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Günter Ogger »Die Abgestellten«

SPECIAL zu Günter Ogger »Die Abgestellten«

Am Ende ein Anfang

Rezension von Karl Hafner

Günter Ogger beschreibt in "Die Abgestellten" die Veränderungen des Arbeitsmarktes

Im August 2007 fand in Berlin ein Kongress unter dem Motto "9to5. Wir nennen es Arbeit" statt. Die Zeit von neun Uhr morgens bis 17 Uhr am Nachmittag gilt als Kernarbeitszeit der deutschen Angestellten. Auf dem Kongress ging es jedoch nicht um das in Deutschland klassische Modell des Broterwerbs, sondern um Alternativen dazu: um selbstständige, freiberufliche Arbeit. Organisiert wurde diese Konferenz von der Zentralen Intelligenz Agentur, einem Netzwerk von Berliner Medienschaffenden, PR-Leuten und Web-Entwicklern.

Die Zentrale Intelligenz Agentur organisiert ihre Arbeit so, wie es der Wirtschaftsjournalist Günter Ogger als ideal empfindet für die heutige Zeit. In seinem Buch "Die Abgestellten. Ein Nachruf auf den festen Arbeitsplatz" beschreibt er den seiner Meinung nach notwendigen Übergang der deutschen Angestelltenkultur zu flexibleren Arbeitsmodellen, häufig auch jenseits der Festanstellung. Die Zwänge der Globalisierung würden keine andere Wahl lassen. Ogger selbst arbeitet seit vielen Jahren äußerst erfolgreich auf eigene Rechnung und schreibt im Vorwort, das habe er auch nie bereut. Allerdings sei der Schritt in die Selbstständigkeit vor vielen Jahren auch seine eigene Entscheidung gewesen.

Ich-AG und Mini-Job
Mittlerweile haben viele Menschen diese Entscheidungsfreiheit nicht mehr. Sie müssen wohl oder übel auf ein so genanntes unbefristetes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungs-
verhältnis verzichten. Sie halten sich als Ich-AGs über Wasser, nehmen Mini-Jobs an, arbeiten Teilzeit oder werden von Personalagenturen befristet für einzelne Projekte vermittelt. Sichere Stellen wie anno dazumal werde es für die meisten Menschen in Zukunft nicht mehr geben, so Ogger. Den Zusammenbruch der Arbeiterklasse habe Deutschland bereits gut überstanden, weil die staatstragende Schicht noch intakt war: die gut verdienenden Angestellten. Doch jetzt geht es auch ihnen an den Kragen. "Der Niedergang der Arbeiterklasse erscheint harmlos im Vergleich zu dem Drama, das die rund 18 Millionen Angestellten der Nation erfasst hat. Eliminiert, ersetzt oder ausgelagert werden jetzt nicht mehr die Muskeln der deutschen Wirtschaft, sondern ihr Gehirn." Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung habe in einer Studie ermittelt, dass jeder zweite Büroarbeitsplatz akut gefährdet sei.

Outgesourced und abgeschoben
Vor allem zwei Begriffe lassen vielen Menschen mittlerweile das Blut in den Adern gefrieren, machen sie doch die Auswirkungen einer globalisierten Wirtschaft für viele am eigenen Leib spürbar: Offshoring und Outsourcing. Geschäftsbereiche werden ausgelagert, oft in Billigländer, um Kosten und Risiken zu senken. Feste Mitarbeiter werden entlassen, lieber arbeitet man mit Externen, auf Basis von Zeit- oder Projektverträgen. Wenn es mal nicht mehr so gut läuft, wird man das Personal unkompliziert wieder los und kann so schnell Kosten senken. Angestellten zu kündigen sei zu kompliziert, meint Ogger. Nirgendwo würde so viel getrickst, getäuscht und gelogen wie an der Kündigungsfront. Das Arbeitsrecht erschwere betriebsbedingte Kündigungen, Arbeitsgerichte würden im Zweifelsfall für die Arbeitnehmer entscheiden. Reiche Unternehmen könnten es sich leisten, Abfindungen zu zahlen, um ihre Arbeitnehmer zum Verlassen der Firma zu bewegen. Kleinere Unternehmen müssten stattdessen oft genug nach anderen Gründen für eine Entlassung suchen. Da würde dann für Kleinigkeiten abgemahnt, eine Versetzung angedroht oder schlicht und einfach gemobbt.
Günter Ogger
© Christine Strub
Ogger schreibt spürbar angewidert über manches Geschäftsgebaren, über Heuschreckenmentalität und korrupte Manager. An zahlreichen Beispielen aus der jüngsten Geschichte zeigt er Verfehlungen und Missstände auf. Dennoch: "Die Globalisierung ist eine Realität, die sich nicht einfach wegpolemisieren lässt." Der Markt bestimme eben den Arbeitsmarkt. Protektionistische Maßnahmen des Staates, gut gemeinte Analysen von Soziologen und Wohlfahrtsverbänden seien mindestens naiv, wenn nicht kontraproduktiv.

Mitbestimmung oder Mitbeteiligung
Die festen Arbeitsplätze seien in Gefahr, doch die deutschen Angestellten hätten es in der Hand. Sie könnten sich der Fürsorge des Staates überlassen, oder kämpfen - nach dem Motto: Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen -, wobei Ogger, wie er ausführlich darlegt, nicht die Organisation in einer Gewerkschaft meint. Den Gewerkschaften schreibt Ogger eine nicht geringe Mitschuld an der derzeitigen komplizierten Lage zu. Die Gewerkschaften hätten ähnliche Probleme wie die deutschen Unternehmen: "die Probleme reifer, reicher Organisationen, in denen sich Bequemlichkeit, Egoismus und Korruption breitmachten." In den Aufbruchsjahren nach 1968 habe der deutsche Angestellte die Wahl gehabt zwischen Mitbestimmung und Mitbeteiligung. Getrieben von den Gewerkschaften habe er sich für das Falsche entschieden: für die Mitbestimmung. Zwar würden dadurch deren Funktionäre schöne Posten in Aufsichtsräten besetzen, doch verhindere das weder die Selbstbedienung gieriger Manager noch die Massenentlassungen zur Renditesteigerung. Möglicherweise habe die Angestellten damals die Aussicht geschreckt, durch eine Mitbeteiligung auch am unternehmerischen Risiko teilzuhaben. Stattdessen sei für den Angestellten ein "Rundum-Sorglos-Paket" geschnürt worden.

Laut Ogger sind die Deutschen Luxus-Angestellte, die nie begriffen hätten, dass ihr angenehmes Leben der letzten Jahrzehnte im Vergleich zu anderen Nationen die Ausnahme gewesen sei - und eben nicht die Regel. Ogger sieht darin eine anerzogene Mentalität, die immer mehr zum Problem wird: "Der Angestellte führte kein spektakuläres, doch ein zielstrebig nach oben gerichtetes Leben. Obwohl nüchtern bis zur Phantasielosigkeit, war er süchtig nach Anerkennung. Den sozialen Aufstieg hielt er für ein ihm zugeordnetes Naturgesetz - deshalb gab er nicht eher Ruhe, bis er es zur Führungskraft gebracht hatte. Da aber jeder Angestellte führen und keiner dienen wollte, führte er sich schließlich ad absurdum."

Flexibel und selbstständig
Welche Konsequenzen zieht der Niedergang der Festanstellung nach sich? Wohl oder übel werden immer mehr Menschen eigene Ideen entwickeln müssen, um in selbstständiger Arbeit Geld zu verdienen. Die immer weniger existierenden Stellen für Angestellte werden sich die Durchsetzungsfähigsten und Leistungsfähigsten unter den Nagel reißen und nicht mehr hergeben, vorausgesetzt, sie wollen überhaupt ein festes Arbeitsverhältnis. Schlüsselbegriffe wie Eigenverantwortung, Spezialistentum oder Kreativität werden laut Ogger in Zukunft eine größere Rolle spielen. Denn um alle Privilegien müsse jedes Mal aufs Neue gekämpft werden. "Die Arbeitswelt wird also in Zukunft bunter und vielseitiger, aber auch ein wenig gefährlicher sein als heute." Leistung werde für alle - Angestellte, Beamte oder Selbstständige - zum Gradmesser. "Das ist gut für die Starken, schlecht für die anderen."

Ogger beschreibt auf pointierte und provokante Weise, wie sich der deutsche Arbeitsmarkt aus seiner Sicht beinahe zwangsläufig entwickeln wird. Überholten Strukturen länger nachzutrauern, macht für den Autor keinen Sinn. Oggers Buch ist neben der Analyse eines Ist-Zustands zugleich eine Aufforderung, über neue Möglichkeiten der Arbeit nachzudenken.

Karl Hafner
München, September 2007

Die Abgestellten

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