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Ulrich Ritzel - "Einer der besten deutschen Krimi-Autoren." (stern)

Eine Ohrfeige reicht fürs Leben

Buchvorstellung: Rüdiger Bäßler über Ulrich Ritzels Krimi "Der Hund des Propheten"

Bei Ulrich Ritzel ist der Fall einigermaßen klar: Wer Krimis schreibt, sucht nach Gerechtigkeit Ulrich Ritzel hat schon 2001 den deutschen Krimipreis gewonnen. Mit "Der Hund des Propheten" legte er seinen vierten Kriminalroman vor. Aber wehe, man findet das gut.

Gertenschlank mit 61 Jahren, von strengen Gesichtszügen und höflichem Umgang, aber dreinschauend wie der Henker von Venedig, wenn eine Kamera auftaucht, so sitzt die aktuelle Hoffnung des deutschen Kriminalromans in ihrem Wohnzimmer. Ein glamouröser Popliterat wird der Mann nicht mehr.

Er gibt sich auch keine Mühe. Lieber trinkt er Tee, natürlich ohne Zucker, gönnt sich dazu etwas holländisches Orangengebäck, und während man mit ihm kaut und in seine langen Sprechpausen hineinhört, zerfällt jäh die Vorstellung davon, dieser Verfasser so lebenskundiger, oft verschmitzter Kriminalgeschichten feiere selbst ab und zu eine ordentliche Sause.

Ein bisschen frohgemuter könnte er schon sein. Hat gerade seinen vierten Roman mit dem Titel "Der Hund des Propheten" veröffentlicht; wird von der Kritik gehätschelt ob seines abgeklärten, unaufgeregten Erzählstils und sogar ausgerufen zum Ausnahmetalent des Genres um Verbrechen und Detektive; pendelt frei wie ein Vogel zwischen seinem Haus in Oberteuringen am Bodensee und seiner Schriftstellerklause über den Dächern von Ulm. Doch was tut er?

Er grummelt. Sagt, es kümmere ihn nicht, ob seine Werke als anspruchsvolle Literatur zu gelten hätten, schmäht seine Kritiker, die er schon mal "verbeamtete und auch nicht verbeamtete Oberlehrer der Literatur" nennt, verbittet sich noch entschiedener jegliche Schulterklopferei so genannter Bewunderer. Das bereitet ihm fast körperliches Unbehagen, und er verzieht schon beim Gedanken daran das Gesicht wie im Schmerz.

Er, der selbst nicht bewundert, der folglich auch keine literarischen Vorbilder nennen mag, sagt, "das hat so was Ranschmeißerisches". Überschwang ist ihm ein Gräuel. Autoren, die ihn "beeindruckt" haben, doch, die gibt es, darunter Eric Ambler, Dorothy Sayers, das Autorenpaar Sjöwall/Wahlöö, das Ritzel wegen dessen "scharfen, direkten Blicks auf eine triste gesellschaftliche Wirklichkeit" in Schweden für bedeutender noch hält als Henning Mankell.

Es ist nicht leicht mit diesem seltenen Exemplar von Jungautor in reifem Alter. Man hat immerzu das Gefühl, die richtige Distanz zu ihm nicht finden zu können und trachtet danach, ihn wenigstens nicht mürrisch zu machen. Aber Ritzel hat es seinerseits auch nicht leicht mit der Öffentlichkeit. Die will sein wahres Ich entdecken im Schriftstellerleben und vergisst, wie kurz es erst währt.

Dann herrscht Enttäuschung; anstatt schlüpfriger Begebenheiten aus dem Literaturbetrieb etwa von ihm mitgeteilt zu bekommen, er schreibe "zwischen den Spaziergängen, die mein Hund einfordert". Oder seine Gesprächspartner ordnen ihn ins Fach der niederen Unterhaltungsliteratur ein, behelligen ihn mit Seichtigkeiten und müssen verblüfft zur Kenntnis nehmen, dass es dem Mann tief ernst ist mit der Schreiberei, und er in seiner Meinungsfreudigkeit, seiner Herangehensweise an Texte und in seiner Art zu recherchieren immer auch noch Journalist ist, wie er das 35 Jahre seines Lebens war.

"Herausfinden, was gewesen ist", nennt der Teilzeit-Ulmer als wichtigsten Antrieb für sein Schreiben. Den hat er aus seinem Journalistenleben mit hinüber genommen. Die Schrecknisse des gewaltsamen Todes und dessen geheime Faszination hingegen interessieren ihn wenig; es wird spärlich gemeuchelt in den Ritzel-Büchern, und in dieser Hinsicht ist der Autor von ganz anderem Sinn als etwa ein Umberto Eco, der zu seinem Roman "Der Name der Rose" sagte, ihn habe schlicht die Lust getrieben "einen Mönch zu vergiften", der Rest der Handlung sei "Fleisch" gewesen, das er "nach und nach angesetzt" habe.

Nein, Ritzels Schreiben ist eng mit seiner Herkunft und mit frühen Erfahrungen verbunden. Geboren wurde er 1940 in Pforzheim, erlebte das Chaos des Kriegsendes schon bewusst mit, wuchs auf und wurde sozialisiert, wie er sagt, in der Adenauerrepublik, in der "der gesamte Beamtenapparat aus dem Dritten Reich wieder fest installiert war". Das sei die Zeit gewesen, als "ein großer, fest gewebter Teppich über der Vergangenheit ausgerollt" werden sollte. Er erinnert sich, wie er als junger Mann aus einer rechtsgeschichtlichen Vorlesung hinausgestürmt ist, "als der Dozent zu behaupten wagte, es habe keine Justizkrise im Dritten Reich gegeben".

Also aus Protest gegen die ehemals herrschenden politischen Verhältnisse wurde ein junger, politisch engagierter Mensch zu einem, der das Investigative, das Aufrollen des Teppichs zu einem Teil seines Schreibens machte. Wie griffig diese Erklärung doch ist, wie geschaffen zur Zierde eines Buch-Klappentextes. Aber steht sie allein?

Rücksichtslosen Männern muss man das Handwerk legen
Irgendwann während des Gesprächs erzählt Ritzel nach einem langen Schluck aus der Teetasse, häufig stockend und dabei aus dem Fenster sehend, noch eine andere Begebenheit, die aus seiner Kindheit stammt, ein unauslöschlicher Fetzen Erinnerung: "Ich bin vier oder fünf Jahre alt, unterwegs mit meiner Mutter auf einem Bahnhof . . . Es ist ein furchtbares Gedränge . . . Die Züge haben Verspätung. Es ist wohl noch Krieg oder kurz danach . . . Meine Mutter hat das Gepäck . . . Ich soll versuchen, in den Waggon vorzugehen, ein dicker Mann schiebt mich zur Seite - und gibt mir eine Ohrfeige."

Stille herrscht im prunklosen Wohnzimmer mit Panoramablick aufs Ulmer Münster, und man denkt sich währenddessen die Erzählung ungefähr so weiter: Der kleine Junge, beschämt ob der ihm widerfahrenen Ungerechtigkeit und seiner eigenen Wehrlosigkeit, lernt, sich zu verteidigen und beginnt die Waffe zu polieren, die ihm früh in die Hand gegeben wird: seine Sprache. Er wird Journalist, schreibt Gerichtsreportagen, bringt es weit, und eine seiner Spezialitäten ist es fürderhin, dicke, rücksichtslose Männer ausfindig zu machen und ihnen das Handwerk zu legen.

Eine hübsche Story eigentlich, aber der knorrige Ritzel macht sie zunichte. Nie habe er das Gefühl gehabt, dem Journalismus die Krone aufgesetzt zu haben, auch nicht, als er Mitte der achtziger Jahre nach längerer Odyssee durch piefige Kleinstadtredaktionen den Wächterpreis der deutschen Tagespresse gewann; auch nicht, als er, spät berufen, Chefreporter der Tageszeitung "Südwest Presse" in Ulm wurde. Zu viele Pflichtstoffe habe er zu bewältigen gehabt, "zu viele Seiten gefüllt", bekennt er mit müdem Blick. Der Journalismus verschleißt diejenigen, die sich ihm mit Leidenschaft hingeben.

Irgendwann war es Zeit, und Ritzel kündigte
Aber es kam noch etwas hinzu: Der Ulmer Zeitungsverlag holte Mitte der neunziger Jahre den Bonner Leiter des "Stern"-Büros, Hans-Peter Schütz, als neuen designierten Chefredakteur ins Haus. Schütz beförderte Ritzel, weil er in ihm, wie er heute noch sagt, einen "Ausnahmejournalisten" erkannte. Aber dann musste der Magazinmann, dessen Umgangston von vielen als ausgesprochen ruppig empfunden wurde, aus Gründen, über die viel spekuliert wurde, wieder gehen.

Ritzel machte sich damals zum Fürsprecher seines Förderers, der später wieder als Vertragsautor beim "Stern" anheuerte, exponierte sich ganz gegen seine Art gegenüber der Verlagsleitung, versuchte, die Entlassung zu verhindern. Vergebens. "Da wusste ich, ich muss aufhören."

Im Jahr 1998 kündigte Ritzel sein Arbeitsverhältnis, ohne das Rentenalter erreicht zu haben, setzte sich während seines noch verbleibenden Urlaubs zu Hause an den Schreibtisch und schrieb seinen Erstling "Der Schatten des Schwans".

Ritzels Telegrammstil, in dem er Einblicke in seinen Lebenslauf gibt, seine oft lakonische Art zu erzählen ändern nichts daran: Seine Geschichte spinnt sich weiter wie von selbst. Man konfrontiert ihn jetzt nicht mehr damit, schweigt lieber, denn er würde alles sogleich erneut von sich weisen, alles reduzieren, relativieren, verkleinern, und am Ende wüsste man wieder nicht, wie man diesen Mann nun eigentlich zu charakterisieren hat, von dem aber immerhin klar ist, dass er ständig Wachtposten vor sich selber steht. Seine Verletzlichkeit muss groß sein.

Bringen wir also die Lebensgeschichte vom Journalisten, der sich darauf verlegt hat, dicke Männer, die ihre Macht missbrauchen, an den öffentlichen Pranger zu stellen, still zu Ende. Das versucht er bis nah ans Ende seiner Berufslaufbahn. Da nötigt ihn der misslungene Einsatz für einen respektierten Förderer und Kollegen, dessen Entlassung er als zutiefst ungerecht empfindet, zu einer Gewissensentscheidung, die ihm zunächst selbst die Berufsperspektive nimmt und seine Existenz bedroht.

Doch seine Wut soll nicht ohnmächtig bleiben wie damals, als er im Alter von vier oder fünf Jahren am Bahnhof eine Ohrfeige bekam. Sie entlädt sich vielmehr in einem außergewöhnlichen schöpferischen Akt des Schreibens. An dessen Ende steht ein weiterentwickelter, gewachsener, noch ernster gewordener Ritzel. So kennt er sich schließlich selbst. So könnte es gewesen sein. Falls nicht, wird Ulrich Ritzel ja wissen, dass jede gute Geschichte einen guten Schluss braucht. Das wird er am Ende verstehen.

Vielleicht kann er sogar lächeln. Es zu probieren, ist lange noch kein Verrat.

© Rüdiger Bäßler

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