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Sechs Fragen an Claudine Nierth

Claudine Nierth
© Burgis Wehry
Um die Demokratie weiterzuentwickeln, fordern Sie mehr Mitbestimmung durch die Bürgerschaft. Ist Deutschland bereit für solche Schritte?
Ja, Deutschland ist mehr als bereit – die Bürgerschaft wartet darauf! Überall wo wir Beteiligungsrechte im Land haben, in den Gemeinden oder auf Länderebene, werden sie eifrig genutzt. Die Menschen wollen sich beteiligen und sie zeigen, sie können es auch. Inzwischen blicken wir auf über 8000 Bürgerbegehren in den Kommunen und auf knapp 400 Volksinitiativen in den Ländern. Alle Initiativen dürfen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Auf Bundesebene fehlen aber solche Möglichkeiten. Warum? Die Menschen dürfen wählen, aber warum nicht auch direkt abstimmen?

Zusammen mit Mehr Demokratie starteten Sie 2020 unter der Schirmherrschaft Wolfgang Schäubles den ersten Bürgerrat für den Bundestag. Sind Bürgerräte, die in der kommen-den Legislaturperiode gesetzlich verankert werden könnten, die besseren Politiker*innen?
Sie sind weder besser noch schlechter, aber sie sind eine Bereicherung für die Politik. Sie sollen die Abgeordneten bei ihrer Arbeit unterstützen indem sie wegweisende Empfehlungen in schwierigen oder grundsätzlichen Fragen ermitteln. Geloste, also zufallsbasierte Bürgerräte können der Politik spiegeln, welche Lösungen mehrheitsfähig in der Gesellschaft sind.

In Zeiten von Corona gehen zahlreiche Menschen gegen die Regierung auf die Straße, teilweise mit gefährlichen Forderungen und Zielen. Stimmt Sie das nicht etwas misstrauisch, was eine stärkere Bürger-Beteiligung angeht?
Die Menschen gehen immer dann auf die Straße, wenn sie sich gerade nicht eingebunden fühlen in die Entscheidungen, die auch sie betreffen. Sind sie jedoch eingebunden, entwickeln sie gemeinsam tragfähige Lösungen für alle, in der Regel gemäßigte, am Gemeinwohl orientierte Entscheidungen. Außerdem müssen sich alle an das Grundgesetz halten, Bürger wie Politiker, das bewahrt uns alle vor „gefährlichen“ Forderungen und Zielen bzw. Entscheidungen.

Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit ein fairer, harmonischer Dialog – auch zwischen Bürger*innen und Politiker*innen – gelingen kann?
Dass beide Seiten zusammenkommen, sich an einen Tisch setzen, einander zuhören und einander verstehen. Keiner sollte glauben, dass er über, aber auch nicht unter dem anderen stünde. Guter Dialog entsteht durch professionelle Moderation. Demokratie lebt vom Vertrauen in sich und die anderen. Doch heute werden das allgegenwärtige Misstrauen sowie Konkurrenz und Missgunst zur Zerreißprobe der Demokratie. Einander nicht zu verstehen und zu meiden ist leichter, als sich in die Augen zu schauen und nach gemeinsamen Wegen zu suchen.

Seit Ihrem Kunststudium und der mehrjährigen Bühnentätigkeit liegt Ihr Schwerpunkt auf der künstlerischen Gestaltung sozialer Prozesse in Unternehmen und Organisationen. Inwiefern können wir in unserem Handeln von der Kunst profitieren?
Kunst liefert uns die höchsten Qualitätsmaßstäbe z.B. im Sinne von Wahrheit, Schönheit und Güte, aber auch in Fragen nach den stimmigen Proportionen oder danach, ob es uns bereichert. Wenn wir uns mal fragen, ob unsere politischen Verhältnisse schön und wahrhaftig sind, zu welchen Antworten kommen wir dann? Oder was müssten wir tun damit unsere Lebensumstände uns mehr bereichern? Stimmen die Proportionen, wenn wir auf unsere Wirtschaft und den Ressourcenabbau in der Natur schauen? Die Kunst ermöglicht uns einen anderen Blick auf die Dinge und unser Handeln. Kunst strebt nach Vollkommenheit ohne je vollkommen zu sein. So ist es auch mit der Demokratie. Sie ist nie fertig. Sie kann sich immer weiterentwickeln und entfalten.

Welche Erfahrungen in Ihrem Leben haben Ihr Verhältnis zur Demokratie besonders gestärkt? Und gab es auch Momente, die Sie daran zweifeln ließen?
Meine stärksten Momente waren immer die, in denen ich vom Gegner gelernt habe, etwas angenommen habe, was meine Position bereichert hat. Zum Beispiel, als ich mit meinen drei Volksinitiativen in Schleswig-Holstein erfolgreich war, weil wir uns mit der Landesregierung auf einen Kompromiss geeinigt haben und inhaltlich Freundschaften schlossen. Wenn beide Seiten etwas erkannten, was die jeweils andere vorher noch nicht gesehen hatte.
Gezweifelt habe ich an der Demokratie noch nie, im Gegenteil, sie überzeugt mich mehr denn je. Aber verzweifelt bin ich schon oft. Immer dann, wenn ich merke, dass jemand Angst vor der Demokratie hat, weil er Angst vor den anderen Menschen hat oder weil er als Politiker*in Angst davor hat, die Entscheidungen der anderen nicht mehr kontrollieren zu können.

Die Demokratie braucht uns!

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