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SPECIAL zu Herman Bang »Sommerfreuden«

NACHWORT (Auszug)

von Aldo Keel

„Jütland ist ein herrliches Land, um den Sommer zu genießen“, schrieb Henrik Ibsen im August 1887 an seinen Verleger. „Die Menschen sind freundlich und liebenswürdig. Das offene Meer haben wir täglich in unmittelbarer Nähe vor Augen, und das Wetter ist dieses Jahr so schön, wie man es sich nur wünschen kann.“

Eine illustre Gesellschaft
In seiner Erzählung Sommerfreuden führt uns Herman Bang an einen Badeort an Jütlands nördlichem Ende. Herr und Frau Brasen stürzen sich in Schulden, um das Hotel, das sie seit mittlerweile acht Jahren betreiben, herauszuputzen und auf Vordermann zu bringen. Geglückt ist die Renovierung freilich nicht. Die Bettgestelle drohen durchzubrechen, die Waschtücher gleichen Putzlappen, die Mäuse toben als Zimmergenossen herum wie eh und je. Vergeblich warten die Brasens – und mit ihnen wartet der ganze Ort – auf betuchte Badegäste, die den Aufschwung bringen sollen, bis eines Tages ein Schwarm hungriger Touristen über das Hotel herfällt: Lehrerinnen, Holzhändler, Radfahrer, ein Schulinspektor, aufgetakelte neureiche Damen und andere dubiose Gestalten sowie als einziger Bourgeois unter lauter Kleinbürgern Generalkonsul Fryant, der in Kopenhagen im Mittelpunkt des großen Börsenzirkels steht und in „Brasens Hotel“ bereits zur Suppe Champagner schlürft. Doch auch Vizekonsul Therkildsen, Krämer und Krösus des Ortes, der den Brasens den Kredit für den Umbau gewährt hatte, sieht sich zu Höherem berufen. Seine Söhne, von der Bevölkerung mit Ironie „David“ und „Goliath“ genannt, stolzieren in weißen Sportanzügen einher.

Erzähltes Kino
Die Gaststätte als öffentlicher Raum, in dem einander unbekannte Menschen mit ihren Eitelkeiten und Ansprüchen aufeinandertreffen, ist seit je der Ort der Komödie. Und auch Brasens Provinzbühne spiegelt die große Welt, in der alle um Anerkennung und Respekt ringen. In Küche und Speisesaal herrscht ein Tempo, das Bang slapstickartig anzukurbeln versteht. Wir lachen, wenn dem Kellner Jens jeder Schreck auf den Magen schlägt, und unser Lachen bleibt uns im Halse stecken, wenn Frau Brasens, am Ende ihrer Kräfte, nur noch lallt.
Die Sommerfreuden umspannen einen einzigen Tag und gipfeln, nachdem ein Sänger mit seiner Glanznummer, dem Lied des Toreadors aus Carmen, in „Brasens Hotel“ eingetroffen ist, in einem ausgelassenen Fest – einem Tanz jedoch ohne Glücksversprechen. Auf die sternenklare Nacht folgt der trüb-graue Morgen, an dem die Rechnung präsentiert wird.
Bang liebt das Theater, und seine Figuren offenbaren sich ganz wie Bühnenhelden in ihren Worten, Blicken und Gesten. Bang, der Meister des Aussparens und Verschweigens, deutet nicht, er zeigt. Und obwohl er die Emotionen bis zum Siedepunkt treibt, schwelgt er nicht in Gefühlen. […]
In rascher Abfolge jagen sich die Szenen. Geradezu atemberaubend sind Bangs Perspektivenwechsel und Schnitte, so daß sich der Text passagenweise wie erzähltes Kino liest, wo doch erst 1903, ein Jahr nach Erscheinen der Sommerfreuden das erste dänische Lichtspielhaus eröffnet wurde.

Zeitenwende
Bang ist der Autor einer Zeitenwende. Mit subtilen ästhetischen Mitteln reagiert er auf die Auflösung der alten statischen Agrargesellschaft mit ihren Werten und Normen und den Durchbruch der dynamischen kapitalistischen Wirtschaft. Er versucht keine neue Weltdeutung. Vielmehr nimmt sein journalistisch geschärftes Auge unterschiedlichste Facetten der Wirklichkeit wahr. Es ist Aufgabe der Leser, dem Text eine Moral abzugewinnen.
Mit seiner Ferienerzählung war Bang hochaktuell. Immer mehr Dänen konnten sich um die Jahrhundertwende einen Urlaub leisten. In alten Fischerdörfern wurden für Städter, die nach Sonne und Luft dürsteten, Hotels, Pensionen und Sanatorien gebaut. Die Großstadt, und das heißt Kopenhagen, wurde zunehmend als Nährboden für Alkoholismus, Tuberkulose und Nervosität erlebt. Mit Besorgnis registrierten die Offiziere, daß eine wachsende Anzahl junger Männer ausgemustert werden mußte. Da entdeckte der dänische Arzt Niels Finsen die heilende Wirkung des Sonnenlichts – ein Geniestreich, für den er 1903 mit dem Nobelpreis für Medizin bedacht wurde. Finsens Lichttherapie inspirierte in Dänemark eine vitalistische Kunstrichtung, und auch Bang zollt dem Sonnenarzt seinen Tribut, indem er einen der Urlauber stereotyp den „Gebräunten“ nennt. […]

Sommerliches Künstlerleben
In Dänemarks nördlichstem Dorf Skagen bildete sich ab den 1870er Jahren eine Künstlerkolonie, deren Fama sich rasch verbreitete. Generalkonsul Fryant macht in „Brasens Hotel“ nur Zwischenhalt auf dem Weg ins Prominentenmekka. Peder Severin Krøyer, der das Bild Sommerabend an Skagens Südstrand malte, das den Umschlag dieses Bandes schmückt, gilt als bekanntester Skagenmaler. 1883, als das Skagener Künstlerleben in voller Blüte stand, warf der spätere Nobelpreisträger Henrik Pontoppidan in der Erzählung Ein Fischernest ein Streiflicht auf dieses pittoreske Milieu. […] Henrik Ibsen, dessen Schauspiel Ein Volksfeind in einem norwegischen Badeort spielt, bevorzugte wiederum das südlich von Skagen gelegene Fischerdorf Sæby, als er sich im Sommer 1887 vom Schreibstreß erholte. […]
Zu den Sommergästen , die Sæby gern und oft besuchten, gehörte auch Herman Bang – und an Sæby erinnert der Badeort, der in Sommerfreuden zu literarischen Ehren kam. Bang pflegte in „Clasens Hotel“ abzusteigen, das dem „Brasens Hotel“ nachempfunden ist, mit dem Unterschied allerdings, daß „Clasens Hotel“ nicht jene Bruchbude war, die Bang hier porträtiert. Wen wundert's da, daß er sich nach Erscheinen der Erzählung nicht mehr in Sæby blicken ließ?
Bang fand auch im Urlaub weder Ruh noch Rast und inszenierte abends Gartenfeste, wobei er als besonderen Clou die Musiker auf Bäumen plazierte, während Ibsen täglich vom eisenhaltigen Wasser der Quelle trank und ansonsten stundenlang auf die See hinausstarrte, um danach, frisch gestärkt, das Schauspiel Die Frau vom Meer zu schreiben. Zeitgleich hielten sich die beiden Koryphäen aber nie in Sæby auf. […]
1895 zählte der Ort ganze tausendfünfhundert Einwohner, die hundertfünfzig bis zweihundert „Fremde“, wie man Touristen damals noch unverblümt nannte, beherbergten. Die Gäste erholten sich auf Waldspaziergängen; viermal täglich wurden sie zu Tisch gebeten. Mit der Jahrhundertwende wurde der Strand selbst zur Hauptattraktion, und die Fremden wagten, nach Geschlechtern getrennt, den Sprung in die Fluten.

Ein Getriebener
[…] Bereits 1843 hatten Søren Kierkegaard boshaft sinniert: „Von allen Lächerlichkeiten ist es für mich die allerlächerlichste, es eilig zu haben …“ […] Herman Bang, der von der Feder lebte, war solche Eile durchaus nichts Unbekanntes. Als chronisch Getriebener und homosexueller Außenseiter hetzte er von Land zu Land und von Stadt zu Stadt. Drei Jahre vor seinem Tod im fernen Amerika notierte er: „Schreibe – schreibe – schreibe. Eines Tages wird man noch den Sargdeckel von innen beschriften müssen, um die Rechnung der eigenen Beerdigung bezahlen zu können.“
Während die beiden Radfahrer [die Bang in Sommerfreuden beschreibt Anm. Red.] jedem Frauenrock nachspähen, schildert Bang „den Gebräunten“ und dessen Freund Herrn Verner als camouflierte Homosexuelle, die als Paar auftreten, sich gemeinsam ankleiden, sich die Nägel polieren und den Bart kämmen, wobei der Gebräunte an einem lange zurückliegenden Verhältnis mit Ingeborg, der Tochter des Bürgermeisters, laboriert, und sich zwischen dem Mann und der Frau zu entscheiden hat.
Unnötig zu sagen, daß Geschlechtsverkehr zwischen Männern damals in Dänemark ebenso wie in Deutschland unter Strafandrohung stand, ganz zu schweigen von gesellschaftlicher Ächtung. Bang wurde in Witzblättern seiner Homosexualität wegen als „Fräulein Hermine Bang“ verhöhnt und mußte zahlreiche Demütigungen erdulden.

Heitere Alltagsdramen
Bang schrieb nicht für Schnelleser. Wer aber hellhörig ist und zu kombinieren versteht, dem eröffnen sich wahre Alltagsdramen. Der Impressionist erzählt seine wahre Geschichte auf indirektem Weg, führte Bang einmal in einem programmatischen Artikel aus. Der impressionistische Stil gründete „in der Tiefe all dessen, was ungesagt bleibt“. Bangs Erzählungen mangelt es beileibe nicht an Geheimfährten des Verschwiegenen, die aufzuspüren einen nicht unwesentlichen Reiz der Lektüre ausmacht. […]
Herman Bang wußte nur zu gut, wovon er sprach. Was hat das Leben dem homosexuellen Schriftsteller, der zu Dänemarks großen zählt, gegeben außer Hohn und Spott? Dichter werde man nicht, schrieb schon der Zweiundzwanzigjährige, „weil man über seiner Zeit steht, sondern weil man ihr vollkommener, lebendiger Ausdruck ist“. Die burleske Komik seines Werks ist aus der Not geboren, das Heitere seiner Prosa eine hauchdünne Glasur. Über die famose, ebenso amüsante wie maliziöse Ferienerzählung Sommerfreude setzte er trotzig das Motto „Das Leben ist traurig genug – lachen wir also.“

Aldo Keel

Auszug aus dem Nachwort zu
Herman Bang: Sommerfreuden

Sommerfreuden

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