionenauflagen; sein Insiderwissen in Sachen Polizeidienst ist neben seinem schriftstellerischen Können die Garantie für realitätsnahe Szenarien und detailgetreue Schilderungen der Ermittlerarbeit. Die wiederum wird in Perssons spannenden Kriminalromanen von Polizeibeamten betrieben, denen er auf so unnachahmliche Weise Leben einzuhauchen versteht, dass auch sie wie aus dem Leben gegriffen scheinen.

Jede seiner Figuren stattet Persson mit individuellen Biographien aus, durch die die sorgfältig ausgearbeiteten Charaktere noch an Glaubwürdigkeit gewinnen. Es ist eine bunte Schar von Individualisten, die Persson als Gesetzeshüter in seinen Romanen auftreten lässt und die schon durch ihre Verschiedenartigkeit für Zündstoff in den eigenen Reihen sorgt.

Die Rückkehr des Antihelden
Einer der markantesten Figuren in Perssons Polizeidienst ist eben jener Evert Bäckström, den die Krimifans längst hassen und lieben gelernt haben. Derart haarsträubend und verblüffend dreist sind dessen Aktionen, dass der Leser kopfschüttelnd und zugleich gespannt Seite um Seite umblättert, um die neuesten Eskapaden und Frechheiten Bäckströms zu erfahren.

Seine Kollegen sind schon längst nur noch angewidert von Bäckströms Tun, und so mancher Mordgedanke wabert durch die Flure des Dienstgebäudes. Hätten Wünsche die Macht zu töten, Evert Bäckström wäre schon mehrfach erschossen, erdolcht, langsam erdrosselt oder genüsslich zu Tode gefoltert worden. Doch Bäckström ist ein Stehaufmännchen und mischt stets aufs Neue bei heiklen und komplizierten Mordermittlungen mit. Dabei entwickelt er auch gerne seine eigenen Methoden und scheut auch nicht davor zurück, seine Vorgesetzten zu erpressen, um seine Hand weiter im Spiel haben zu können.

In Perssons neuestem Meisterwerk “Sühne” staunen die Polizeikollegen über die Tatsache, dass Evert Bäckström die Leitung der Ermittlungen in einem Mordfall übertragen wird. Sein gesamtes Team stellt sich auf eine Leidenszeit unter ihrem chaotischen und ungehobelten Leiter ein, und der Leser ahnt schon auf den ersten Seiten, dass diese Konstellation wieder gut gewürzte Krimikost verspricht.

Vom Saulus zum Paulus?
Zum Erstaunen aller scheint sich der gute Bäckström gewandelt und eine Art Läuterung durchlaufen zu haben. Und richtig: die knallharte Diagnose seines Arztes, der ihm einen nahen und schmerzhaften Siechtod in Aussicht stellt, hat den übergewichtigen und unsportlichen Bäckström für kurze Zeit in seiner Maßlosigkeit ausgebremst, und Fastfood der Rohkost weichen lassen. Doch der Alkoholverzicht und der unumgängliche Zuwachs an Bewegung machen den mürrischen Einzelgänger nur noch unausstehlicher. Erst als er sich wieder maßlosen Gelagen hingibt, wird er wieder ausgeglichener.

Maß- und zügellos sind auch Bäckströms verletzende Kommentare. Sie sind geprägt von Rassismus und loderndem Hass gegenüber allem, was nicht weiß, schwedisch oder heterosexuell ist. Und auch die “normalen” Menschen in seinem Umfeld bedenkt er mit abwertender Missbilligung, wenn sie nicht augenblicklich Bäckströms vermeintlich umwerfender sexueller Ausstrahlung erliegen.

Der Tod im Vollrausch
Als Danielsson, ein Rentner, der als schwerer Alkoholiker bekannt ist, brutal erschlagen in seiner Wohnung aufgefunden wird, setzt man Bäckström als Leiter der Mordermittlung einem kompetenten Team vor die Nase. Gerüchte über Bäckströms Unfähigkeit und offene Feindseligkeiten seiner Kollegen erschweren die Untersuchungen und der inkompetente, selbstgefällige Mann trägt kaum etwas zum Erfolg seiner Truppe bei.

Erfüllt von Widerwillen, mit so vielen Polizisten mit Migrationshintergrund zusammenarbeiten zu müssen, hält sich Bäckströms Engagement in engen Grenzen; sein Betrag zur Ermittlerarbeit erschöpft sich in kryptischen und rassistischen Sprüchen. Doch schnell entdecken die anderen Ermittler Unstimmigkeiten im Fall Danielsson. Ihr Fazit: Der Ermordete war mehr als nur ein verarmter alter Alkoholiker, der im Vollrausch von einem Saufkumpanen erschlagen wurde.

Die überraschenden Erkenntnisse bringen selbst den trägen Bäckström auf Vordermann, und gemeinsam mit einer aufgeweckten Kollegin, die ihm wert- und angstfrei gegenüber tritt, stößt er auf ein Geheimnis des Ermordeten, das dessen grausames Ableben auf einmal in ganz anderem Licht erscheinen lässt.

Schein und Sein
Danielsson war in Steuerbetrügereien und andere obskure Geschäfte verwickelt und hatte Unsummen in diversen Bankschließfächern gehortet. Als Bäckström zufällig das versteckte Geld entdeckt, verflucht er seine eifrige Kollegin, hätte er doch ohne ihre Gegenwart von nun an für sein Leben ausgesorgt und einen der nächsten Flieger in die Sonne genommen. Doch so bleibt ihm nichts anderes übrig, als weiter zu ermitteln.

Zu seinem eigenen Erstaunen entwickelt Bäckström auf einmal so etwas wie Ehrgeiz, ohne sich jedoch unnötig zu verausgaben. Denn es gibt für ihn schließlich nichts Erstrebenswerteres, als schwierige Aufgaben an die verhassten Kollegen abzugeben, um anschließend das Lob für deren geleistete Arbeit selber zu kassieren.

Als sich schließlich ein ehemaliger Kollege als Trinkkumpan des Ermordeten entpuppt, der Zeitungsausträger, der die Leiche gefunden hat, spurlos verschwindet und der geistig behinderte junge Nachbar zugibt, Danielsson des Öfteren verprügelt zu haben, überschlagen sich die Ereignisse.

Der Drang zum Ruhm
Während Evert Bäckström faul und behäbig durch die Ermittlungen segelt, seinen Lastern in Form von Alkohol, fettem Essen und jungen Prostituierten frönt, ergibt sich in den Ermittlungen eine überraschende Wende, die den Mord an Danielsson in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen bringt. Als die stadtbekannten Großkriminellen immer tiefer in den Sog der Verdächtigungen geraten, läuft Bäckström plötzlich zu großer Form auf. Dank eines unglaublichen Coups verschafft er sich eine unerwartet riesige Anhängerschaft in der Bevölkerung und wird zum schießwütigen, aber heldenhaften Liebling der Medien.

Während seine Gegner im Polizeipräsidium in fassungsloser Wut vor sich hinkochen, gelingt es dem korrupten Bäckström tatsächlich, die wahren Hintergründe des Mordes an Danielsson aufzudecken. So naheliegend und einfach ist die Lösung, dass sich das akribische Durchleuchten von Danielssons Vergangenheit als völlig überflüssig herausstellt. Das Mordmotiv entsprang einer brisanten Mischung aus Habgier, enttäuschter Liebe und verletztem Stolz.

Wie ein Hund mit drei Beinen
Wie weit man kommen kann, wenn man gegen alle Regeln verstößt und sämtliche Werte mit Füßen tritt, beweist Evert Bäckström auf verblüffend nachvollziehbare Weise. Leser dieses spannenden Kriminalromans sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob sie über seinen Erfolg lachen oder weinen sollen.

Doch auch hier beweist sich Perssons Genie: Im überzeichneten Charakter dieses Hofnarren Bäckströms spiegelt sich die gesellschaftliche Realität Schwedens. Denn auch dieses vermeintlich wohlgeordnete und stabile Land zeigt tiefe Risse in seinem Sozialgefüge. Die Herausforderungen, denen sich Staat und Gesellschaft stellen müssen, können nur von denen besonnen und klug gemeistert werden, die alle Facetten der menschlichen Seele kennen. Wer Menschen wie Evert Bäckström erlebt hat, sei es auch nur auf den Seiten eines Buches, der ist gewappnet für die erschreckenden Realitäten des Lebens, denn Bäckströms gibt es überall.

Ein Buch, bei dem es einem ergeht wie mit dem berühmten dreibeinigen Hund: Man muss ihn - wie unter Hypnose - immer wieder ansehen, auch wenn einen stets das Grauen packt  …

Bianca Reineke
Cuxhaven, März 2009

Sühne

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