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Special zu Simon Winchester »Der Atlantik«

Simon Winchester im Gespräch

Eine „Biographie“ über ein so großes Thema wie den Atlantischen Ozean zu verfassen, ist ein gewagtes Unternehmen. Was hat Sie dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben? Und wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Eines Tages, als ich den „großen Teich“ zum was weiß ich wievielten Mal überquerte, ging mir auf, dass wir dieses Gewässer für selbstverständlich nehmen. Ich erinnerte mich zurück an meine erste Atlantiküberquerung 1963 mit dem Schiff und an meine damalige Begeisterung für den Atlantik. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass es äußerst interessant sein könnte, die Rolle, die der Atlantik in der Geschichte der Menschheit gespielt hat, genauer anzuschauen. Ich verbrachte achtzehn Monate damit, herumzureisen, besuchte die Färöer Inseln und Island im Norden, Tristan da Cunha und Patagonien im Süden. Am Buch selbst habe ich acht Monate geschrieben.

Was war das Ungewöhnlichste oder Faszinierendste, das Ihnen während der Recherchen und des Schreibens begegnet ist?

Mich fasziniert zum Beispiel der Gedanke, dass Israel aufgrund eines Mangels an Kordit in den Munitionslagern der Royal Navy während des Atlantikkriegs 1916 entstanden ist. Ein weißrussischer Biologe, Chaim Weizmann, damals Professor an der University of Manchester, löste das Kordit-Problem, und als die Britische Regierung ihm diese Erfindung, die für die Wende im Atlantikkrieg gesorgt hatte, honorieren wollte, zeigte Weizmann sich bescheiden – er forderte Arthur Balfour nur zu seiner berühmten Deklaration von 1917 auf, was letztendlich zur Gründung Israels führte.

Warum ist der Atlantik für die Entwicklung der westlichen Zivilisation so von Bedeutung? Gibt es Dinge, die wir über den Atlantik wissen sollten, aber kaum bekannt sind?

Die erste wirkliche, parlamentarische Demokratie wurde im 10. Jahrhundert mitten im Atlantik auf Island begründet – und das Modell verbreitete sich schnell in ganz Nordeuropa. Dem folgte ein ähnlich organisiertes Netz aus Händlern und Handelsrouten, die sogenannte „Hanse“. Nur wenige wissen, dass zwei wesentliche Aspekte unserer modernen menschlichen Zivilisation – unsere Regierungsform und der Handel – auf Prinzipien zurückgeführt werden können, deren Grundstein am Ufer des Atlantiks gelegt wurde.

Sie sind selbst Segler. Haben Sie schon einmal den Atlantik besegelt?

Ich habe den kompletten Indischen Ozean durchfahren; und ich bin ein wenig mit einem kleinen, stählernen (30 Foot) Gaffelschoner im Südatlantik herumgesegelt. Doch während ich kaum größere Probleme zwischen den Küsten Indiens und Südafrikas hatte, änderte sich alles, als ich in den Atlantik einfuhr: Die See wurde sehr rau und – was bei einem Stahlschiff ein besonderes Problem ist – sehr kalt. Also gab ich meinen Atlantik-Versuch auf. Das hat meinen Respekt vor dem Atlantik noch größer gemacht, und vor den Seemännern, die tapfer und entschlossen genug waren, ihn zu befahren. (Da sich inzwischen 16jährige allein auf die Fahrt machen, sollte ich zu meiner Verteidigung noch hinzufügen, dass ich ohne Funk und Radar und nur mithilfe eines Sextanten gesegelt bin. GPS und Internet machen die Seefahrt heutzutage zu einem weniger gewagten Unternehmen. Aber die Tatsache, dass ich es nicht geschafft habe, stört mich schon noch. Ein bisschen.)

Was unterscheidet die großen Kreuzfahrtschiffe der Gegenwart von ihren Vorgängern – der Queen Mary oder der Titanic? Geht uns etwas Wichtiges ab, wenn wir den Atlantik nur „ganz modern“ erleben können?

Ich verabscheue unsere riesigen Kreuzfahrtschiffe, gigantische Las-Vegas-ähnliche Monster, vollgestopft mit speziell entwickeltem Unterhaltungsprogramm, das – wie es scheint – einzig dazu dient, den Passagier vom Ozean, den er überquert, abzulenken (und – natürlich – dem Schiffsbesitzer Geld in die Taschen zu spülen). Wenn man auf See fährt, dann macht man das meiner Meinung nach, um das Meer zu erleben – aber wenn man sich in diesen riesigen Unterhaltungsmaschinerien befindet, die sich kaum im Spiel der Wellen bewegen, dann wäre es doch besser, gleich ganz daheim zu bleiben und so weniger Treibstoff zu verbrauchen und die Umwelt weniger zu verschmutzen, oder?

Ist es im 21. Jahrhundert überhaupt noch möglich, diesem wunderbaren Wunder der Natur, dem Atlantik, mit Staunen und Respekt zu begegnen? Was müssen wir tun, damit uns das wieder gelingt?

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass – wenn auch nur ein paar wenige, besondere – Menschen mein Buch lesen und beginnen, auf eine neue Art und Weise über diesen Ozean nachzudenken. Dass sie dann vielleicht zu seinen Ufern gehen, ihn betrachten und sich seiner Wunder bewusst werden. Und dass sie dann – das ist das Allerwichtigste – ihren Kindern erklären, dass diese Wassermassen – wie alle Ozeane auf diesem Planeten – etwas Seltenes und Wertvolles sind, das unsere Pflege und unseren Respekt verdient. Mir ist klar, dass das Luftschlösser sind, aber mit dem Schreiben des Buches ist in mir eine tiefe und innige Verbindung zum Atlantischen Ozean gewachsen – und ich möchte, dass andere Menschen ihn mit den gleichen Augen sehen können.

Was unterscheidet den Atlantik von den anderen Ozeanen? Was macht ihn so besonders?

Der Atlantik ist nicht der größte Ozean und er ist auch nicht der schönste, er ist nicht der freundlichste – aber mit ihm ist die größte Zahl wichtiger Ereignisse in der Geschichte der Menschheit verbunden. Und so wie sicherlich niemand bestreiten wird, dass das Mittelmeer einst der Binnensee der Antike war, ist der Atlantik mit seiner Fülle an Ideen, Ereignissen, Erfindungen und Entwicklungen zum Binnensee der modernen Zivilisation geworden. Kein Ozean hätte diesen Titel eher verdient – und deshalb erhebt der Atlantik seinen Kopf über all seine größeren, schöneren und freundlicheren Meeresbrüder.