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SPECIAL zu David Blackbourn »Die Eroberung der Natur«

Von realen und imaginierten Landschaften

Rezension von Holger Sweers

Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!
Es ist die Menge, die mir frönet,
Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Grenze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.
(Faust, der Tragödie zweiter Teil)


David Blackbourn ist ein profunder Kenner der neueren deutschen und europäischen Geschichte. Und er kennt auch die (realen wie imaginierten) Landschaften, die dieser Geschichte ihren Stempel aufgedrückt haben und die ihrerseits vom Menschen geprägt und mit Bedeutungen belegt worden sind. So etwa das Oderbruch, ehemals "eine Wildnis aus Wasser und Morast" - mit ihm beginnt und beschließt er seine 250 Jahre umgreifende Erzählung von der Formung und Gestaltung "deutscher" Landschaften, die er überzeugend auch als wichtiges Element der Suche nach einer "deutschen Identität" identifiziert - man denke nur an die symbolische Aufladung und Überhöhung des "deutschen" Rheins.

Eroberung und Verlust
Der Untertitel der englischen Originalausgabe - "Water, Landscape and the Making of Modern Germany" - lässt das Leitmotiv seiner Darstellung anklingen: das "faustische" Bemühen, das gefährliche Element Wasser zu bändigen und zugleich die Erde "mit sich selbst zu versöhnen". Doch Faust geht dafür einen Pakt mit dem Teufel ein: Um das neu gewonnene Land gänzlich in Besitz nehmen zu können, treibt er das greise Paar Philemon und Baucis in den Tod. Jede Eroberung, so Blackbourn, bedeutet auch Verlust.

Oben auf dem Hügel und unten am Wasser
Die Trockenlegung des Oderbruchs, die "Bändigung des wilden Rheins", die Entwässerung und Besiedlung der Moore in der norddeutschen Tiefebene und der Bau der Talsperren in den deutschen Mittelgebirgen - um deutlich zu machen, was bei den untersuchten "Kriegen gegen das Wasser" jeweils gewonnen wurde und was verloren ging, nimmt der Autor die unterschiedlichsten Perspektiven ein. So stehen wir etwa in einem Augenblick neben Friedrich dem Großen, der zufrieden auf das trockengelegte, endlich malariafreie und fruchtbare Weide- und Ackerland an der Oder blickt, um im nächsten Moment hinunter zum Wasser zu gehen - zu den Arbeitern, die bis zur Hüfte im Schlamm stehen und mit ihrer Gesundheit, oft sogar mit ihrem Leben zahlen, um die von "großen Männern" ersonnenen und vorangetriebenen Projekte auszuführen. Man lernt die slawischen Fischer kennen, die nach und nach verdrängt werden, die Neusiedler, die trotz aller Anstrengungen nie vor einem Hochwasser sicher sein können.

Zurück zur Natur?
Es ist vor allem diese Vielfalt an Perspektiven, die Benennung und Analyse der Widersprüche und der ungewollten Folgen von Entscheidungen, die Blackbourns Darstellung für unsere Zeit ergiebig macht; zumal er deutlich die Traditionslinien der Positionen und Haltungen nachzeichnet, die auch heute noch den Umgang mit "der Natur" und insbesondere mit der zerstörerischen, aber auch nutzbringenden Kraft des Wassers prägen. Beispiele dafür sind der noch immer anzutreffende Technik- und Technologie-Optimismus genauso wie sein Gegenstück, die Hinwendung zur angeblich unberührten, ursprünglichen Natur. Blackbourns Fazit: Eine "natürliche", nicht vom Menschen beeinflusste und beschädigte Natur gibt es in unseren Breiten schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Und angesichts der drängenden Probleme unserer Tage wie der globalen Erwärmung, der Desertifikation, der immer häufiger und mit immer größerer Zerstörungskraft auftretenden Überschwemmungen oder der sich bereits abzeichnenden Kriege um Trinkwasser, kann es auch gar nicht um ein "Zurück zur Natur" gehen. Blackbourn setzt stattdessen auf "geo- und hydrohistorisch bewusste Mitbürger" sowie eine systemische Betrachtungs- und Herangehensweise jenseits von Ideologie und falschem Pathos, die mögliche Folgen so gut als möglich einbezieht - und auf den Mut, "falsche" Entscheidungen rückgängig zu machen.

Ein großer Geschichtenerzähler
"Die Eroberung der Natur" kann man also durchaus als engagierte Literatur lesen. Doch ist diese Literatur vor allem eines: erzählte Geschichte mit lebendig gemachten Geschichten. Sie ist derart fesselnd und mit so vielen Detailinformationen aus den unterschiedlichsten Quellen dargeboten, dass am Ende sogar der Respekt gebietende Anmerkungsapparat und die kaum überschaubar erscheinende Literaturliste Lust auf weiteres Stöbern und Entdecken machen!

Holger Sweers

Die Eroberung der Natur

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