Außergewöhnlicher Mensch an einem außergewöhnlichen Ort
Von:
Ferdinand S.
aus Berlin
14.02.2016
'Ein Gefängnispfarrer erzählt' – dieser Untertitel weckt Interesse, und der Umschlagstext verspricht außergewöhnliche Einblicke in eine Welt, die ein unbescholtener Bürger in der Regel nie betreten wird.
Rainer Dabrowski hat 23 Jahre lang als evangelischer Pfarrer in Deutschlands größtem Männergefängnis, der Justizvollzugsanstalt Tegel, Seelsorge betrieben. Tagein, tagaus. Sein Arbeitsplatz, eine Welt voller verurteilter Straftäter und deren Bewacher – verknackt, vergittert, vergessen – und er mittendrin.
Rainer Dabrowski erzählt sehr offen und allgemeinverständlich aus seinem Knastalltag, dem Alltag der Inhaftierten und seiner Arbeit. In einem sehr flotten und leichten Erzählstil offenbart er, spannend und authentisch, wie er (vor dem Hintergrund seiner Ausbürgerung aus der DDR) Gefängnispfarrer wurde und wie sie sich seine Arbeit mit den Inhaftierten und Bediensteten gestaltete, und was ihm alles wiederfuhr – bis zum bitteren Ende.
Schonungslos gegenüber allem – den dort vorherrschenden Zuständen, gegenüber seiner Kirche, seinem Glauben und sich selbst. Teilweise wirklich heikle Themen. Er trägt interessantes Insiderwissen aus dieser ummauerten Welt heraus ans Licht der Öffentlichkeit. Das Buch ist ein Ausschnitt aus einer Lebensgeschichte eines außergewöhnlichen Mannes an besonderem Ort, und Dabrowski erlaubt darin Einblicke in sein eigenes Denken und Empfinden. So dicht heran an die Gedanken eines Pfarrers kommt man gewöhnlich nicht, und genau das macht das Buch und den Menschen interessant. Die Anekdoten über die unzähligen Inhaftierten, die er über die vielen Jahre betreute, sprudeln nur so aus ihm heraus; ein Erzählstil, dessen sich auch seine Protagonisten, die Inhaftierten, bei ihren Gesprächen mit ihm wohl allzu gern bedienten. Diese Anekdoten und Knacki-Beschreibungen ziehen sich durch das ganze Buch – bilden den roten Faden, an dem er seine eigene Gedanken und Empfindungen anheftet bis – bis es ihn selbst aus der Bahn wirft.
Resümee: Seine Berufung war, Menschen zu helfen, von Mensch zu Mensch. Menschen helfen, das konnte er; aber er konnte nichts ändern – nicht die ihm anvertrauten Inhaftierten, nicht das System. Er hörte sich die Schicksale der Gefangenen an, bekam schlimmste Straftaten erzählt, musste in menschliche Abgründe blicken, hilflos den Sinn und Unsinn des Wegsperrens erleben, den Sinn seines eigenen Wirkens hinterfragen, bis all diese Eindrücke und Erzählungen seinen Geist selbst in Haft nahmen.
Und das alles findet man in seinem Buch wieder - unterhaltsam, kurzweilig, lesenswert!