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Sharon Bolton - Bluternte

SPECIAL zu Sharon Bolton

Interview mit Sharon J. Bolton

Sharon Bolton
© Christopher Schmid
„Bluternte“ ist wirklich hochspannend – und ziemlich unheimlich. Lange ist nicht klar, ob es hier um ein Verbrechen geht oder ob es spukt. Glauben Sie eigentlich an übernatürliche Phänomene?
Die Idee für „Bluternte“ entsprang meiner schon sehr lange anhaltenden Begeisterung für übernatürliche Thriller. Ich liebe dieses Dunkle, Unheimliche an den Geschichten, dieses Vorantreiben und Aufbauen der Spannung, und wie die Figuren langsam spüren, dass sich die Welt, die sie zu kennen glaubten, verändert. Ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass es nichts Besseres als eine gute Mysterygeschichte gibt – und ich wollte immer eine schreiben. In Krimis ist alles sehr klar, und man geht davon aus, dass letztendlich alles auf eine rationale Art und Weise erklärbar ist. In „Bluternte“ habe ich versucht, einen Mysterythriller zu schreiben – scheinbar. Doch der Thriller verändert sich plötzlich in eine Geschichte, die vom Bösen in uns Menschen erzählt.

Was inspiriert Sie zu Ihren Geschichten? Woher bekommen Sie Ihre Ideen?
Die Inspiration finde ich überall: in Büchern, die ich lese, wenn ich fernsehe, oder in Gesprächen, die ich im Vorbeigehen auf dem Schulhof aufschnappe. Irgendjemand tut etwas, das außergewöhnlich scheint, nicht alltäglich ist, oder jemand sieht anders aus – solche Dinge springen mich an. Oft muss ich diese Ideen, Anstöße aufheben, sammeln, bis ich plötzlich eine Verbindung zwischen ihnen sehe. Und damit beginnt dann auch eine neue Geschichte.

Entwickeln Sie den Plot bereits vor dem Schreiben, oder entsteht die Geschichte während der Arbeit?
Ich arbeite die Geschichte gerne komplett und so detailliert wie möglich aus, bevor ich anfange zu schreiben. Ich weiß gerne vorher, was in den einzelnen Kapiteln passieren wird und wie die Figuren sich vom Anfang bis zum Höhepunkt der Story entwickeln sollen. Bei meinem jüngsten Buch hat diese Arbeitsweise nicht funktioniert, und ich habe es Kapitel für Kapitel entwickelt. Ziemlich nervenaufreibend für mich!

Wie bereits in „Todesopfer“ spielen auch in „Bluternte“ sehr alte Rituale und Mythen eine wichtige Rolle. Was fasziniert Sie daran besonders?
Nun, ich denke, wir sind alle fasziniert von der Vergangenheit, besonders auch von Legenden und Sagen, die ja scheinbar nicht wahr sind. Doch wir glauben doch alle gerne, dass da irgendein Fünkchen Wahrheit drinsteckt, dem Ganzen eine wirkliche Begebenheit zugrunde liegt. Die Geschichten über Menschenopfer zum Beispiel erschrecken uns, doch es wurden auf den Shetlands viele Beweise dafür gefunden, dass es diese Menschenopfer wirklich gegeben hat.

Evi, die Hauptfigur in „Bluternte“, ist Psychiaterin und nach einem Unfall gehbehindert. Die junge Tierärztin Clara Benning, Protagonistin aus „Schlangenhaus“, hat ein durch Narben entstelltes Gesicht. Was interessiert Sie an diesen starken Frauenfiguren mit Handicaps?
Ich habe diese beiden Frauen nie miteinander verglichen. Clara ist entstellt, aber gleichzeitig eine starke und sehr aktive junge Frau. Wenn es sein muss, verwandelt sie sich in eine Heldin und meistert tapfer auch einen nicht so guten Tag mit ihrer Disziplin. Die Heldin meines ersten Buchs, Tora Hamilton, ist eine gesunde und aktive junge Frau. Mit Evi wollte ich eine Heldin zeigen, die nicht zurückschlagen oder gar weglaufen kann. Und am Ende von „Bluternte“ kann sich Evi nur mit Witz und ihrem Wissen um die Abgründe der menschlichen Seele retten.

In Ihren Romanen bleibt es oft sehr lange in der Schwebe, welcher der Figuren man als Leser vertrauen kann. Sind Sie selbst ein misstrauischer Mensch?
Als Autorin habe ich ja die Kontrolle über all meine Figuren, und da ist es für mich sehr leicht, sie lange in einem zweifelhaften Licht darzustellen. So bleibt der Leser bis zum Ende im Ungewissen und rätselt, wem zu trauen ist. Im wirklichen Leben ist es nie so einfach, und echte Menschen sind natürlich weitaus komplexer. Manchmal bin ich im echten Leben misstrauisch, aber im Großen und Ganzen bin ich wohl kein misstrauischer Mensch. Mich überrascht und enttäuscht es eher, wenn mich Menschen hintergehen oder schlecht behandeln.

Haben Sie Vorbilder für diese Art von raffinierter Spannung?
Ich werde sehr oft mit anderen Autoren verglichen, und es gibt viele Kollegen, die ich sehr verehre, aber ich könnte Ihnen keinen nennen, der genauso schreibt wie ich. Ich schreibe Geistergeschichten ohne Geister, psychologisch ausgefeilte Thriller mit ziemlich viel Action oder Krimis mit Heldinnen wie Nancy Drew. Wenn sonst noch jemand so schreiben sollte, habe ich bisher noch nichts von ihm gehört.

Bei der Auflösung Ihrer Thriller gelangen zum Teil sehr lang zurückliegende Verbrechen ans Licht. Das Böse taucht immer wieder auf. Ist dies aus Ihrer Sicht so eine Art „Naturgesetz“?
Traurigerweise glaube ich nicht, dass das so ist. Ich meine, wir glauben nur allzu gern, dass es keinen perfekten Mord gibt und der Mörder immer gefasst wird, doch die Realität sieht leider anders aus. Ein guter Freund von mir hat jahrelang als Kommissar bei der Metropolitan Police gearbeitet und erzählte mir von zahlreichen Todesfällen, bei denen er davon ausging, dass das Mord gewesen sei. Er konnte es nur nicht beweisen.

Ihre Romane spielen jeweils in sehr speziellen Landschaften: im Hochmoor, auf den Shetland-Inseln ... Was bedeuten Ihnen solche Orte?
Mich inspiriert die britische Landschaft. Ich finde diese Kombination, bei der das Unheimliche aus einer wunderschönen und lieblichen Landschaft entspringt, sehr reizvoll. Aber mein viertes Buch spielt in London, und diese Stadt gibt atmosphärisch auch sehr viel her, ist sehr dicht.

Bevor Sie Autorin wurden, haben Sie in sehr unterschiedlichen Berufen gearbeitet. Was gefällt Ihnen nun am Schriftstellerdasein besonders gut? Und was weniger?
Das Allerschönste ist, wenn mir meine Leser schreiben, wie gut ihnen ein Buch gefallen hat. Mails aus aller Welt zu bekommen, von Menschen, die man sicher niemals kennenlernen wird, aber die bewegt, amüsiert und bestens von meinen Büchern unterhalten wurden – oder einfach nur ziemlich mitgenommen sind von einer Geschichte, die ich geschrieben habe – all das ist ein wirklich tolles Gefühl, einfach unglaublich! Das Schlimmste für mich ist allerdings, wenn ein neues Buch erscheint und ich nicht weiß, wie es ankommt, wie die Leser und Kritiker reagieren. Die Reaktionen abzuwarten, das fällt mir wirklich schwer. Deutschland ist da zum Beispiel ein wichtiges Land für mich, und wenn „Bluternte“ dort erscheint, werde ich sicher einige Nächte gar nicht gut schlafen.

Sie sind vom ersten Buch an sehr erfolgreich gewesen. Haben Sie das Schreiben systematisch gelernt oder sind Sie ein Naturtalent?
Oh, vielen Dank. Ich habe keine Kurse im Kreativen Schreiben oder etwas Ähnlichem belegt, aber in einem meiner früheren Jobs habe ich auch technische Manuskripte für Broschüren, Pressemitteilungen oder Zeitungsartikel verfasst. So lernte ich, diszipliniert und strukturiert zu schreiben. Außerdem habe ich schon immer viel gelesen, zum Beispiel die Klassiker oder auch Moderne Literatur. Ich liebe Dickens und die Brontë-Schwestern, aber auch Stephen King oder Thomas Harris. Ich glaube, wer viele Bücher von solch herausragenden Schriftstellern liest, auf den färbt auch ein wenig ab. Ich hoffe es wenigstens!

Auf Ihrer Website ist bereits das Nachfolgebuch zu „Bluternte“ angekündigt. Worauf dürfen Ihre Fans hier gespannt sein?
Schriftsteller und Mütter sollten eigentlich keine Lieblinge haben. Aber das Buch Nummer vier [im Original: „Now You See Me“, Anm. d. Red.] liegt mir wirklich sehr am Herzen. Es spielt hauptsächlich in London, aber auch in Cardiff und ist eine moderne Neuinterpretation einer Geschichte, die mich schon lange fasziniert hat – die von Jack the Ripper. In den Hauptrollen treffen sich meine Lieblingsheldin, die ziemlich in Schwierigkeiten steckende Lacey Flint, und der hinreißende verdeckte Ermittler Mark Joesbury. Das Schreiben dieses Buches hat mir von Anfang bis Ende wirklich sehr, sehr große Freude bereitet.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.