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SPECIAL zu Tom Rob Smith »Kind 44«

Ein Serienmörder unter Stalin

Tom Rob Smith über seinen Bestseller »Kind 44«

Tom Rob Smith erklärt, warum er seinen Serienmörderroman ausgerechnet in der Sowjetunion der Stalin-Ära spielen lässt:
© Jerry Bauer
Ich recherchierte gerade für ein Drehbuch als ich auf einen Serienmörder stieß, den es wirklich gegeben hat: Andrej Chikatilo ermordete in den Jahren vor dem Kollaps der Sowjetunion im Laufe eines Jahrzehnts mehrere Jungen und Mädchen. Eines wurde umso deutlicher, je tiefer ich in den Fall eintauchte: es lag nicht an seiner Genialität, dass er nicht gefasst wurde, sondern das sowjetische Rechtssystem tat sich schwer damit zuzugeben, dass er überhaupt existierte. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als ein Ende der schrecklichen Morde waren ihre vorgefassten Meinungen über die sowjetische Gesellschaft. Es war unglaublich frustrierend, den Bericht über die Ermittlungen zu lesen, die damals stattfanden. Meine Reaktion darauf war so heftig, dass ich meine eigene Version der Geschichte erzählen wollte.

Insofern ergab sich der Schauplatz von selbst. Die Geschichte und der Ort ließen sich nicht voneinander trennen: Man kann die Geschichte nicht auf ein anderes Land übertragen. Um das Buch zu schreiben, musste ich daher mehr über die Sowjetunion wissen.

Ich habe die Geschichte allerdings weiter zurück in die Vergangenheit verlegt, von den 1980er Jahren in die 1950er. Ich überlegte mir, dass der Druck auf unseren Helden [gemeint ist der Ermittler Leo Demidow, Anm. d. Red.] an diesem Punkt der sowjetischen Geschichte viel größer gewesen wäre. Unter Stalin war das System am extremsten. Leos Leben und das seiner Familie würden auf dem Spiel stehen, wenn er sich gegen die offizielle Linie stellen würde. In den 1980er Jahren hatte der Liberalisierungsprozess bereits begonnen.

Der Serienmörder war also kein zusätzliches Element meiner Geschichte, sondern mein Weg, mir diese Welt zu erschließen, und, indem ich sie in einer so andersartigen Gesellschaft ansiedele, eine bereits bekannte Geschichte neu zu erzählen. Man bekommt einen aufschlussreichen Querschnitt durch eine Gesellschaft, wenn man sich ansieht, wie dort die Polizeiermittlungen gehandhabt werden. Nehmen Sie ein Polizeirevier unter die Lupe und Sie werden dort die zu einer bestimmten Zeit verbreiteten Vorurteile finden.

Die unterschwellige Ironie eines Serienmörderromans, der in der Sowjetunion spielt, ist, dass der Marxismus Menschen als das Produkt historischer Kräfte ansieht. Und der Serienmörder in meiner Geschichte wurde durch die historischen Ereignisse geprägt: Jemand, der durch die schrecklichen Hungersnöte verrohte, behandelt nun andere brutal. Der wahre Serienmörder des Buches ist die Sowjetunion, die Millionen umgebracht hat. Ich fand, dass all diese Ideen auf interessante Weise miteinander zusammenhängen.

Wenn ich ein Buch empfehlen sollte, das ich im Zusammenhang mit "Kind 44" für besonders wichtig halte, dann ist das Robert Conquests "The Harvest of Sorrow" [dt. "Ernte des Todes"]. Das war ein ausschlaggebendes Buch für mich. Ich hatte den ersten Entwurf für eine Geschichte, eine Idee, für sich die niemand besonders zu erwärmen schien, angesiedelt in einer Welt über die ich nicht viel wusste. Als mehr oder weniger vollständiger Amateur ging ich in einen Buchladen am Piccadilly und durchstöberte den Bereich "Russische Geschichte". Da meine Geschichte in den Hungersnöten der 1930er Jahre beginnen sollte, war es nur logisch, Conquests Buch zu kaufen. Wäre das Buch unaufrichtig oder unzugänglich gewesen, hätte es mich nicht emotional berührt, dann weiß ich nicht, ob ich den Sprung gewagt hätte. Tatsächlich gab mir Conquests Buch einen Energieschub. Es ist außergewöhnlich: auf brilliante Weise einleuchtend, aber nie nüchtern oder unparteiisch. Es schildert die entsetzlichen Ereignisse mit besonnener Entrüstung. Ich würde Conquest aber nur jemandem empfehlen, der gerne Bücher zu Geschichtsthemen liest.

Kind 44

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