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SPECIAL zu Joe R. Lansdale

WIEDER SPÜRE ICH »Die Kälte im Juli«

Joe R. Lansdale, einer der aufregendsten Autoren Amerikas, hat bislang mehr als 40 Romane geschrieben. Ein beeindruckendes Werk, und so ist es uns eine Ehre, mit »Die Kälte im Juli« einen Lansdale-Klassiker vorzulegen, der unter Kennern als eines seiner besten Bücher gilt und 2014 mit Michael C. Hall (Dexter), Don Johnson und Sam Shepard verfilmt wurde. Lauschen wir den Erinnerungen des Meisters …

Zu meiner üblichen Arbeitsroutine gehört ein gelegentlicher mentaler Schubs, der mich darauf hinweist, dass in meinem Unterbewusstsein eine Geschichte lauert und ich mich darauf vorbereiten sollte, ihre Stimme zu hören. Eine kleine Weile später offenbart sich mir dann der Anfang oder der Grundgedanke dieser Geschichte.
Wenn das passiert, wache ich jeden Morgen auf, und die Geschichte wartet ab, bis ich anfange zu arbeiten (was ebenfalls morgens der Fall ist).
Hin und wieder kommt es aber auch ganz anders, und dann erscheint plötzlich ein Roman (oder, was häufiger vorkommt, eine Kurzgeschichte) fix und fertig in meinem Bewusstsein. Das ist ziemlich verblüffend. Als würden sich die Götter zu mir herunterbeugen. »Hier, nimm«, sagen sie. »Heute sind wir dir wohlgesonnen. Du siehst ziemlich gut aus in letzter Zeit. Treibst du Sport?«
Die stärkste dieser Erfahrungen machte ich mit »Die Kälte im Juli«. Ich weiß sogar noch genau den Zeitpunkt, an dem sich die Idee dazu wie ein Nagel in meinen Kopf bohrte.
Ich habe in dieser Zeit eine ganze Reihe von Büchern geschrieben und mich nebenher um die Kinder gekümmert. Während wir unsere Wohnung also immer mehr den Ansprüchen unserer Kinder gemäß einrichteten, fing ich mit »Drive-in« an (Auftakt von Lansdales Kult-Trilogie, die demnächst bei Hardcore erscheinen wird). Ausnahmsweise hatten wir keine Geldsorgen, daher konnten wir uns ein Haus leisten, das unserer wachsenden Familie genug Platz bot.
In den nächsten Wochen sahen wir uns mehrere Objekte an und entdeckten ein schönes Haus direkt am See. Es sah gut aus, und wir waren interessiert. Doch als wir ins Wohnzimmer gingen, sah ich zur Decke auf, und dort befand sich zweifelsfrei ein Einschussloch.
Der Makler behauptete, dass hier keine Schießerei oder gar ein Mord stattgefunden hätte. Wahrscheinlich war die Waffe aus Versehen losgegangen. Mir kamen sofort zwei Gedanken: Entweder hatte jemand in die Decke geschossen, um einem häuslichen Streit die nötige Dramatik zu verleihen, oder es war – wie der Makler schon andeutete – tatsächlich ein gedankenloser Unfall.
Ich weiß nicht, ob es wirklich an dem Einschussloch lag, aber schließlich sagte uns das Haus doch nicht zu, und wir legten die Umzugspläne erst mal auf Eis. In jener Nacht jedoch musste ich ständig an das Einschussloch denken. Dahinter steckte zweifellos eine interessante Geschichte, und wenn ich sie schon nicht erfahren würde, konnte ich sie mir zumindest ausdenken.
Ich ging ins Bett und schlief schnell ein, wachte jedoch mitten in der Nacht auf und wusste – zumindest storytechnisch – ganz genau, wie das Einschussloch dorthin gekommen war.
Um ehrlich zu sein, wusste ich damals nicht, ob es die Mühe wert war, alles aufzuschreiben. Für einen erträumten Roman war das Ganze verdächtig logisch und geradlinig.
Greg Tobin, mein Lektor, flog kurze Zeit später von New Jersey, wo er wohnte, nach Ost-Texas, um mich zu besuchen. Eines Tages, wir saßen gerade beim Mittagessen, meinte meine in Strategie sehr bewanderte Frau: »Joe, erzähl Greg deinen Traum.«
Das tat ich auch.
Er gefiel ihm.
Erst in diesem Augenblick begriff ich, dass es tatsächlich ein Roman werden würde. Ich pflügte wie ein Berserker durch das Buch, und zweieinhalb Monate später war es fertig. Die Filmrechte zu »Die Kälte im Juli« wurden schon bald an den Regisseur John Irvin verkauft. Er behielt sie sieben Jahre lang und schrieb mehrere Drehbuchfassungen. Irgendwann war ich allerdings der Meinung, dass er sich zu weit vom Original entfernte, und wir warfen das Handtuch.
Im Lauf der Jahre wurde das Drehbuch ständig verbessert, und die letzte Fassung war sehr gut. Sie verlängerten die Filmoption. Wir verloren nie die Hoffnung, bis ich eines Tages die Nachricht erhielt, dass es losgehen konnte.
»Die Kälte im Juli« erwachte zum Leben.

Nachwort von Joe R. Lansdale zur Neuausgabe
von »Die Kälte im Juli« (Auszug)
Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz