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SPECIAL zu Joe R. Lansdale

DUNKLER GLIBBER MIT HALTUNG

von Sven-Eric Wehmeyer

Es war einmal … Hochtalentierte und gefährlich anarchistische Jungregisseure mischen die amerikanische Filmlandschaft auf, vereinen Pulp, Kunst und Trash zu einer neuen Form subversiven Kinos, das von Freaks und Intellektuellen gleichermaßen gefeiert wird. Vor dem Hintergrund von Kaltem Krieg, Rassismus, Paranoia und Vietnam betreten Persönlichkeiten wie Francis Ford Coppola, George R. Romero, Tobe Hooper oder Wes Craven die Szene. Ihre frühen Filme landen in den siebziger Jahren zunächst in den Drive-In-Kinos, Amerikas Fundgrube für wertvollen Müll. Im Jahr 1988 tritt der damals noch am Anfang seiner Karriere stehende Kultautor Joe R. Lansdale an, der amerikanischen Drive-In-Kultur und ihrer würdigsten Vertreter ein literarisches Denkmal zu setzen, 1989 und 2005 folgen zwei Fortsetzungen. Fade In … Erste Filmrolle


Zumindest der Schatten einer Ahnung hätte über einen fallen können. »Wären sie wie geplant ins Autokino gefahren, dann hätten sie sich das alles erspart. Aber Leonard wollte nun mal ohne Mädchen in kein Autokino. Außerdem hatte er gehört, dass ein Nigger in Night of the Living Dead die Hauptrolle spielte.« So beginnt Joe R. Lansdales Kurzgeschichte Die Nacht, in der sie den Horrorfilm verpassten, furioser Opener der legendären, 1992 im Heyne Verlag erschienenen Extrem-Horror-Anthologie Splatterpunk. Darin bekommen zwei debile Hinterwäldler-Rassisten auf schmerzliche und endgültige Art eingerieben, dass es weitaus Schlimmeres gibt als einen Zombiefilm mit dunkelhäutigem Hauptdarsteller. Über das auf wenigen Seiten so grimmig-gradlinig wie virtuos betriebene Spiel mit dem Verhältnis von realem und Leinwand-Grauen nimmt Lansdale wahren (amerikanischen) Horror in den sozialsatirischen Blick – Rassenwahn, Dummheit, Gewalt, Homophobie.

Doch selbst dieser bösartige, tiefschwarze und kluge Knaller von Kurzerzählung kann nicht auf den pulp-literarischen Wahnsinn vorbereiten, den der außerordentlich produktive Lansdale im selben Jahr (1988) mit dem Roman Drive-In abliefert, einem B-Movie mit Blut und Popcorn, Made in Texas. Hierin lässt er seine Protagonisten sehr wohl ins Autokino fahren, in das gigantische Orbit mit seinen viertausend Parkplätzen und sechs riesigen Leinwänden, zur All-Night-Horror-Show. Es laufen I Dismember Mama, The Evil Dead, (natürlich) Night of the Living Dead, The Toolbox Murders und The Texas Chainsaw Massacre, bis ein grinsender roter Komet auf das Drive-In zurast. Sein Schweif verwandelt die Welt außerhalb des Kinos in tödliche, hin und wieder von Blitzen und grün-schwarzen Tentakeln durchzuckte Schwärze, die im Innern Eingeschlossenen geraten in eine aus Barbarei, religiösem Irrsinn und Kannibalismus bestehende Hölle unter dem Regiment des bizarr-monströsen Popcorn King.

In der Fortsetzung Keins dieser üblichen Sequels erzählt Lansdale seine unerreicht durchgeknallte Exploitation-Apokalypse weiter (»Sie lebten alle im großen Orbit-Drive-In unter einem Loch im Himmel, aus dem Schatten waberten und das gelegentlich wie ein After dunklen, klebrigen Glibber ausschiss«), 2005 erscheint mit Die Bus-Tour der letzte Teil der Drive-In-Trilogie. Bis die Leinwand dunkel wird, rattern unter anderem der weltletzte Highway, Patronen aus Fleisch, Monsterfische, Dschungel voller Dinosaurier, ein Wald aus Filmplakaten und -magazinen, ein mutierter Cowboy mit Fernsehkopf, Rednecks, Motorradgangs, außerirdische Autokino-Götter und Passagen wie »Ihr Gesicht und ihre Hände hatten die Farbe von verpissten Bettlaken. Ihre Knöchel durchbohrten ihre papierene Haut wie vulkanische Eruptionen. Ihre Augen waren mit Popcorn zugestopfte Löcher. Ein Popcorn-Brösel baumelte aus ihrer linken Augenhöhle wie ein Popel aus einem Nasenloch« durch den Projektor. Und das ist längst nicht alles.

Mit der Hardcore-Komplett-Ausgabe von Drive-In liegt die ungeschnittene Gesamtfassung dieser in Double-Feature-rasanten Filmrollen erzählten und schädeldeckensprengend wilden B-Movie-Fantasie nicht nur erstmals auf Deutsch vor; sie ist darüber hinaus derzeit die weltweit einzige greifbare Publikation der Roman-Trilogie. Das – bei allem Verlegerstolz – gehört sich nicht. Drive-In nämlich ist ein monolithischer Klassiker der jüngeren populären Literatur Amerikas; Horror und Science-Fiction und Western und wütende Sozialsatire in einem. Lansdale gelingt trotz Schundfilm- und Genre-Referenzen, trotz seines überdrehten Witzes ein Werk mit Haltung. Denn er kennt den klaren Sieger der Konfrontation zwischen wirklichem und fiktiv-fantastischem Horror sehr genau, und er verabscheut ihn zutiefst.

Übrigens gibt es eine von Avatar Press 2003 als Miniserie gestartete Comicadaption, außerdem war der Special-Effects-Meister Greg Nicotero mal als Regisseur einer Filmversion im Gespräch. Kann man alles machen, aber diese drei Romane, die sind, um es mit Trashfilmforscher Christian Keßler zu sagen, »der wahre Jakob«.

Sven-Eric Wehmeyer

Drive-In

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