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Veikko Bartel im Interview

"Frauen morden tödlicher"

Veikko Bartel
© Christoph Bastert
Wann haben Sie sich entschieden, die Geschichten Ihrer Fälle aufzuschreiben und warum?

Die Absicht, dies zu tun, trug ich schon sehr viele Jahre in mir. Aber wie das mit so vielen Dingen ist: Absichten werden vom Stress des Alltags zum Frühstück verschlungen. Ich ärgere mich schon sehr darüber, dass viele Episoden dem Vergessen zum Opfer gefallen sind. Vor zwei Jahren hielt mir einer meiner Söhne einen Zeitungsartikel über ein Mordverfahren unter die Nase und fragte mich, ob ich „so was“ tatsächlich verteidigt hätte. In diesem Presseartikel wurde aus meinem Plädoyer als Verteidiger des aus dem rechten Spektrum stammenden Angeklagten ausführlich zitiert. Ich hatte an dieses Verfahren, in dem es nach dem Artikel ziemlich hoch her gegangen sein muss, nicht die geringste Erinnerung. Das war dann der Auslöser, ein Kampf gegen das Vergessen.


In der aktuellen Vorschau des Verlags heißt es „Frauen morden anders“. Ist das wirklich so?

Ich habe da keine empirischen Studien angestellt. Mir scheint indes bisweilen: Frauen morden tödlicher. Und irgendwie begründeter. In gewisser Weise auch hinterhältiger. Die Anlässe sind viel diffiziler, ausgereifter als das bei den Männern der Fall wäre.


Sie haben in so vielen grausamen Gewalttaten verteidigt, haben in so viele menschliche Abgründe gesehen, die sich der „normale Mensch“ noch nicht einmal ausdenken könnte. Können Sie Menschen noch als etwas Positives empfinden? Hat diese „böse Welt“ auf Ihre Sicht des Menschen irgendwie abgefärbt?

Ich denke, dass man als Strafverteidiger schon einen geradezu sentimentalen Glauben an das Gute im Menschen braucht. Es mag verschüttet sein, vielleicht nur noch ein Rudiment, aber es ist da, in jedem. Ein Staatsanwalt hat vor vielen Jahren einmal zu mir gesagt, ich sei ein eiskalt berechnendes und knallhartes Aas, auf der anderen Seite aber ein der Wirklichkeit entrückter Träumer, wenn ich an eine gute, barmherzige, eine gütige Seite meines Mandanten glaubte und dafür eintrat, meinen Mandanten eben nicht nur vor dem Hintergrund seines von ihm begangenen Verbrechens zu definieren. Ich war, bin und werde es immer sein – ein großer Fan von Märchen. Am Ende siegt das Gute. Was wäre das für eine Welt, in der wir nicht genau daran glaubten?


Kann man als Strafverteidiger Beruf und Privatleben strikt trennen oder nimmt man die Arbeit mit nach Hause?

Die Arbeit als Strafverteidiger hat immer Auswirkungen auf die Familie. Zum einen ist man ständig unterwegs: Montag München, Dienstag Rostock, Mittwoch Neuruppin, Donnerstag Frankfurt, Freitag Hamburg. Solche Wochen waren keine Seltenheit. Dann die Anrufe am Wochenende oder in den Nachtstunden aus irgendeinem Polizeigewahrsam. Die Nächte, in denen ich Verfahrensakten mit teilweise sechsstelligen Seitenzahlen las, ich habe sie nicht gezählt. Meine Kinder wurden in der Schule auf Verfahren angesprochen, wenn sich Papa wieder einmal im Fernsehen oder in der Zeitung schützend vor einen Mandanten stellte. Erklären Sie mal einem sechs-, sieben-, achtjährigen Kind, was ein Strafverteidiger macht und warum er mehr für diese bösen Menschen da ist, als für seine Kinder. Es gab auch Verfahren, in denen es zu ganz konkreten Drohungen gegen meine Familie kam, sollte es mir gelingen, „dieses Tier aus dem Knast zu holen.“


Eine Frau, die ihr Baby tötet und es dann zwei Tage lang kocht, ein Auftragsmörder, der mindestens 18 Menschen kaltblütig umgebracht hat, ein NPD Mitglied, das erst den Imbisswagen eines Vietnamesen abfackelt, dann einen Dönerladen anzündet und damit den Tod der Bewohner eines ganzen Hauses in Kauf nimmt – wie kann man sich schützend vor solche Menschen stellen?

Würden Sie mich das auch fragen, ginge es um Ihre Mutter, Ihre Tochter, Ihren Mann, Ihren Bruder, Ihren Sohn, Ihre beste Freundin oder Ihren besten Freund?


Sie saßen viele Stunden mit Ihren Mandanten in Besprechungszimmern. Hatten Sie jemals Angst vor Ihren Mandanten?

Nein, nicht ein einziges Mal. In diesen stundenlangen Momenten nicht und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt.


Kannten Sie immer die wahre Geschichte der Taten Ihrer Mandanten?

Ob ich sie immer kannte? In allen Fällen? Nein, ich denke nicht. Obgleich ich jedem Mandanten sagte, dass ich die Wahrheit wissen will und muss. Wie sollte ich sonst eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie erarbeiten ohne Gefahr zu laufen, dass diese mir während des Verfahrens um die Ohren fliegt? Ich muss doch wissen, was ich einen Zeugen fragen kann und was ich ihn auf keinen Fall fragen darf.


Recherchiert man im Internet, so stößt man auf viele Verfahren, in denen Sie Angeklagte aus dem rechten politischen Spektrum verteidigt haben. Spielte die politische Überzeugung Ihrer Mandanten eine Rolle, ob Sie Mandate annahmen oder eben nicht? Ich meine, wenn man Sie in den Vorlesungen erlebt, dann ist ja nicht zu überhören, dass Ihr Herz sehr weit links schlägt.

Jeder Mensch hat das Recht auf Verteidigung, dieses Recht aus weltanschaulichen Gründen faktisch einzuschränken, das ging mir schon immer gegen den Strich. Genauso wie jede Art von Vorverurteilung. Mich hat das eher herausgefordert, als mich von der Übernahme solcher Mandate abzuhalten. Anfangs war ich da sicher mehr als blauäugig und reichlich fassungslos, als ich plötzlich als Nazianwalt galt. Was ich niemals geduldet habe, war, dass ein Mandant den Gerichtssaal als Bühne für seine abstruse, von Hass und Neid erfüllte braune Weltanschauung nutzt.


Die Fragen stellten Schülerinnen und Schüler von Veikko Bartel. Der Autor unterrichtet angehende Verwaltungsfachangestellte in Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Außerdem versucht er, Studenten einer Berliner Universität die Geheimnisse der Besteuerung von Personengesellschaften näherzubringen.

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