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SPECIAL zu Sobo Swobodnik und seinen Plotek-Romanen

Da fliegt die Kuh

Nach Jahrzehnten kehrt Paul Plotek zurück in seine alte Heimat auf die Schwäbische Alb – sein Vater ist gestorben. Man fand ihn tot im Häcksler. Plotek verspricht sich eine fette Erbschaft, aber stattdessen gibt es erst mal allerhand Tote. Zerstückelte Leichen im Dorfteich, eine vermisste Magd und Plotek mittendrin im Schlamassel. Die so harmlos scheinende provinzielle Idylle wird durcheinandergewirbelt, nicht zuletzt, weil Plotek zusammen mit seinem beinamputierten Kumpel Vinzi auf eigene Faust ermittelt.

"Humor als Aphrodisiakum des Überlebens"

Sobo Swobodnik im Interview

Sie sind, wie Ihre Romanfigur Paul Plotek, auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Was bedeutet Ihnen Ihre Heimat, bzw. wie hat sie Ihr Leben geprägt?
Sobo Swobodnik: Heimat ist da, wo man sich aufhängt, behauptet Plotek im Buch. Nun, soweit würde ich vielleicht nicht gehen. Heimat ist da, wo man verstanden wird, entgegnet Vinzi, ebenfalls im Buch. Und wenn man nirgends verstanden wird? fragt Plotek zurück. Pech, sage ich. Bis zum zwanzigsten Lebensjahr habe ich in der schwäbischen Provinz gelebt; natürlich hat mich diese stark geprägt, also: Spätzle, Schupfnudeln, Schaffa schaffa Häusle baua ... Ist es nicht so, dass man die Vergangenheit ein Leben lang mit sich herumschleppt, wie eine unglückliche
Jugendliebe, eine peinliche Kindheitserinnerung? Oder beides.

Und wie kommt es, dass Sie nun, im fünften Band der erfolgreichen Krimiserie, Ihren Helden an seinen Geburtsort zurückversetzen und dort ermitteln lassen?
Sobo Swobodnik: Warum soll es den Romanfiguren anders ergehen? Es ist nur logisch, dass auch mein Held gezwungen ist, sich irgendwann mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Spätestens dann, wenn der Tod im Häcksler hockt.

Ploteks Vater wird tot im Häcksler gefunden, das ist ja an sich nicht witzig, sondern ein tragischer Todesfall, aber als Leser fängt man schon an zu kichern. Und dann rutscht Plotek beim Tragen des Sargs aus und mit diesem ins Grab, woraufhin der Sarg aufspringt und neben Ploteks Vater ein nacktes Baby entdeckt wird, ebenfalls tot ... Auch das ist tragisch, aber man lacht sich schlapp. Wie schaffen Sie das, den Abgründen des Lebens diese saukomische Note zu geben?
Sobo Swobodnik: Mit dem nötigen Ernst, Beobachtung und dem eigenen bescheidenen Erfahrungshintergrund. Das mit dem Sarg ist mir tatsächlich selbst beinahe, aufgrund von beerdigungsuntauglichem Schuhwerk, passiert. Im Übrigen scheint es nichts Komischeres zu geben als das Unglück. Das Unglück der anderen natürlich. Andererseits wird im Angesicht des Todes alles andere lächerlich; also auch ein aus dem Sarg gefallenes blaues Baby mit abstehenden Ohren. Humor als Gleitmittel, als Aphrodisiakum des Überlebens.

Ihr Held Paul Plotek wird geliebt und gepriesen, weil er cool und melancholisch zugleich ist – was ja für jeden Privatdetektiv seit Philip Marlowe eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Was macht das ganz Besondere dieser Figur aus?
Sobo Swobodnik: Plotek ist Nihilist, Melancholiker, Hypochonder und schwerer Trinker zugleich. Er geht dem Verbrechen in der Regel aus dem Weg wie ein rotwangiger Piusbruder einem Homosexuellen. Im Prinzip will Plotek nur in Ruhe sein Weißbier trinken, ein bisschen in den Schaum hineingrübeln und die hektische Welt mit ihrer Betriebsamkeit hinter sich lassen. Auf der einen Seite irgendwie verständlich. Auf der anderen: Wer kennt das nicht? Das Leben und die Welt denken darüber allerdings ganz anders. Und treiben ihn vor sich her, als wäre er der Homosexuelle und vor der Piusbruderschaft auf der Flucht. Für einen dicken, schwerfällig wirkenden und auch introvertierten Menschen nicht gerade angenehm. So dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als sich den neuen, auch ungewöhnlichen Situationen zu stellen, nach dem Motto: Du hast keine Chance, nutze sie! Plotek ist einer der in dieser Yes we can suggerierenden, dynamischen Alles-ist-Möglich-Macherwelt, in der jeder immer und allzeit aktiv sein muss, das Leben nicht in die Hand nimmt; es widerfährt ihm. Dabei hat er eigentlich all das, was im Prinzip jeder hat; nur von allem ein bisschen mehr.

Welche Rolle spielt Ploteks Kumpel Vinzi? Braucht auch Sherlock Plotek seinen Watson?
Sobo Swobodnik: Vinzi, ein vom Leben hart (im wahrsten Sinne des Wortes) Gezeichneter und legendenumwaberter Krüppel (so bezeichnet er sich selbst), beinamputiert, kiffend und im Rollstuhl sitzend, hält den etwas lethargisch anmutenden Plotek auf Trab. Vinzi, der Sidekick Ploteks, quasi der Manuel Andrack des Harald Schmidt. Jeder für sich verloren: zusammen unschlagbar. In der bösen Welt ist es ratsam, einen guten Freund zu haben; wenn der auch noch trinkfest ist, von Liebe und Leben allerhand versteht und einen abgründigen Humor besitzt, umso besser.

Erklären Sie bitte mal, was es mit Kuhdoo, Voodoo mit der Kuh, auf sich hat.
Sobo Swobodnik: In Zeiten, in der das Gesundheitssystem aus dem letzten Loch pfeift, werden die Menschen nicht nur erfinderisch, sondern auch empfänglich für Übersinnliches. Im Roman ist es eine alte, zahnlose Frau, gleichzeitig die Haushälterin Vinzis, die sich darauf spezialisiert hat, die Exkremente ihrer Holstein-Friesischen Kuh mit Zahnstochern, einem Voodoo-Zauber gleich, zu bearbeiten, um aus dem Kuhfladen quasi nicht nur die Zukunft, sondern allerhand Wissenswertes zu lesen. Der Kuhfladen gibt Auskunft in Gesundheitsfragen, Reproduktionsanliegen, Berufsaussichten, Liebesdingen. Warum zum Arzt wegen einer Angina Pectoris in die Kreisstadt fahren, wenn die Diagnose tellergroß hinterm Haus auf der
Wiese liegt? Und: ganz ohne Praxisgebühr.

Im Zuge seiner Ermittlungen muss Plotek feststellen, dass sich das Dorfleben sehr verändert hat. Die ländlich-verschlafene Idylle seiner Kindheit ist ein Trugbild, die Dörfler leben nicht mehr ärmlich, aber friedlich von Viehzucht und Ackerbau, sondern haben längst neue Erwerbsquellen entdeckt, u.a. mehr oder weniger dubiose Deals im Internet. War früher alles besser? Ist inzwischen sogar die heile Welt auf dem Land korrumpiert und versaut?
Sobo Swobodnik: Die Welt war nie heil, aber immer schon versaut; davon war und bleibt das Land ebenso wenig verschont. Früher war mitnichten alles besser, aber einfacher. In dieser globalisierten Welt, in der bis in das letzte Dorf hinein youporn frei Haus und als Flatrate geliefert wird, bleibt dem Bauern gar nichts anderes mehr übrig, als seine Frau bei RTL zu suchen. Nur ein Beispiel: Die größte Holzdildo-Produktion in Deutschland ist nicht in einer schäbigen Baracke in Berlin-Kreuzberg untergebracht, sondern ein alteingesessenes Familienunternehmen im Odenwald. Die handgearbeiteten Fichtenholz-Dildos (ein Renner!) werden im Familienbetrieb hergestellt und mit großem Erfolg über ebay in die ganze Welt hinaus verdealt.

Plotek ist dem Leser als Münchner Original bekannt. Der Zufall führt ihn aber immer weiter weg von seiner Stammkneipe in Neuhausen: aufs Münchner Oktoberfest, nach Altötting, an die tschechische Grenze, nach Hamburg – und jetzt in die Schwäbische Alb. Wollen Sie damit absichtlich das Konzept des Regionalkrimis auf den Kopf stellen, der seine Stärke und Anziehungskraft gerade aus der immer gleichen und vertrauten Schilderung regionaltypischer Eigenheiten bezieht?
Sobo Swobodnik: Ich halte das Regionale für überbewertet und glaube im Übrigen, dass es ein von entwurzelten Großstädtern erfundener Mythos ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Provinz mittlerweile nicht mehr topographisch festzuzurren ist, sondern in den Köpfen mit sich herumgetragen wird. Meine Nachbarn in einem Berliner Mietshaus kommen aus der Pfalz, dem Rheinland, aus Oberbayern, Sachsen, Baden  ... Wenn ich durch den Hausflur gehe, riecht es nach Saumagen, Gaisburger Marsch, Hoorische und Spreewälder Gurkensülze. Soll heißen, das Regionale ist in Plotek verankert und zwar so tief und fest, dass er es bei jedem Schritt spürt wie seine erweiterte Prostata. Plotek hat so viele Eigenheiten, dass es ihm ganz gut tut, immer wieder mit anderen und neuen Milieus konfrontiert zu werden. Die Konstante ist Plotek, die Variable die Umgebung.

Haben Sie für dieses Buch in Ihrer Heimat nochmals recherchiert? Haben einige der Charaktere im Buch lebende Vorbilder – oder anders gefragt: Müssen Sie, wie Ihr Held Plotek, auch 20 Jahre mit dem nächsten Besuch in der Heimat warten, falls sich jemand wiedererkennt ...
Sobo Swobodnik: Ich finde die Ansicht der filmenden Coen-Brüder, die sagen: „Recherche finden wir Scheiße!“ ganz sympathisch. Aber im Ernst: Vor geraumer Zeit bin ich tatsächlich sechs Wochen lang im Winter in einem Wohnmobil lebend und arbeitend über die Alb gefahren. Im Übrigen finde ich, dass es auf der Schwäbischen Alb nicht anders ist als woanders – nur mit Kehrwoche, Maultaschen und kälter. Soll heißen: Die Alb ist überall. Und dennoch: Alles ist erfunden. Alles Fiktion! Na ja, es könnte natürlich genauso gut auch alles real sein.