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SPECIAL zu Sven Kemmler »Und was wirst du, wenn ich groß bin?«

"Guten Wind - und mögen Sie niemals ankommen!"

Interview mit Sven Kemmler

Wie alt waren Sie, als Sie sich zum ersten Mal vorgenommen haben, etwas zu werden im Leben? Und was war Ihr erstes Ziel?
Sven Kemmler: Es muss ungefähr mit fünf gewesen sein, und der Wunsch war Tierpfleger zu werden. Oder um ganz präzise zu sein: „Irgendwas mit Tieren oder Hunden“.

Welche Ihrer Lebensvisionen war die außergewöhnlichste, skurrilste oder kühnste – und mit welcher Vision sind Sie besonders unsanft auf dem Boden der Realität gelandet?
Sven Kemmler: Die außergewöhnlichste Lebensvision ist immer die, die große Brüche darstellt und das Umfeld erschreckt, weil da der größte Mut verlangt wird. In meinem Fall war das wohl der sehr späte Entschluss, Künstler zu werden. Am längsten gedauert – 20 Jahre – hat die Vision, ein Buch zu schreiben. Über die Realität kann ich mich nicht beklagen, sie war immer gut zu mir. Unsanft war auch weniger das Scheitern, sondern im Gegenteil, eine Vision zu realisieren und festzustellen, dass das Ergebnis nicht erfüllt oder befriedigt.

Können Sie mit der Diskrepanz zwischen Vision und Realität inzwischen besser umgehen? Und allen Lesern, die sich ihre Kindheitsträume, als Pilot, Operndiva oder Forscher weit weg zu fliegen, betörend zu singen oder Wundermittel gegen tödliche Krankheiten zu finden, ebenfalls nicht erfüllen konnten, einen Rat geben, wie man zufrieden und glücklich mit dem ist, was man kann und erreicht hat im Leben?
Sven Kemmler: Es gibt keine Diskrepanz zwischen Realität und Vision, es ist kein „entweder – oder“. Und Beamter werden und Kinder großziehen ist ebenso sehr Vision wie die erste Barfußexpedition zum Nordpol. Die Vision ist einfach das Schiff, mit dem man die Realität durchquert, wobei Dreimaster unter Segel eben mehr auffallen als Tretboote. Deshalb nennt man sie dann „Traum“ oder „Vision“ und die kleineren Boote „Vernunft“, aber letztlich fahren alle ins Ungewisse. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich dessen bewusst zu sein und trotzdem nie aufzuhören. Und sollte ich jemals einen allgemeingültigen Rat finden, der Menschen zufrieden und glücklich macht mit dem, was sie sind, werde ich sofort eine Religionsgesellschaft gründen und den Vorsitz übernehmen. Bis dahin wünsche ich allen „Guten Wind und mögen sie niemals ankommen – yo, ho, ho and a bottle of rum!“

Wieviel eigene Erlebnisse, Wünsche und Träume stecken denn in den 32 Berufen, in denen sich Ihr Held im Verlauf von 25 Jahren versucht hat?
Sven Kemmler: Das meiste ist von eigenen Erlebnissen inspiriert, aber wie viel genau und in welcher Reihenfolge sollte unbedingt ein Geheimnis bleiben. Um es wie im Buche mit Tom Waits zu sagen: „I tell you all my secrets but I lie about my past.“

Welcher dieser Berufe hat Ihnen am meisten Spaß gemacht – und wäre auch heute noch eine echte Alternative?
Sven Kemmler: Am meisten Spaß macht eigentlich immer der Beruf, den ich gerade ausübe. Derzeit also Schriftsteller und Kabarettist. Von den abgelegten Berufen ist keiner mehr Alternative, deswegen habe ich sie ja abgelegt oder bin – zurecht – abgelegt worden.

Ihr Held träumt nie davon, ein erfolgreicher Comedy-Autor zu sein. Ist das kein attraktives Lebensziel? Und wie geht diese Geschichte, wenn Sie sie erzählen würden – in drei Sätzen?
Sven Kemmler: Comedy-Autor ist ein wunderbarer Beruf, aber es ist einer der Berufe, die man eher findet als sucht. Zumal es „Comedy“ noch nicht mal als Begriff gab, als ich ins berufsfähige Alter kam. Als Lebensziel ist es nicht besser oder schlechter als andere, die Geschichte ginge deshalb so: Nach einigen Jahren des humoristischen Schreibens bekam ich das Angebot, eine große Fernsehcomedy zu kreieren. Dabei lernte ich eine wundervolle Frau kennen, mit der ich mich nach dem quotenbedingten Aus der Serie schmollend auf die äußeren Hebriden zurückzog. Wir liebten uns täglich und wurden reich und schön mit dem Verkauf der Senderechte der von uns vor Ort erfundenen "Schaf-Sketche“ nach Japan.

Erfolg ist alles, behauptet eine ganze Riege von Sachbuch- und Ratgeberautoren, die für jeden Aspekt des Lebens ein entsprechendes Konzept bereit halten. Was bedeutet Ihnen Erfolg? Ist Ihr Buch vielleicht ein Erfolgsratgeber, der im Schafspelz einer Biographie daherkommt?
Sven Kemmler: Ich müsste mich schämen, einen Erfolgsratgeber zu schreiben, aber glücklicherweise endet die Geschichte nicht mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft oder dem Einzug ins Kanzleramt. Mir selbst bedeutet Erfolg genauso viel wie allen anderen, er ist die Summe aus vorheriger Erwartung und anschließender Anerkennung minus der eingebrachten Energie des Arsch-hoch-Kriegens. Wobei ich glaube, dass man ihn nur für sich selbst messen kann und er nicht, wie Ratgeber vorgaukeln, allgemeinen Regeln folgt.

Sollen wir etwa aus Ihrer Lektüre lernen?
Sven Kemmler: Ich kann natürlich nicht verhindern, wenn sich jemand dafür entscheidet, das geht ja anderen Schriftstellern genauso. Man kann schließlich aus allem lernen. Es kommt darauf an, was, und das hat weniger mit dem Autor zu tun, eher mit dem Leser. Ich kann von Hannibal Lecter lernen wie man Leber zubereitet, von Alexander Solschenizyn, wie man mit Zeitungspapier
Zigaretten dreht und von Carlos Castaneda, was am besten breit macht. Das hat aber wenig mit den Intentionen der Autoren zu tun. So gesehen: ich bin einfach lieber schlechtes Beispiel als Lehrer.

In Ihrem Buch erzählen Sie von vielerlei Versuchen, etwas zu werden im Leben. Würden Sie denn heute sagen, dass etwas aus Ihnen geworden ist? Oder ist der Prozess noch nicht abgeschlossen?
Sven Kemmler: Aus mir ist ein Stück mehr Sven geworden, was ich als Fortschritt empfinde im Sinne von „etwas“ geworden. Und wenn ich jemals damit aufhöre zu werden, sollte man mich umgehend vom Markt nehmen. Und das ist eine durchaus ernstgemeinte Bitte.

Haben Sie heute immer noch Lebensvisionen?
Sven Kemmler: Unmengen. Und verbunden damit die Gewissheit, noch lange nicht alle zu kennen, die noch kommen, denn wer weiß, was ich in fünf Jahren als Vision empfinde, wovon ich heute noch nicht mal träumen kann. Visionen sind ja immer erst mal unsinnig und Unsinn ist nicht nur erfrischend, sondern glücklicherweise auch ein unerschöpfliches Reservoir.

Was ist Ihre stärkste Antriebsfeder – was motiviert Sie für die Arbeit und fürs Leben?
Sven Kemmler: Größtenteils Frauen, ich bin ein großer Anhänger des Minneprinzips. Anders ausgedrückt: Liebe und Anerkennung, wobei hierbei zunehmend die Anerkennung durch mich selbst eine Rolle spielt. Und was die Motivation für Arbeit betrifft, so funktionieren Hunger, Durst und das Bedürfnis nach Wohnen immer noch recht gut.

Sie zitieren im Vorwort die schöne Liedzeile von Tom Waits, „And she loves you for all that you're not.“ Heißt das vielleicht, dass wir uns nicht zuviel bemühen sollten, etwas zu werden ...?
Sven Kemmler: Ich glaube wir sollten alles mit „heißem Bemühen“ tun, aber uns dabei bewusst sein, dass das, wofür wir uns bemühen, entscheidender dafür ist, wer wir sind und was aus uns wird, als Erfolg und Misserfolg. Wie es im Film Adaption so schön heißt: „Du bist, was du liebst, nicht was dich liebt“.