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Special zu Henryk M. Broder »Vergesst Auschwitz«

Europa auf dem Weg nach Eurabia?

Rezension von Roland Große Holtforth

Er nimmt sie alle aufs Korn: die „Terrorversteher“, die „Leichtmatrosen“ und „Platzwarte“ des Feuilletons und natürlich Politiker jeder Couleur, mit besonderer Hingabe etwa Grünenchefin Claudia Roth. Auch „Salonrevoluzzer, Weltveränderer und Utopisten“ bekommen ihr Fett weg, von der aufstrebenden Spezies der Migrationforscher ganz zu schweigen. All diesen Vertretern einer „aufgeklärten“ Öffentlichkeit wirft Broder vor, gegenüber einem aggressiven Islamismus intellektuell und moralisch zu versagen: durch Erkenntnisverweigerung und durch einen Mangel an Entschlossenheit im Kampf für abendländische Werte, Freiheit und Demokratie.

Moralist und Kämpfer

Broder ist Moralist - und zwar einer, der schreiben kann. Seine rhetorischen Pfeile verfehlen ihr Ziel selten. Und sie werden mit einer Vehemenz abgefeuert, die nur zustande bringt, wer sich seiner Sache sehr sicher ist. Das ist Broder, und obendrein ist er angriffslustig. Er gehört zu den wenigen erfolgreichen deutschen Publizisten, die ihre Überzeugungen eher kämpferisch denn nachdenklich formulieren. Folgerichtig wurde er 2007 mit dem Ludwig-Börne-Preis ausgezeichnet. Dessen Namensgeber wollte, so zitierte Laudator Helmut Markwort Börne, den Deutschen „eine Stange zwischen die Rippen [zu] stoßen“. Wer „Hurra, wir kapitulieren!“ gelesen hat, weiß, wie sich so ein Stoß anfühlt.

Godzilla-Logik

Für Broder ist die Bedrohung unserer Kultur durch Islamisierung real. Und sie wird, so der Autor, immer größer, je länger wir uns weigern, sie wahrzunehmen. Es könne einfach nicht angehen, dass man „auf Geiselentführungen und Enthauptungen ... mit der Forderung nach einem ‚Dialog der Kulturen'“ reagiere. Solche Forderungen seien nicht nur das Ergebnis einer grotesken Realitätsverweigerung, aus ihnen spreche auch schlicht Feigheit. Vorauseilende Kapitulationen an allen Fronten des Alltags seien die Folge, es entstehe eine regelrechte „Godzilla-Logik“: „Man sollte das Monster nicht reizen, seine allzeit ausbruchsbereite Aggressivität nicht auf eine Belastungsprobe stellen.“ Aus Angst davor, Muslimen Anlass für ein mögliches Beleidigtsein zu bieten, verzichte man einfach von vornherein darauf, seine Meinung zu äußern, Karikaturen abzudrucken, „westliche“ Regeln für den deutschen Schulalltag durchzusetzen usw. Die Gesetze des Islams, der sich aus Broders Sicht übrigens nicht so einfach vom „bösen“ Islamismus trennen lässt, bestimmen immer mehr unser Leben – schlicht weil wir, durch physische Gewalt oder ihre Androhung eingeschüchtert, das tun, was das „Monster“ nicht reizt, sondern besänftigt.

Der Klügere gibt nach?
„Hurra, wir kapitulieren!“ ist eine geschickt arrangierte Ansammlung von Beispielen solchen Einknickens. Ob beim Streit um die Mohammed-Karikaturen oder im Hinblick auf den „drohenden“ Besuch des iranischen Präsidenten während der Fußball-WM 2006: Überall geben die Einknicker den Ton an. Zwar sind sie mitunter, etwa im Falle von Wirtschaftsunternehmen oder den Fördertöpfe anpeilenden Migrationsforschern, auch auf der Suche nach monetären Vorteilen. Meistens ist es aber eine Mischung aus Angst und Bequemlichkeit, die das Nachgeben als die beste Wahl erscheinen lässt – in Broders Augen natürlich alles andere als ein Zeichen von Klugheit. Der Tendenz, kulturelle und zivilisatorische Terrains kampflos preiszugeben, gilt sein heiliger Zorn, und in ihr sieht er die Ursache dafür, dass Europa seine Identität verlieren und sich in absehbarer Zeit in ein „Eurabia“ entwickeln könnte.

„Gesindel“?
Was dieses Buch reichlich bietet, sind Provokationen. Selbst wer dem Autor in seiner Grundthese zustimmen möchte, wird mancher Zuspitzung vehement widersprechen, denn ab und zu fällt die gedankliche Präzision Broders rhetorischem Furor zum Opfer. Wenn er etwa äußert, Sarkozy habe die Urheber der öffentlichen Unruhen in den Pariser Vororten zutreffend als „Gesindel“ bezeichnet, möchte er damit im Sinne seiner Argumentation Sarkozys offene Worte als Schlag ins Gesicht der „political correctness“ preisen. Was bei dieser Zuspitzung aber völlig untergeht, sind Sarkozys politische Motive ebenso wie die Tatsache, dass dieser den Begriff nicht als Publizist oder aufgebrachter Besitzer eines brennenden Autors, sondern als Innenminister Frankreichs verwendet hat. In dieser Funktion hätte er von „Straftätern“ oder vielleicht von „Verbrechern“ sprechen können und müssen – ohne dass er dadurch irgendwie eingeknickt wäre.

Buhmann aus Leidenschaft
Dennoch: Es lohnt sich, von Broder provoziert zu werden. Indem er sich als Buhmann multikultureller Konsensrhetorik inszeniert, gibt er sich zwar selbst manche Blöße, eröffnet aber auch den Blick auf offene Flanken bei seinen Gegnern. Und dass es derer – offene Flanken wie Gegner – reichlich gibt, belegt „Hurra, wir kapitulieren!“ eindrucksvoll.

Roland Große Holtforth
(Literaturtest)
Berlin, Dezember 2007

Hurra, wir kapitulieren!

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