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 Jürgen Neffe »Darwin«

SPECIAL zu Jürgen Neffe »Darwin«

Eine Reise auf Darwins Spuren

Rezension von Sabine Schmitt

„Reisen wie Leben heißt Bewegung, die Zeit durch sich fließen lassen. Aus Plänen werden Erlebnisse, aus Entscheidungen Erinnerungen. Zwischen Entstehen und Vergehen sind wir alle ständig unterwegs. Aber was treibt uns immer weiter? Was lässt uns Bilder sammeln, die wir doch nur mitnehmen ins Grab? Woher diese Neugier, dieser Erfahrungshunger und Wandertrieb?“
(Jürgen Neffe)

Jürgen Neffe
© Rainer Hofmann
Umfassender und aufwändiger lässt sich ein Lebenswerk wohl kaum rekonstruieren: Die Entscheidung, fast 180 Jahre später dem Kurs der Beagle zu folgen, jenem Schiff, mit dem Charles Darwin fünf Jahre lang die Welt bereiste und wichtige Bausteine für seine revolutionäre Theorie sammelte, fällt Autor Jürgen Neffe spontan vor einer Landkarte im New Yorker Museum für Naturgeschichte. Ebenso wie eine Gruppe aufmerksam lauschender Jugendlicher fesseln ihn die Worte einer älteren Dame, als sie auf die Karte mit Darwins Reiseroute deutet: ‚Hier könnt ihr sehen, wo die Natur zu ihm gesprochen hat.'

Auf Darwins Spuren
Ausgerüstet mit den Tagebüchern und wichtigsten wissenschaftlichen Werken des Naturforschers, allesamt gespeichert auf der Festplatte seines Laptops, reist Neffe als einziger Gast auf dem Containerschiff Alianca Pampas zu den Kapverdischen Inseln, von dort aus zum südamerikanischen Kontinent nach Salvador de Bahia, der ehemaligen Hauptstadt Brasiliens. Weiter geht es mal per Schiff, mal im altersschwachen VW-Bus, auch schon mal hoch zu Ross durch Uruguay, Argentinien, Feuerland, zu den Falklandinseln, in die Antarktis, vorbei an Kap Hoorn, weiter über Süd- und Nordchile zu den Galápagos, der Osterinsel, Tahiti, Neuseeland, Australien, Tasmanien, den Cocos-Inseln, Mauritius, Südafrika, bis schließlich mit dem Besuch der Vulkaninseln St. Helena und Ascension die Reise endet.

Vergangenheit und Gegenwart
Immer wieder zitiert Neffe Passagen aus Darwins Tagebüchern und vergleicht sie mit eigenen Eindrücken und Erlebnissen. Manchmal – wie in der trostlosen Schönheit Patagoniens – kommt es ihm vor, als habe sich die Natur seit Darwins Besuch kaum gewandelt. Ein anderes Mal kommt er nicht darum herum zu bemerken, wie entscheidend der Mensch durch explosionsartige Vermehrung, globales Handeln, intensive Landwirtschaft und Viehzucht das Gesicht der Erde verändert – nicht immer zu seinen Gunsten. Neffe lässt den Leser auf wunderbare Weise mit vollziehen, wie nach und nach Darwins Verständnis von der Entwicklung der Arten wächst und stellt neben der Frage nach dem Ursprung auch jene nach der Zukunft der Menschheit - eine spannende Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart.

„Wir entfernen uns vom Meer und reiten im Landesinnern über endlose Wiesen, wie sie die Pampa prägen: Hinter einem Wassergraben erstreckt sich ein Feld – Soja, so weit das Auge reicht. ‚Das macht hier alles kaputt.' Soja bringt den Landwirten pro Hektar doppelt so viel Profit wie Viehzucht. Die Anbauflächen in Argentinien sind inzwischen größer als ganz Deutschland. Das Saatgut fast ausschließlich genetisch verändert, der Pestizidverbrauch steigt linear mit der Produktion, doch was kümmert das den Weltmarkt? Wachsende Kaufkraft in China, Mehrbedarf an Pflanzenöl in Japan, kleine Verschiebungen im Getriebe der Menschheitsmaschine.“
Eigenwillige Persönlichkeit
Daneben zeichnet der Autor ein umfassendes Bild vom Leben des großen Forschers und seiner eigenwilligen Persönlichkeit. Als rechter Tunichtgut erscheint anfangs der Mann, dessen Evolutionstheorie einmal den christlichen Glauben an die Schöpfungsgeschichte nachhaltig erschüttern wird.

Geboren wird Charles Robert Darwin am 12. Februar 1809 in Shrewsbury, England. Als Sohn eines angesehenen, wohlhabenden Arztes – die Mutter stirbt, als Charles erst acht Jahre alt ist – genießt Darwin die Vorteile einer guten Erziehung. Dem Vater allerdings bereitet er mit seiner Vorliebe fürs Jagen anstatt fürs Lernen ständig Sorgen. Ein Medizinstudium an der Universität Edinburgh schlägt dem jungen Hallodri derart aufs Gemüt, dass er es abbricht (die Narkose war damals unglücklicherweise noch nicht erfunden), das anschließende Jurastudium schmeißt er aus Langeweile hin. Ein erfolgreich absolviertes Examen der Theologie und das vergleichsweise ruhige Dasein als Landpfarrer sollen ihm schließlich helfen, sein Auskommen zu finden.

Aufbruch
Wie aus heiterem Himmel trifft da den erst 22-Jährigen die Einladung von Kapitän Robert FitzRoy, ihm auf dem Marine-Erkundungsschiff HMS Beagle Gesellschaft zu leisten. FitzRoy selbst ist beauftragt, Küstengewässer zu vermessen. So verlässt Darwin im Dezember 1831 auf schwankenden Holzplanken von Plymouth aus England – und wird sofort heftig seekrank. Seine Reise wird genau fünf Jahre und zwei Tage dauern und ihm zu entscheidenden Einsichten für sein späteres Werk verhelfen. Er erlebt so viele Abenteuer, dass er ein Leben lang davon zehrt.

Das gesammelte Material – Bälge, Felle, Präparate, Skelette von allen möglichen Tieren, aber auch Fossilien und Gesteinsproben – reicht aus, um Darwin auf Jahre hinaus zu beschäftigen und seinen Ruf in der Fachwelt zu festigen. Er findet einen großartigen Schatz riesiger vorzeitlicher Fossilien, darunter das schönste bisher entdeckte Riesenfaultier, begegnet den Ureinwohnern vieler exotischer Länder. Ganz nebenbei entdeckt er im Höllenparadies Galápagos die Variabilität von Finkenschnäbeln, stellt nützliche geologische Untersuchungen in den Anden an, und entwickelt eine neue vielbeachtete Theorie für die Entstehung der Korallenatolle, die nicht ganz zufällig besagt, dass diese ringförmigen Gebilde mindestens eine Million Jahre brauchen um heranzuwachsen – einer von vielen Anhaltspunkten, die für ein sehr hohes Alter der erdgeschichtlichen Vorgänge sprechen.

Jürgen Neffe hat all diese Orte besucht und liefert in leserfreundlicher Dosierung die zum Verständnis von Darwins Werk hilfreichen Informationen aus Biologie und Wissenschaftsgeschichte. – Wissenschaftsjournalismus vom Feinsten.

Gotteslästerung
Darwins Lehren haben später viele Gegner auf den Plan gerufen. Kein Wunder, stellte er doch, nachdem Galilei den Menschen bereits aus dem Mittelpunkt des Universums verbannt hatte, auch noch dessen biblische Erschaffung durch den Herrgott in Frage. Diese Form der Häresie hat Darwin selbst, der ursprünglich eine kirchliche Laufbahn hatte einschlagen wollen, zeitlebens körperliche Beschwerden in Form von schmerzhaften Darmkoliken verursacht.

Den körperlichen und seelischen Qualen Darwins mag es zuzuschreiben sein, dass On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life („Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der bevorzugten Rasse im Kampf ums Dasein“) erst im November 1859, also fast dreißig Jahre nach Antritt seiner Reise, erscheint. Die Erstauflage ist noch am selben Tag ausverkauft. Bis heute wurde es fortlaufend neu aufgelegt. Trotz vielfältiger Anfechtungen ist es niemandem je gelungen Darwins Evolutionstheorie zu widerlegen.

Der Autor
Jürgen Neffe, Jahrgang 1956, promovierter Biologe, war zwanzig Jahre lang Journalist – als Redakteur und Autor bei GEO, als Reporter, Kolumnist und Korrespondent (in New York) beim SPIEGEL. Danach kümmerte er sich um den Aufbau des Hauptstadtbüros der Max-Planck-Gesellschaft, dessen Leiter er wurde, und arbeitete im Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Heute lebt er als freier Publizist bei Berlin. Jürgen Neffe hat für sein Werk viele Preise erhalten, unter anderem den renommierten Egon-Erwin-Kisch-Preis. Im Januar 2005 ist seine Biographie über Albert Einstein erschienen.

Sabine Schmitt
Mainz, September 2008

Darwin

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