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SPECIAL zur Rothschildsaga von Stefanie Zweig

Die Geschichte eines zerbrochenen Traums

Rezension von Sabine Schmitt

Die Rothschildallee ist eine vielbefahrene Durchgangsstraße im Frankfurter Nordend. Hier ist die Journalistin und Schriftstellerin Stefanie Zweig zu Hause. Seit mehr als fünfzig Jahren wohnt die 75-Jährige im dritten Stock eines Gründerzeithauses. In ihrer behaglichen, mit alten Möbeln eingerichteten Wohnung schreibt sie Bücher über die Orte, die sie am besten kennt: das ferne Afrika und die Mainmetropole Frankfurt. Ihr autobiografischer Roman „Nirgendwo in Afrika“ hat Stefanie Zweig 1995 einem Millionenpublikum bekannt gemacht. Darin schildert sie ihre Kindheitserinnerungen. Wegen der jüdischen Herkunft hatte die Familie 1938 vor dem Nazi-Terror aus Oberschlesien nach Kenia flüchten müssen. Die Regisseurin Caroline Link erhielt für den gleichnamigen Spielfilm 2002 einen Oscar.

Reise in die Vergangenheit
Die Handlung ihres neuesten Romans „Das Haus in der Rothschildallee“ spielt in Frankfurt. Jedoch nicht im Frankfurt von heute, der modernen Großstadt mit ihren breiten Geschäftsstraßen und den spiegelnden Hochhausfassaden. Nein, Stefanie Zweig versetzt ihre Leser um mehr als hundert Jahre in die Vergangenheit zurück.

“Es war ein buntes Völkchen, das am letzten Januarwochenende des noch taufrischen neuen Jahrhunderts in Frankfurt die Welt bejubelte, als wäre sie soeben erschaffen worden. Selbst Griesgrame lächelten, wenn sie den Hut lüfteten, um Bekannten einen Gruß zu entbieten. Alte Damen lockerten den Schal, hielten ihre Stirn verlangend in die Sonne und erinnerten sich an die Zeit, als die Frühlingsträume auch zu ihnen gekommen waren.“

Wir schreiben das Jahr 1900. Am 27. Januar, zu Kaisers Geburtstag, genießt der jüdische Tuchhändler Johann Isidor Sternberg das unerwartet sonnige Wetter und die Früchte seines wachsenden Wohlstandes. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, seit kurzem Besitzer eines repräsentativen Mietshauses und in Kürze wird er zum zweiten Mal Vater werden. Er wähnt sich in den oberen Etagen des Bürgertums angekommen.

Zerbrechliches Glück
Vierzehn Jahre später kann der mittlerweile in die Jahre gekommene Sternberg mit Stolz auf das Erreichte zurückblicken. An der Seite seiner umsichtigen Ehefrau Betsy und umgeben von seinen Kindern – dem mittlerweile fast erwachsenen Otto, den vierzehnjährigen Zwillingen Clara und Erwin und dem Nesthäkchen Victoria – genießt er die Sommerferien im noblen Kurort Baden Baden. Soeben hat er seiner Frau eröffnet, dass er sich den fast unerhörten Luxus geleistet hat, ein Automobil der Marke Adler zu bestellen. Seine Prinzipien von Anstand, Ehrlichkeit und Fleiß scheinen sich ausgezahlt zu haben, er ist ein hoch angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Noch weiß Sternberg nicht, dass sein Leben sich im nächsten Moment von Grund auf ändern wird.

Zunächst scheint alles in bester Ordnung. Die Sommersonne wärmt Körper und Seele, die Familie hat sich zu einem opulenten Mal auf der Hotelterrasse versammelt. Es ist ein fast vollkommener Augenblick: “Es war ein Bild, wie es die französischen Impressionisten, die ja nun auch in Deutschland Furore machten, hätten malen können – voller Licht und Sonne und beschwingt vom Pulsschlag des Lebens, der trunken macht. Das noch junge Weinlaub kroch die ockergelben Hausmauern hoch. Der Herbst war noch weit, der Winter Äonen entfernt. Wenn der Strahl des kleinen Springbrunnens die Hängegeranien auf den Balustraden und die Fuchsien im Halbschatten benetzte, verwandelten sie sich in leuchtende Boten des Sommers.“

Mitten in die Idylle platzt wie eine Bombe die Nachricht vom Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie im bosnischen Sarajevo. Krieg kündigt sich an, Familie Sternberg verlässt überstürzt das Feriendomizil.

Erster Weltkrieg
Nichts wünscht sich Johann Sternberg mehr als seinem Vaterland zu dienen. Sein gesetztes Alter macht ihn jedoch für den Kriegsdienst untauglich. Stattdessen wird sein ältester Sohn Otto – gerade achtzehn Jahre alt, empfindlich an Leib und Seele und noch bar jeder Lebenserfahrung – einberufen.

Ein letztes Mal sitzt der junge Patriot im Kreise seiner Lieben am Frühstückstisch und saugt begierig jedes Detail der vertrauten Umgebung in sich auf. Kurz vor dem Aufbruch in eine ungewisse Zukunft nimmt er die Dinge, die ihn seit frühester Kindheit umgeben, intensiver wahr als je zuvor. „Seit wann hatte der Diwan mit den Löwenfüßen einen blauen Überzug? War der mit Bauernblumen bemalte Hocker in der Tür zum Wintergarten schon immer da gewesen, woher kam die rosafarbene Gießkanne, und wann war das kleine rot angestrichene Windrat wieder aufgetaucht? Der große, gütige, immer geduldige Bruder hatte es in der Urzeit unbeschwerter Kindertage für die kleine Schwester mit den roten Masernflecken gebastelt. Weine nicht, Victoria, mein Windrat verjagt jeden Schmerz. Du musst es nur anpusten.“

Alles ändert sich
Kaum drei Monate später erreicht Sternbergs die Nachricht von Ottos Tod. Die einst so soliden Fassaden bürgerlichen Lebens bröckeln, nichts ist mehr wie früher. Lebensmittel und Kleidung werden knapp. Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit und das rechte Maß bürgen nicht länger für ein Leben in Wohlstand und Sicherheit. Von nun an kämpft jedes Familienmitglied seinen eigenen Kampf. Johann Isidor mit dem unerfüllten Wunsch, sein Land im Krieg doch noch zu unterstützen. Seine Frau Betsy mit dem Wissen um eine späte, ihr äußerst ungelegen kommende Schwangerschaft und der wachsenden Entfremdung zwischen den Eheleuten. Die drei verbliebenen Kinder ringen mit dem Erwachsenwerden. Gerade sie müssen auf schmerzhafte Weise erfahren, was es heißt nicht dazuzugehören: In der Schule, auf dem Pausenhof und während des Spiels bricht sich immer öfter der Hass seine Bahn, den die Welt Antisemitismus nennt.

„Die Geschichte eines zerbrochenen Traums“ hat Stefanie Zweig ihren Roman genannt. Sie nimmt den Leser auf eine Reise in die Vergangenheit mit, lässt ihn am Alltag der Familie Sternberg teilhaben. Personen und Umgebung schildert sie mit viel Liebe zum Detail. So intensiv fühlt sie sich in das Innenleben der Familienmitglieder ein, dass der Leser am Ende das Gefühl hat, mit jedem einzelnen vertraut geworden zu sein. Nur ungern nimmt er nach fast dreihundert Seiten Abschied.

Sabine Schmitt
Mainz, Dezember 2008