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SPECIAL zu »Gilliamesque« von Terry Gilliam

Wessen Berufslaufbahn in einem Flying Circus einsetzt, der darf seine Autobiografie auch mit den Worten »Ich hatte immer Angst davor, Acid zu nehmen« beginnen. Denn dieser Mensch hat ohnehin genügend Bilder im Kopf: Bilder, die zu Filmen wurden, und Filme, die zu Ikonen wurden. Und all jenen, die sich irgendwann angewöhnt haben, zu lesen, wird nun auch in atemlosen Worten und – naja, obendrein – atemraubenden Illustrationen die Geschichte eines Dreivierteljahrhunderts Leben in der Wunderkammer des Geistes von Terry Gilliam von Terry Gilliam selbst erzählt. Und wer schon immer ahnte, dass die Dreharbeiten zu Angst und Schrecken in Las Vegas den Wahnsinn des Films überboten, der darf hier in prophetischer Bestätigung lesen, wie Terry Gilliam an Hunter S. Thompson entspannt verzweifelt.

Mein erstes Treffen mit Hunter S. Thompson fand an demselben Ort statt, an dem ich Marlon Brando kennengelernt hatte – im Hotel Chateau Marmont in Los Angeles. Dieses Mal bestand das Empfangskomitee aus Johnny Depp, Benicio Del Toro und mir. Verschiedene Leute, darunter Hunter und unser gemeinsamer Freund Ralph Steadman, lagen mir seit einer Ewigkeit in den Ohren, Hunters Fear and Loathing in Las Vegas zu verfilmen, aber ich hatte bisher immer abgelehnt. Doch dann waren Johnny und Benicio für den Film gecastet worden. Im Jahr zuvor hatte ich Johnny in Cannes kurz kennengelernt. Ich fand ihn umwerfend und wollte unbedingt mit ihm zusammenarbeiten.

Hunter war mal wieder damit beschäftigt, sich selbst zu spielen. Im Grunde tat er ja seit dreißig Jahren nichts anderes. Obwohl die ganze Nummer mit der Zeit langweilig wurde, war er immer noch in der Lage, alles auf den Kopf zu stellen, sodass am Ende etwas ziemlich Großartiges dabei herauskam. Ich weiß noch, dass Ralph gerade sein Gonzo-Artbook herausgebracht hatte, was Hunter mit den Worten kommentierte: »Im Vergleich zu dir war Hitler ein Ehrenmann.« Ich fand das ziemlich lustig. Obwohl man nicht behaupten kann, dass wir sofort dicke Freunde wurden, war das Eis zwischen uns schneller gebrochen als zwischen Hunter und dem ursprünglich vorgesehenen Regisseur Alex Cox.

Alex hatte Hunter zu Hause in Colorado besucht und war buchstäblich vor die Tür gesetzt worden, was ihn letztlich den Job kostete. Darum mussten Tony Grisoni und ich jetzt ein neues Drehbuch schreiben. Ich sagte mir, das Ding ist ein Selbstläufer – »Du musst dich nur an die verdammte Buchvorlage halten.« Fear and Loathing drückte für mich genau das aus, was ich selbst über das Ende des amerikanischen Traums dachte. Besonders gut gefiel mir, dass das Buch die Geschichte meines Heimatlandes in einer Tonlage erzählte, die ungefähr meinem Gefühl entsprach, als ich es damals verlassen hatte. Wir schrieben das Drehbuch in acht Tagen (okay, mit Korrekturen waren es zehn), und obwohl wir auf die Puristen keine Rücksicht nahmen, für die ja ein vergessenes Komma schon ein Sakrileg bedeutet, schien Hunter mit allem einverstanden zu sein.

Unser Besuch in seinem Haus in Aspen verlief zunächst etwas anstrengend. Wie er da so in seinem Segeltuchstuhl saß, kam er mir vor wie ein Hurrikan, der knapp vor der Küste lauert. Glücklicherweise kam ich glimpflich davon, ich blieb am Leben und wurde auch nicht verletzt. Im Gegenteil, Hunter war großartig. Umringt von seinen Bewunderern hielt er dort Hof, weil ständig irgendeine Doku über ihn gedreht wurde. Allerdings merkte man, dass der ganze Rummel, der seinem furchterregenden Ruf geschuldet war, nur eine verzweifelte Strategie war, um sich und andere davon abzulenken, wie lange er schon nichts Bedeutendes mehr zustande gebracht hatte. (Ich glaube, seine Kandidatur für das Amt des Sheriffs war seine letzte Großtat gewesen, aber er war wohl einfach nicht der Typ, der sich zurücklehnte und den Dingen ihren Lauf ließ.)

Am Tag, als wir seinen Gastauftritt in einer Rückblende im Matrix-Club drehen wollten, hätte ich ihn allerdings am liebsten umgebracht. Wir hatten Harry Dean Stanton unter großen Mühen auf dem Richterstuhl postiert – und was machte Hunter? Er bewarf mich mit Brötchen und tat alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und zu beweisen, was für ein Rebell er doch war. Als es endlich Zeit für Hunters großen Auftritt war, wollte er nicht dort sitzen, wo wir ihn positioniert hatten, denn »als Journalist muss man die Dinge immer mit einem gewissen Abstand betrachten«.

Also schlichen wir alle um ihn herum und versuchten, ihn auf seine Position zu bugsieren, bis Laila Nabulsi, Hunters palästinische Exfreundin und eine unserer Produzentinnen, vorschlug, eine gut aussehende Komparsin an den Tisch zu setzen, an dem wir ihn haben wollten. Wenige Sekunden später hockte er neben ihr. Aber als Johnny beim ersten Take an ihm vorbeilief, war Hunter viel zu sehr in das Gespräch mit ihr vertieft, um ihm Beachtung zu schenken. Beim zweiten Take war zwar eine leichte Reaktion zu erkennen, aber beim dritten war er schon wieder mit seinen Gedanken ganz woanders. »Schafft ihn um Himmels willen hier raus«, seufzten wir und gaben auf. Sehen Sie, deshalb arbeite ich ungern mit Material von noch lebenden Autoren.

Terry Gilliam

Gilliamesque

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