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Saša Stanišićs Dankesrede zum Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen

Sprache Mut Zauberei

Schönen guten Abend, ich freu mich wirklich, dass ich hier jetzt stehe, und man kann angesichts der 15000 Euro wahrscheinlich auch verstehen, warum. Ich bin kein so guter Redenschreiber, ich erzähle lieber Geschichten, also dachte ich, dass ich auch heute hier eine Geschichte erzähle, man hat mir zugesichert, ich hätte dafür mehrere Stunden Zeit. Es geht darin um nichts weniger als um die Wirkungskraft von Literatur.

Die Geschichte beginnt mit dem Roman „Vor dem Fest“ und geht weiter mit der Geschichte „Fallensteller“, in dem nun hier prämierten Erzählungsband. Beide sind angesiedelt in der Nordwestuckermark, in einem winzigen, abgelegenen Nest, namens Fürstenfelde, in dem sich Fuchs und arbeitsloser Automechaniker guten Morgen sagen. Dieses Dorf gibt es auf keiner Landkarte.
Es gab für Fürstenfelde dennoch ein Vorbild, einen Ort namens Fürstenwerder, und recht viele Leute haben sich das Buch über Fürstenfelde gekauft und sind damit im Gepäck nach Fürstenwerder geradelt, um sich dort umzugucken; dort die ausgedachten Figuren, hier die echten Leute.
Die „Literatur-Touristen“ kamen auch bei Ullis Garage vorbei, wollten Fotos machen. Musst du dir mal vorstellen: Pichelst schön in aller Ruhe deine Molle, plötzlich latscht ein Lesezirkel aus Lübeck in die Garage! Ulli hat ihnen Bier verkauft und sie rausgeschmissen, weil, was soll das?
Auch die Heimatstube war beliebt, weil da in dem Buch im Keller irgendwas passiert. Es gibt aber gar keinen Keller unter der Heimatstube. Und Ulli heißt auch nicht Ulli. Aber seit Meerrettich-Micha, der im Buch Meerrettich-Micha heißt, so was kannst du dir nicht ausdenken, uns das erzählt hat, dass also Torsten in dem Buch Ulli heißt, heißt Torsten auch bei uns Ulli. Findet er total bescheuert, haben wir also beibehalten.
Von all dem hat unser Lada sich Notizen gemacht. Ausgerechnet einer wie er, der vor kurzem noch mit Schlagring durch die Gegend gelaufen ist – mit Stift konnte man sich den gar nicht vorstellen. Erst der Jugo, der das Buch über uns gemacht, jetzt Lada, dem der Jugo das Notizbuch geschenkt hat: Mann, Mann, Mann, Fürstenfelde, Literaturmetropole. Mehr Literaten als Nazis, und das jetzt, wo wegen den Flüchtlingen jeder ein bisschen besorgt ist, sogar die SPD, und in Sachsen montags gegen die Reisefreiheit demonstriert wird, wo vor gar nicht so langer Zeit noch für die Reisefreiheit demonstriert wurde.
Und jetzt hat also das, was Lada die ganze Zeit aufgeschrieben hat einen Preis bekommen. Einen Literaturpreis. Wir wussten nicht mal, dass man für Literatur noch andere Preise gewinnen kann als den Nobelpreis und den einen, den der Jugo wegen uns gewonnen hat. Aber es geht! Es gibt richtig Wettkämpfe dafür! Komisch, eigentlich, dass man so was wie Literatur gegeneinander messen kann, aber vielleicht ist es ein bisschen wie beim Eiskunstlaufen: Niemand kann ehrlich erklären, warum die besser war als die andere, es sei denn, die andere ist auf dem Hintern gelandet.

Den Literaturschiedsrichtern hatte insbesondere gefallen, dass Ladas „Sprache in schöner Leichtigkeit schwebt, in Erinnerung an gegenwärtige und vergangene Katastrophen“. Lada hat nicht 100% verstanden, was das heißen soll, aber geil klang es schon, also hat er es den Jungs auf dem Bau vorgelesen und Stunden später hat Meerrettich-Micha verdruckst gefragt, ob damit auch Katastrophen gemeint sind, die noch kommen, ob Lada und seine Literatur also wissen, wann eine Deutschland treffen würde, weil das wollte Meerrettich-Micha nicht, Katastrophen, zumindest in Deutschland nicht, und das soll jetzt nicht so klingen, wie es klingt.
Lada hat sich Michas verdruckste Herumstaksen geduldig angehört, und hat dann natürlich ganz blöde geantwortet: Mit Literatur geht alles. Auch zukünftige Katastrophen. Gerade für Deutschland. Er wollte, dass Micha sich nicht zu sicher fühlt. Erstens. Und zweitens findet Lada - ohne viel im Leben gelesen zu haben - die beste Literatur ist wirklich die, vor der man so ein bisschen Schiss hat. Jetzt gar nicht so Vampire, sondern so ein bisschen eine Literatur, die dich irgendwie so innen, so „hier“, wie sagt man? Zerfurcht? Die dir zeigt, die Welt, die dir vertraut ist, die ist oft gerade nicht eine, der du vertrauen kannst.
Das Literaturpreisgeld betrug 15.000 Euro, das war natürlich der absolute Hammer. So viel verdient Lada sonst in zwei Jahren – also legal, verdient legal. Er hat sich natürlich auch sofort erkundigt, ob man Preisgeld versteuern muss, und die Antwort lautete: nur dann nicht, wenn der Preis fürs Gesamtwerk verliehen wird, also hat Lada gesagt, alles klar, ich schreib halt nie wieder was.

Die Preisverleihung sollte in Aalen stattfinden, erst hat Lada nachgucken müssen, wo das überhaupt lag, dann hat er sich gefreut, weil so weit im Süden war er noch nie gewesen. Mit am geilsten fand er, dass Aalen die Fahrtkosten zahlen würde. Hat er sich also gleich vom Tanken-Lütti eine fette Quittung geben lassen. Wenn schon Fahrtkosten, dann richtig drei Mal die Strecke.
Die Aussicht auf die Zeremonie hat ihm weniger geschmeckt, also hat er die Jungs gefragt, ob sie als Support mitkämen, und die Jungs sind selbstredend mitgekommen. Der stumme Suzi, Johann, Meerrettich-Micha, Zwergen-Nino. Sie luden hundertsechsundneunzig Biere in den Kofferraum für die Fahrt.
Und jetzt sind wir doch sehr aufgeregt, Lada trägt zum ersten Mal in seinem Leben einen Anzug und steht tatsächlich auf dieser Bühne und hat diesen Preis gekriegt, und das ist schon ziemlich absurd, er muss darüber grinsen, aber auch weil er sich freut, und er denkt sich, das sag ich jetzt einfach, also sagt er:
„Schönen guten Abend, ich freu mich wirklich, dass ich hier jetzt stehe, und man kann angesichts der 15000 Euro wahrscheinlich auch verstehen, warum.“ An dem Witz hat er lange gefeilt, und wir glauben ihm das aber auch, wir glauben Lada, dass er sich freut, hier mit Ihnen zu sein.
Er sieht zu seinen Jungs, die sitzen in den hinteren Reihen, jetzt schon höflich angetrunken, es gibt Wein und Häppchen, gedacht zwar für danach, aber wer kann schon kommandieren, was „danach“ für jeden einzelnen von uns ist.
„Ich hab da mal was aufgeschrieben“, sagt Lada und kramt einen Zettel hervor mit zitterndem Handwerkerhändchen. Wenn schon Literaturpreis, dann auch eine Dankesrede, wie so eine echte Sybille Lewitscharoff, nur halt weniger garstig:
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe, fantastische Jury, liebe Isabell Lehn, liebes Aalen, hochgeschätzter Christian Friedrich Daniel Schubart, meine Damen und Herren:

Erst mal finde ich das sehr gut, dass ich den Preis bekomme. Nichts gegen andere Schriftsteller, im Gegenteil: Wäre ich Aalen, würde ich jedem Schriftsteller, der super ist, 15.000 Euro schenken. Viele, die super sind, können von ihren Büchern allein oft gar nicht leben. Ich finde das aber auch deswegen gut, weil Gewinnen einfach gut ist. Ich kenn kaum jemanden, und ich hab rumgefragt bei den Jungs, der sagt: Ich gewinne ungern.
Das kann man jetzt überhaupt ausweiten: Zuhause in Brandenburg gibt es eher wenige Gewinner, da ist Baden-Württemberg ein Traum dagegen. Bei mir im Entrümpler-Milieu – wenige Gewinner. FDP – wenige Gewinner. Die Geflüchteten, die nach Europa kommen – absolut keine Gewinner. Die kriegen erst mal auch keine Preise, wird aber irgendwann, lernen sie erst Deutsch, ist ja keine so schlechte Sprache, schreiben Sie Bücher, erzählen sie uns von ihren ganzen Konflikten, von denen wir hier so tun, als gingen sie uns nix an und als hätten wir nicht selbst hier und da ein Wörtchen zu wenig gesagt und eine Coltanmine in Kongo zu viel in Betrieb genommen, ja, und dann kriegen sie dafür oder für was ganz anderes auch mal nen Preis, ist doch gut.
Der Jugo, der das Buch über uns gemacht hat, der war ja auch so einer, ich find das 1a, wenn es nicht darum geht, woher du kommst, sondern, was du drauf hast.
Aber erst mal wird dein Flüchtlingsheim angezündet, auch das erledigen oft Verlierer oder solche, die sich als Verlierer empfinden, dabei geht es ihnen, den versorgten Bürgern, verglichen mit denen, die in den Unterkünften leben, grandios.
So, und darauf will ich jetzt die ganze Zeit hinaus: Ich schreibe gern über Verlierer. Ich träume gern ein bisschen mit ihnen und für sie auf Papier. Ich gebe Ihnen eine Sprache, für die sie eigentlich Worte schon haben, nur wer hört da schon zu, außer in geskripteten Fernseh-Shows? Die eigenen vier Wände, der Hund, der Nachbar, wenn es lauter wird gegen die Gardine.

Verlorene und Vergessene und Vertriebene und Vertane sind überall, ich versuche ihnen fest in die Augen zu sehen, mit der Frage: Warum ist es so gekommen für dich, wie geht es jetzt weiter, wie erzählen du und ich das? Aber auch Gewinner sind ja genug da, denen man auf die Finger, auf die Sprache, auf das Siegen schauen kann und soll.
Ich mache es den Verlierern gern leicht, lasse sie gewinnen gegen biografische Determinierung und Fremdbestimmung, gegen das Pech, einmal am falschen Ort etwas Falsches gesagt oder getan zu haben. Ich gebe ihnen eine unwahrscheinliche Perspektive, wo eher die nächste wahrscheinliche Wand wartet, und erzähle damit auch von der Perspektivlosigkeit und von den Wänden.
So wie ich, Lada, wie ich jetzt hier stehe, unwahrscheinlich bin. Unmöglich eigentlich. Es sei denn, man glaubt an die Literatur. Dass sie ein bisschen was bewirken kann, in der Wirklichkeit, obwohl es bloß „Buchstaben“ sind.
Und wissen Sie, wer auch an die Wirksamkeit der Literatur geglaubt hat? Ja, der Schubart. Sonst hätte er sich doch damit nicht so abgequält! Im Gefängnis noch! Das muss man sich mal vorstellen: Du wirst wegen einer Sache, gegen die du angeschrieben hast, weggesperrt, und dann schreibst du da in der Dunkelheit deines Verlieses weiter gegen die Sache an, wenn sie dich überhaupt schreiben lassen. Kommst nach langer Zeit wieder raus, und was machst du? Schreibst weiter und schreibst. Und stirbst.
Und jetzt halten Sie sich mal fest, was entdeckt man in Schubarts Sarg? Kratzspuren! Ich wette, der hat einfach tot weitergeschrieben mit den Fingernägeln da rein, weil ihm noch was eingefallen war, was ihm missfällt an irgendeinem Grafen. Wobei die Kratzspuren wahrscheinlich auch bloß Literatur sind.
Schubarts Mut müsste man haben. Und noch vehementer gegen die Grafen unserer Gegenwart anzuschreiben – Abgründe und Katastrophen, Ungerechtigkeiten und Missstände –, die sich in und um uns auftun, in der Sprache und im Leben. Noch heute werden ja unliebsame Stimmen – wie damals Schubart – wegsperrt, in der Türkei sitzen hunderte Journalisten fest, weil sie ihren Beruf ausgeübt haben.
Und auch die Freiheiten muss man sich immer aufs Neue anschauen, die zwar selbstverständlich sein müssten, und doch alles andere als Selbstläufer sind, sondern etwas, das man in Stand halten muss, fördern und auch verteidigen muss, für sich und für andere, jeder mit seinen Mitteln, Literatur mit Spracharbeit, Empathie und Unabhängigkeit im andauernden Machtspiel zwischen Macht und Spiel und Geist.

Liebe Leser und Leserinnen, liebe Jury, liebe Regina Kammerer (das ist meine Verlegerin, die heute wegen einer Wespe nicht hier sein kann), liebe Katja (meine geliebte Frau und Lektorin), lieber Nikolai (das ist mein Sohn), lieber Stanišić, das ist der Jugo, ich hoffe, ich spreche seinen Namen richtig aus: Vielen Dank. Für die Hilfe, für das Vertrauen, dass ausgerechnet ich den Preis bekomme, vielen Dank für diesen Preis.«
Beendet also Lada seine Rede, und wir müssen schon sagen, das war gar nicht mal so schlecht! Ein bisschen pathetisch, aber gut, das muss ja so bei Reden sein, wir hatten ja schon ziemlich Angst, was da jetzt überhaupt kommt. – Vielen Dank.

„Ich les jetzt was“, sagt Lada dann noch, „ich hab was geschrieben. Für Schubart. Dabei wusste ich damals noch gar nicht, dass das für ihn war, wir kannten uns ja noch nicht: Über das öde Land, querfeldein, marschiert durch die Dunkelheit einer, verwegen muss er sein, strauchdiebisch oder verwirrt, sonst ginge er hier nicht unbeirrt, hätte überm Kopf ein Dach, nicht Sterne, miede nicht die Dörfer, ach, jede Laterne, schliche nicht geduckt jenseits unsrer weltlichen Wacht.
Wir ahnen, wer der Fremde ist, wissen bloß nicht, wie ihn nennen. Alchemist, der nie Gold gebraut, Exorzist, der den Teufel getraut, Fabulist, der auf die Wahrheit baut, Idealist, dem’s ideologisch graut, Vampir mit Vorliebe für Knoblauchzehen, ewiger Dichter, dem wir alles gestehen?
Wir wissen, auf so einen bist du nie vorbereitet, mit seinem Gepäck voll Allerlei: Sprache, Mut, Zauberei.“
Saša Stanišić wurde für seinen Band mit Erzählungen „Fallensteller“ mit dem Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen ausgezeichnet. Der Preis ist mit 15.000 € dotiert und wurde ihm am 22. April 2017 überreicht.
http://www.schubart-literaturpreis.de

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