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Carla Berling: Mordkapelle, Kriminalroman, Heyne

SPECIAL zu »Mordkapelle« von Carla Berling

Von der Journalistin zur Krimiautorin

Carla Berling
© Random House/Philippe Ramakers
Sie haben einen wirklich einzigartigen Weg als Autorin hinter sich. Wann und wie hat alles begonnen?

Carla Berling: Das war 1994, im November, es war saukalt. Unsere Söhne waren noch klein, und ich hatte meinen Traumberuf: Mutter und Hausfrau. Aber dann wurde uns die Gasheizung abgestellt, weil mein Mann arbeitslos geworden war und wir die Rechnung nicht bezahlt hatten. Das wollen wir doch mal sehen, dachte ich. Ich heizte nur die Küche mit dem offenen Elektrobackofen, besorgte mir eine gebrauchte elektrische Schreibmaschine, Blaupapier und einen Stoß leere Blätter, zog mir abends, als die Jungs im Bett waren, zwei Jogginganzüge übereinander, wickelte mich in eine Decke und begann zu schreiben. Natürlich einen Bestseller. Von dunklen Machenschaften im Strukturvertrieb einer Versicherung wollte ich erzählen, denn darüber wusste ich Bescheid. Nach wenigen Zeilen brüllte ich das ganze Haus zusammen.
Das »e«. Auf dieser verfluchten Schreibmaschine war das »e« kaputt. Und nun? Nicht mit mir, Schicksal, so nicht, das wäre ja gelacht, dachte ich und tippte weiter. Abend für Abend, monatelang, und ich trug jedes verdammte »e« mit dem Kugelschreiber nach. 300 Seiten lang. 100 Millionen handgeschriebene »e«.
Als ich das »Werk« am Stück las, fiel ich fast um. So einen dilettantischen Mist hatte ich ja lange nicht gelesen. Ich musste wohl zuerst schreiben lernen. Und so marschierte ich in die Redaktion unserer Tageszeitung und fragte, ob ich dort schreiben lernen könne. Es gab ein paar Umwege – aber ich konnte.
Wäre mir also 1994 nicht die Heizung abgestellt worden, gäbe es 2017 keinen Roman Mordkapelle.


Die Zeit bei der Tageszeitung hat Sie schließlich zum Krimi gebracht. Wie kam es dazu?

Carla Berling: Es gab tatsächlich ein Schlüsselerlebnis: Ich fuhr nachts mit der Polizei auf Streife und wollte eine Reportage über die Arbeit der Beamten schreiben. Ein paar Wochen vorher hatte ich den spektakulären Schwertransport einer Jacht mitbegleitet und war ziemlich beeindruckt von der Vielseitigkeit der Aufgaben unserer Polizei. In dieser Nacht war ich dabei, als ein Mann tot in einer völlig vermüllten Wohnung gefunden wurde. Er lag dort schon länger und war in entsprechendem Zustand. Diese Stunden habe ich nie vergessen. Im Lokalteil der Tageszeitung konnte ich »nur« schreiben, dass ein Toter aufgefunden wurde – und unter welchen Umständen. »Dienstbeginn mit einem Toten« hieß der Artikel, in dem ich aber nichts über die Geschichte hinter der Schlagzeile berichten konnte. Es handelte sich nicht um ein Verbrechen, insofern gab es kein öffentliches Interesse.
Als ich dann, viele Jahre später, meinen ersten Krimi entwarf, fiel mir dieser Mann wieder ein. So oft hatte ich mich gefragt, wer er gewesen sein mochte, warum er so elend und allein gestorben war und warum ihn niemand vermisst hatte. Und dann begann ich, ihm eine Geschichte zu erfinden, ihm ein Leben zu geben. So entstand der erste Ira-Wittekind-Roman.

Wie ist schließlich die Idee zu Mordkapelle entstanden?

Carla Berling: Als ich bei Heyne unterschrieb, brauchte ich einen Projektvorschlag für einen neuen Krimi. Seit langer Zeit hatte ich ein Wort im Kopf, zu dem es aber keine Geschichte gab. Als wir noch in Bonn wohnten, ging ich mit dem Hund oft am Kreuzberg spazieren, und da gibt es den Mordkapellenpfad.
Mordkapelle. Das wäre ein Titel, wow, dachte ich. Aber was kann man dazu erzählen?
Plötzlich fiel mir ein Abend in einem Kölner Brauhaus ein, an dem meine Freundin Gisella sagte: »Ich kenne da eine Familiengeschichte, die ist so abgefahren, wenn du daraus einen Roman machst, das glaubt dir kein Mensch!« Ich wurde sehr, sehr hellhörig – und traf bald darauf eine alte Dame, die mir die handschriftlichen Aufzeichnungen ihrer Erinnerungen übergab mit den Worten: »Wenn jemand ein Buch daraus machen kann, dann sind Sie das.« Die Mappe lag lange in der Schublade, bis ich sie wieder hervorholte und erneut las. Ich war sofort wie unter Strom und wusste in dem Moment: Das ist die Story. Diese Papiere der alten Dame sind also der Stoff, aus dem Mordkapelle entstanden ist.


Was macht einen typischen Ostwestfalen in Ihren Augen aus?

Carla Berling: Wenn der Ostwestfale ein Kleidungsstück wäre, dann wäre er wohl ein Tweedmantel. Ein bisschen grob in der Struktur, kein Firlefanz, keine Schleifen, keine Spitze, keine Rüschen – aber von super Qualität. Die Leute sind bodenständig, zuverlässig, und sie haben einen köstlichen Humor, den die meisten von ihnen nur ganz selten zeigen.


Erzählen Sie uns ein bisschen über die Figuren in Mordkapelle. Beginnen wir mit Ihrer Ermittlerin Ira Wittekind. Sie ist genauso alt wie Sie und Reporterin. Zufall?

Carla Berling: Nein, kein Zufall. Ira ist Jahrgang 1960, weil ich mich in der Zeit ihrer Kindheit und Jugend gut auskenne und weil ich gerne davon erzähle. So eine Kindheit mit Gummitwist, Bonanzarädern, Fangen und Verstecken spielen, Buden bauen, auf Bäume klettern und »nach Hause kommen, wenn die Laternen angehen«, ist heute vielleicht eher die Ausnahme. Dass ich sie Lokalreporterin werden ließ, hat damit zu tun, dass ich diesen Beruf sehr geliebt habe. Kein Tag war wie der andere, und ich hatte immer die Chance, hinter die Fassaden zu blicken, auch wenn ich das in meinen Artikeln meistens nicht verwenden konnte. Ira hat eine ganz besondere Begabung: Sie kann Menschen zum Reden bringen. Sie kann es, weil sie zuhören kann und weil sie den Ruf hat, absolut seriös und zuverlässig zu sein. Das hat sie von mir! Ira weiß, dass man die Einsamkeit und die Eitelkeit der Menschen niemals unterschätzen darf, und sie weiß, wie man die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellt. Sie weiß, dass die meisten Menschen gern von sich erzählen, man muss aber den richtigen Zeitpunkt finden, ihnen ihr Stichwort geben, und dann reden sie. Hier hören die Gemeinsamkeiten aber auf. Ira war nie verheiratet und hat keine Kinder. Das hat sie nicht von mir – ich bin seit 1985 fast ununterbrochen verheiratet, aber nicht immer mit demselben Mann, und ich habe zwei erwachsene Söhne. Ira lebt mit Tante Erna zusammen. Die hat schwarze Locken, braune Augen, ist ziemlich groß und pinkelt überall hin. Sie ist aber dennoch eine Dame. Eine Königspudeldame. Ich hingegen hatte in den letzten 24 Jahren immer Setter.

Neben Ira spielen eine Reihe anderer Personen eine Rolle in Mordkapelle. Wer ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?

Carla Berling: Natürlich Andy. Er ist groß, hat breite Schultern und ein tolles Lächeln. Er ist so ein bodenständiger Typ, der Ira immer wieder auf den Boden zurückholt, wenn sie ausflippt. Das hat er von meinem Mann. Und die Tanten, die liebe ich auch. Weil ich ihnen in schönstem Ostwestfälisch alles in den Mund legen kann, was ich denke, aber nie sagen würde. Manchmal stelle ich mir vor, dass meine Schwester und ich mal so sind, wenn wir ganz alt sind. Nur ohne Zigarrenstumpen, die vertrage ich nicht, und runtergerollte Gummistrümpfe stehen mir nicht.

Mordkapelle

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