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Special zu Rainer Schmidts »Die Cannabis GmbH«

Rainer Schmidt – Mein (fast) tödlicher Zug an der Bong

Wer noch immer denkt, deutsche Autoren könnten nur Nabelschau und Bürgertum, der wird jetzt eines Besseren belehrt: Der Roman Die Cannabis-GmbH erzählt von den absurden Geschäften eines Hamburger Grasproduzenten mit dem Spitznamen »der Dude«. Geschrieben hat ihn der Journalist Rainer Schmidt. Sein hier vorliegender Text handelt davon, wie er den echten Dude kennenlernte und warum wir eine neue Drogenpolitik brauchen.

Ich hätte mit einem sehr tiefen Zug an einer sehr großen Bong beinahe einmal Geschichte geschrieben. Damals hatte mich ein Freund so lange bedrängt, dass wir uns vor dem Ausgehen richtig einen durchziehen sollten, dass ich irgendwann genervt nach dem Riesenteil gegriffen und inhaliert habe, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Gab es auch fast nicht mehr. Weil ich mich danach beinahe totgelacht hätte. Das war schnell nicht mehr richtig lustig, mein Körper hatte regelrechte Lachspasmen, die einfach nicht aufhören wollten. Da dachte ich wirklich, okay, das war´s, ich werde am Lachen sterben, es könnte schlimmer enden. Damit wäre ich der bislang weltweit einzige Tote durch Gras- bzw. Haschischkonsum geworden. Denn normalerweise stirbt man durchs Kiffen nicht. Weltweit gibt es keinen einzigen Konsumenten, der nachgewiesenermaßen eindeutig durch eine Überdosis Gras oder Hasch gestorben ist. Tja, die Chance habe ich also leider verpasst. Und da sich dieser beeindruckende Effekt nie wiederholt hat, sondern ich schon bald nach selbst kleinen Zügen nur noch einschlief, war das Thema Cannabis für mich als Jugendlicher schnell gestorben. Wie es ja lange überhaupt kaum ein unhipperes Thema zu geben schien.

Das Universum der deutschen Kiffer - eine sehr große, sehr deutsche Parallelwelt

Bis ich dann vor knapp drei Jahren auf diesen Typen aus dem Ruhrpott traf, den ich mal Lars Gehrke nennen will. Fern der Heimat traf ich auf einem feinen Fest ein paar alte Freunde und deren Bekannte aus Hamburg. Einer fiel mir besonders auf. Ein mittelgroßer, kräftiger Kerl, dem die Sonne aus dem Gesicht schien und der mich mit seiner guten Laune und prollig-lauten Art sofort anzog. Ich habe eine große Schwäche für Typen, deren Street Credibility man gleich riechen kann. Der lachte dreckiger als alle anderen, der strahlte unentwegt, der war zu bunt angezogen und soff mit einer ansteckenden Begeisterung.

Nach vielen Whiskeys stellte sich heraus, dass wir uns eigentlich seit Jahren hätten kennen müssen, weil er der Ehemann einer alten Bekannten war. Wieso waren wir uns nie begegnet? »Weil ich euch aus dem Weg gegangen bin!« Aber wieso? »Weil ich diese ganzen Medientypen nicht leiden kann. Und weil ...«, er stockte, sah sich nach seiner Frau um und rief: »Kann ich es dem erzählen?« Sie reckte den Daumen in die Höhe. Er grunzte zufrieden, goss uns noch einen ein und führte mich dann mit wenigen Anekdoten in eine sehr große, sehr deutsche Parallelwelt: das Universum der Millionen deutschen Kiffer und ihrer fleißigen, redlichen Cannabisanbauer. Denn das war Lars Gehrke: ein Grasproduzent im ganz großen Stil, der mit seinem super Öko-Stoff über eine lange Zeit die Hansestadt glücklich gemacht hatte. Und deswegen war er den Freunden seiner Frau konsequent aus dem Weg gegangen, weil ihn die ganze Lügerei über seine wahre Tätigkeit nervte.

An diesem Abend erzählte er mir freimütig über seine Produzenten-Zeit, denn er war aus undurchsichtigen Gründen aufgeflogen, wahrscheinlich Verrat, und bereits in erster Instanz zu einer absurd hohen Haftstrafe verurteilt worden. Jetzt wartete er auf seine Berufungsverhandlung. Was er erzählte, klang sagenhaft.

Sensible Pflänzchen

Wie er um jeden Preis das beste Gras der Welt hatte herstellen wollen und dafür auf jede Art von Chemie für seine sensiblen Pflänzchen verzichtete. Wie er die brutalen Schädlinge mit ätzendem Brennnessel-Sud vernichtete und alle ganz verrückt wurden nach seinem Hammerzeug. Wie er von seinen stets bekifften Mitarbeitern genervt wurde und der reichen und ahnungslosen Elbchaussee-Verwandtschaft seiner schicken Frau jahrelang vorgaukelte, die absurden Geldmassen als Grafiker eines Baumarktes im Ruhrgebiet zu verdienen, und dass er dort einen grotesk hohen Rabatt bekäme, wie ihm im Suff einmal rausgerutscht war. Folge: Er musste den geizigen Millionären Gartenteiche und Aufsitzrasenmäher für Zehntausende Euro besorgen und so tun, als bekäme er sie viel billiger. Das alleine kostete ihn Unsummen.

Vor allem aber sprach er mit so einer Liebe und Leidenschaft über den Anbau der wertvollen Cannabis-Pflänzchen, dass ich dachte: Der agiert im Grunde wie ein solider deutscher Mittelständler. Ganz so, als würde er eine ordentliche »Cannabis GmbH« führen. Der ist fleißig, ehrgeizig, um das Wohl der Kunden besorgt und lebt rund um die Uhr für seine Firma. Und stellt dabei ein Produkt her, das die meisten seiner Kunden glücklich macht und niemandem wirklich schadet. Wieso, fragte ich mich am nächsten Tag auf dem Rückflug, wird so einer weggesperrt wie ein Schwerverbrecher? Wem nutzt das?

Die anachronistische Drogenpolitik

Dem ersten Treffen folgten viele weitere mit ihm und etlichen anderen aus der Szene, auch als der bis dahin nicht vorbestrafte Familienvater Lars, dessen Geschichte mich zu einer Romanfigur inspirierte, schon in den Knast einfuhr – in der Berufungsverhandlung war das Strafmaß reduziert worden, trotzdem waren es noch mehrere Jahre. Je tiefer ich in die Materie eintauchte, desto anachronistischer wirkte die aktuelle Drogenpolitik auf mich, den Nichtkiffer.
Die geltenden Gesetze haben einen unkontrollierten Schwarzmarkt entstehen lassen, auf dem es keinen Jugend- und keinen Verbraucherschutz gibt – jeder kriegt praktisch alles unter kriminellen Umständen –, doch es wird einfach stur weitergemacht. Jährlich werden allein mehr als 100 000 erwachsene Verbraucher mit Verfahren eingeschüchtert.

Ein Ende der Betonpolitik?

Allerdings hat sich die Lage seit 2014 geändert. In Amerika haben bereits mehr als zwei Dutzend Bundesstaaten Marihuana für medizinische Zwecke erlaubt, eine Handvoll sogar den Genusshanf. Und die Erfahrungen sprechen für sich: Der Konsum scheint nicht zu steigen, der Schwarzmarkt wird deutlich eingeschränkt, die Stoffe sind kontrolliert und sauberer.

Plötzlich mehren sich auch hier die Stimmen von Strafrechtlern, Polizisten und Stadtpolitikern, die nach einem vernünftigeren Umgang mit der – nach Alkohol und Tabak – mit Abstand beliebtesten Droge rufen. Diverse Städte wie Berlin oder Hamburg streben die kontrollierte Abgabe von Cannabis an, die FDP will eine Legalisierung, die Grünen sowieso, selbst aus der CDU gibt es Stimmen, die laut über ein Ende der alten Betonpolitik nachdenken. Das Undenkbare scheint plötzlich denkbar: die Legalisierung.

Davon träumt manchmal wohl auch mein Lars Gehrke, der mittlerweile Freigänger ist. Eine legale Plantage, auf der er legal das tun kann, was er am besten beherrscht: gutes Gras anbauen. Mal sehen, wie lange er noch träumen muss ...

Rainer Schmidt