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SPECIAL zu Peter Kihlgård »Liebe ganz oder gar nicht«

Einsamkeit, Liebe und Entropie

Peter Kihlgård im Gespräch

Herr Kihlgård, Liebe ganz oder gar nicht ist ein Roman über die Liebe – kein einfaches Thema, wurde die Liebe doch schon von allen großen Schriftstellern in all ihren Facetten gespiegelt. Und doch ist es Ihnen in diesem Roman gelungen, uns einen neuen Blick auf die Liebe zu gewähren, auf die Liebe in unserer Zeit. Zwar liegt Ihrem Roman eine romantische Annahme zugrunde – die der »lebenslangen Liebe« –, doch in keiner Szene wird die Beschreibung von Kickis und Lasses langjähriger Ehe kitschig.

Ich habe beim Schreiben nie daran gedacht, dass Liebe ganz oder gar nicht eine Liebesgeschichte ist, sondern ich nahm mir das Thema der Einsamkeit des Menschen in der Moderne vor. Allen meinen Romanen liegt eine Art Forschungsprojekt zugrunde: In Strandmannen (Der Strandmann) ging es mir um den Akt in der Kunst, in Fadder Teiresias vår (Der Frühling des Teiresias) um die Figur des Sehers. So ist eine meiner Gehirnhälften damit beschäftigt, das Material zu sortieren, während die andere frei assoziieren kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Schaffensprozess nicht geplant und strukturiert werden kann. Aber zurück zur Einsamkeit in der Moderne: ein Phänomen, das sich besonders deutlich in der Liebe zeigt, wie ich finde. In Liebe ganz oder gar nicht habe ich zwei Arten der Liebe kontrastiert: Lasse steht für die platonische Liebe. Er glaubt an die Liebe als etwas, das aus zwei Hälften besteht – zwei Hälften, die einander finden müssen. Erst wenn sie sich gefunden haben, ist die Liebe vollkommen. Für Lasse ist deshalb Kicki das Projekt seines Lebens. Kicki hingegen vertritt einen viel moderneren Liebesbegriff. Sie glaubt, für die Liebe sei Distanz das wichtigste, Intimität und Distanz zugleich, denn sonst würde die Liebe der Entropie zum Opfer fallen. Entropie ist ein Begriff aus der Physik – man muss sich das folgendermaßen vorstellen: Wenn man heißes und kaltes Wasser zusammengießt, so wird das Wasser lauwarm – und es wird nicht mehr möglich sein, es durch Umgießen wieder in heißes und kaltes umzuwandeln. Genauso erginge es der Liebe, sie wäre immer lauwarm – und damit nicht mehr existent. Das ist Kickis Auffassung von der Liebe, deshalb hält sie Abstand zu Lasse, indem sie ihn verletzt, fremdgeht, Jobs annimmt, die die Unterschiede zwischen ihnen deutlich werden lassen.

Das ist nur ein Beispiel für die Liebe und damit die Einsamkeit in der Moderne, wie ich sie im Roman zu fassen versuche. Um noch ein anderes Beispiel zu nennen – Sie haben ja die lebenslange Liebe erwähnt. Tatsächlich liegt dem Roman die Annahme zugrunde, dass es so etwas wie lebenslange Liebe gibt. Eine schöne, wenn auch sehr unrealistische Vorstellung. Bei lebenslanger Liebe denken wir: wie gut, wie beruhigend. Aber so ist es ja nicht. Liebe kann auch zerstörerisch sein, kann Einklang und Zerstörung zugleich sein. Und das zeigt das Leben von Kicki und Lasse sehr deutlich: Sie können nicht miteinander leben, aber ohne einander auch nicht. Ihr Leben ist schicksalsbestimmt. Die beiden sind einander so nahe, dass sie sich nicht mehr voneinander lösen können. Deshalb ist auch eine Scheidung keine Lösung für meine Hauptfiguren. Und wie die schicksalsbestimmte Liebe, die schon in der antiken Literatur beschrieben wird, muss Kickis und Lasses Geschichte, so wie alle großen Liebesgeschichten, mit dem Tod enden.

Aber ich wollte den Roman nicht mit dem Tod der beiden abschließen. Ich wollte einen glücklichen Schluss – und so blieb mir nichts anderes übrig, als die Geschichte von Kicki und Lasse chronologisch in Rückwärtsschritten zu erzählen. Nun endet der Roman mit diesem ersten wunderbaren Moment der Verliebtheit.

Es geht Ihnen in diesem Roman um die Einsamkeit des Menschen in der Moderne, aber geht es Ihnen nicht genauso sehr um das Zwischenmenschliche, darum, wie sich Menschen, die aufs Engste miteinander verbunden sind, zueinander verhalten?

Ich versuche mit realistischer Schärfe, das Verhältnis der beiden auszuleuchten und aus Kicki und Lasse Menschen zu machen und nicht nur Figuren. Und der Mensch ist ein Paradoxon. Das Paradoxale, was ja das Verhältnis von Menschen zueinander auszeichnet, ist ein Thema, das mich schon immer beschäftigt hat. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Menschen sind vielschichtig, widersprüchlich, inkonsequent, unergründlich – und nur sehr selten empfinden wir Gefühle, die durch und durch rein sind, also nicht durch Widerstreitendes gestört werden. Manchmal frage ich mich, ob der Mensch nicht ein so großes Mysterium ist, dass man sich ihm, wenn überhaupt, nur durch Analogien annähern kann. So begreife ich übrigens die Welt im Allgemeinen: als eine immerwährende Kombination von Gegensätzen, von Hohem mit Niedrigem, Humorvollem mit Ernstem, Profanem mit Sublimem und Banalem mit Existenziellem. Das ist der Grund, warum ich mich nicht einer psychologisch-realistischen Schreibweise bediene, obwohl ich ja versuche, der Realität in meinem Roman so nahe wie möglich zu kommen.

In Liebe ganz oder gar nicht, wie auch in Ihren früheren Romanen, spielen Sie mit dem Stilmittel der Groteske: Schnelle, fast radikale Übergänge zeichnen Ihre Prosa aus auf eine schmerzlich-traurige Szene folgt eine humorvoll-burleske –, ebenso wie Brüche, wenn beispielsweise ein obszöner Begriff mit einem religiösen kontrastiert wird. Dramatisch schnell kann auch die Perspektive wechseln. Ein Erzählstil, der nicht zur getreuen Abbildung der Wirklichkeit beitragen kann, worum also geht es Ihnen beim Schreiben?

Im Zentrum meines Schreibens steht nicht die Abbildung der Wirklichkeit, sondern vorrangig Fragen existenzieller Art – und doch: Am Anfang hatte ich Liebe ganz oder gar nicht sehr viel breiter angelegt, mit Ausflügen in die politische Gegenwart. Ich glaubte, Kicki und Lasse in einen detailliert beschriebenen gesellschaftlichen Zusammenhang einbetten zu müssen, und wollte Details, die unseren Alltag plastisch aufscheinen lassen, ausführlich beschreiben. Aber noch während des Schreibens wurde mir klar, dass das nicht zusammenpasste, so als ob die Hinweise auf die Zeit, dieses ganze »Dekorum«, das, was ich herausarbeiten wollte, eher verdeckten. So als würden Kicki und Lasse in ihrer Bedeutung gemindert von den lebensweltlichen Schilderungen. Falls es so etwas wie künstlerische Intuition gibt, so war sie es, die mir Übelkeit verursachte, sobald ich versuchte, gesellschaftliche und politische Ereignisse wie den Mord an Olof Palme zu schildern.

Doch das heißt natürlich nicht, dass dieser Roman nicht trotzdem das Bild einer Gesellschaft zeigt. Kickis und Lasses Gegenwart – also unsere Gegenwart – findet sich ja auf jeden Fall im Roman, wenn auch weniger explizit. Ich habe versucht, die beiden so zu gestalten, dass sie wie Kristalle das Licht der sie umgebenden Welt reflektieren. Und das musste ausreichen. Es war eine Herausforderung, etwas über die Zeit auszusagen, ohne sie direkt zu beschreiben, aber ich habe auf die Kraft der Sprache vertraut.

Liebe ganz oder gar nicht ist ein aufs Genaueste durchkomponierter Text. Sie haben große Sorgfalt auf die äußere Gestalt verwendet; die zehn Kapitel sind wie formvollendete Kurzgeschichten aufgebaut. Und noch größere Sorgfalt auf den Stil, darauf, das kraftvollste Wort, die plastischste Metapher zu verwenden. Die schwedischen Rezensenten loben Ihre Sprachvirtuosität …

Mit jedem Buch beginne ich ganz von vorn, mit einem neuen Thema, einem neuen Stil – sonst verliere ich die Lust am Schreiben. Wahrscheinlich geht das so lange, bis ich mein Instrumentarium so beherrschen werde wie Peter Weiss in seinem Meisterwerk Die Ästhetik des Widerstands. Doch so weit bin ich noch nicht, komme ich vielleicht ja auch nie. Wenn ich an einem neuen Text sitze, brauche ich immer eine Weile, um in Gang zu kommen, um die richtige »Musik« erklingen zu lassen. Man kann das auch »Stil« oder »Stimme« nennen, aber ich ziehe den leicht nebulösen Vergleich mit der Musik vor. Das Thema, die Geschichte selbst – das habe ich immer recht schnell. Doch die Antwort auf die Frage, wie die Geschichte sprachlich vermittelt werden soll, die lässt häufig lange auf sich warten. Nicht selten setze ich mich tatsächlich hin und höre Musik, um einen Rhythmus, eine Melodie zu finden, die stimmig ist – vor allem der Takt ist wichtig. Stil ist sehr viel mehr Takt als Melodie für mich, so als würde sich der Text hervortanzen. Liebe ganz oder gar nicht ist diesbezüglich keine Ausnahme. Außer: Die Geschichte umspannt dreißig Jahre, und so musste der Musik eines jeden Kapitels ein eigener Klang verliehen werden. Von O Magnum Mysterium, das der Kammerchor Uppsalas auf herzzerreißende Weise singt, bis hin zu Michael Jackson. Das fiel mir alles andere als leicht und ist sicherlich ein Grund dafür, dass ich mehr als zwei Jahre intensiv an diesem Roman gearbeitet habe.

Liebe ganz oder gar nicht

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