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John Niven

SPECIAL zu John Niven

JOHN NIVEN

DER ELEFANTENTÖTER

John Niven
© Tibor Bozi
Dienstagabend im schummrigen Backstageraum eines Liveclubs. Es riecht nach Bier, Schweiß und Pisse. In der Ecke steht eine abgewetzte Couch, in einem alten Kühlschrank klirren die Bierflaschen. Wände und Decke sind über und über bedeckt mit Aufklebern und Plakaten zahlloser Bands, die hier bereits auf ihren Auftritt gewartet haben. Für heute steht kein Konzert auf dem Programm. Heute wird gelesen.

John Niven sitzt auf der Couch, trinkt Rotwein und erzählt. Verfluchter schottischer Akzent! Als ich zum ersten Mal etwas verstehe, geht es um eine Szene aus seinem Roman Coma: Die Hauptfigur Gary Irvine nimmt aus Frust über einen misslungenen Ball beim Golfen seinen Schläger in den Mund. Gary beißt so fest in den Schaft, dass sein Schneidezahn splittert, anschließend zertrümmert er wutentbrannt den Schläger. Diese Szene, verrät Niven, ist ihm selbst passiert. Er war damals zehn Jahre alt, und musste anschließend heulend und blutend seinem Vater den kaputten Schläger überbringen. Ein richtiger Schotte spielt nun mal leidenschaftlich Golf. Ehrensache. Wenn eigenes Erleben der Schlüssel zu lebendigem Erzählen ist, dann verwundert es nicht, dass einer wie John Niven zum Rockstar der Underground-Literatur geworden ist. Erst Gitarrist bei The Wishing Stones, dann als A&R Manager einer großen Plattenfirma zuständig für die Entdeckung diverser Next Big Things. Dort lebte er das Leben der Muskindustrie der 90er-Jahre. Die Devise: Möglichst wenig arbeiten, stattdessen Party, Sex und Drogen, auf Kosten eines übergroßen Spesenkontos und der eigenen Gesundheit.

Heute ist er froh, dass diese Zeit vorbei ist, aber sie hat ihn als Schriftsteller aktiviert. In seinen eigenen Worten:
»Nabokov sagte so etwas wie: ›Bevor der Schriftsteller sich in seinen Elfenbeinturm zurückzieht, muss er sich der unvermeidlichen Herausforderung stellen, ein paar Elefanten zu töten.‹ Ich glaube, ich habe sozusagen genug Elefanten umgebracht, um mich für eine Weile bei der Arbeit zu halten.« An Ideen mangelt es ihm nicht. Zuletzt ließ er in Gott bewahre Jesus wiederauferstehen und im Zuge der Weltenrettung an einer Casting Show teilnehmen. Aber, Moment mal, John Niven zitiert Nabokov? Auch wenn man es nicht gleich vermutet, ist er ausgesprochen belesen und gebildet. Als Einziger seines Jahrgangs hat er nach der Schule studiert, Englische Literatur in Glasgow. Dann kam die Zeit in der Musikindustrie, mit der er später in Kill your friends so schön blutig abrechnete. Der Roman wurde ein Überraschungserfolg und machte ihn zum bekanntesten schottischen Kultautor seit Irvine Welsh.

Nivens eigentlicher Erstling aber ist der schmale Roman Music from Big Pink, den er 2006 veröffentlichte und der jetzt erstmals auf Deutsch erscheint. Ihren Titel leiht sich die Geschichte vom ersten Album von The Band. Bob Dylan hatte die Musiker auf einer Welttournee dabei, und nahm zusammen mit ihnen die Basement Tapes auf, bevor The Band mit Music from Big Pink endlich selbst zu Stars wurden. Wie erzählt John Niven die Entstehungsgeschichte dieses legendären Albums?
Natürlich aus nächster Nähe: Dylan und The Band müssen höchst selbst als Charaktere herhalten. Und Niven geht keineswegs zimperlich mit großen Namen um – hey, er hatte Jesus als Hauptfigur, schon vergessen?

Zumindest die Hauptfigur ist in Music from Big Pink fiktional. Greg Kelterer schmeißt die Uni und strandet im Woodstock des Jahres 1968, wo er sein Geld als Drogendealer verdient. Da ist es kein Wunder, dass er sich bald mit den Musikern anfreundet.

Reale Personen und Begebenheiten glaubhaft mit erfundenen zu kombinieren und eine spannende Geschichte daraus zu entwickeln ist eine Herausforderung für jeden Autor. John Niven ist dieses Kunststück gelungen. Music from Big Pink ist eine halbfiktionale Geschichte über Musik, über Freundschaft, Liebe, Drogen, Woodstock, The Band und die Entstehung ihres Albums.

Eine Geschichte, die nicht unbedingt so geschehen ist, die aber genau so geschehen sein könnte.