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SPECIAL zu »Bevor ich gehe« von Susan Spencer-Wendel und Bret Witter

Das Unvermeidliche mit Würde akzeptieren

Susan Spencer-Wendel im Gespräch mit Cokie Roberts (Journalistin und politische Kommentatorin für ABC News)


Sie sind Journalistin. Hat das Schreiben Ihnen dabei geholfen, mit Ihrer ALS-Erkrankung umzugehen? Wie hat das Schreiben Sie ganz generell geprägt?
Susan Spencer-Wendel: Als Journalistin muss ich die Wahrheit sagen, egal wie unangenehm sie ist. Ich kann nichts erfinden. Das hat mir sehr geholfen, der Realität von ALS ins Auge zu blicken. Tausende von Geschichten, die ich als Zeitungsreporterin geschrieben habe, haben mich darauf vorbereitet. Erstens, weil ich im Laufe meines Berufslebens menschliche Tragödien aller Art kennengelernt habe. Mir ist klar, dass immer wieder auch guten Menschen schlimme Dinge widerfahren. Zweitens weiß ich, wie man Ereignisse zu Geschichten destilliert. Schreiben ist großartig, weil es einen dazu zwingt, ungeordnete Gedanken in geordnete Worte zu fassen.

Als Sie dann schließlich anfingen, dieses Buch zu verfassen, mussten Sie einige körperliche Hürden überwinden. Erzählen Sie doch bitte, wie Sie letztendlich geschrieben haben.
Susan Spencer-Wendel: Bei ALS versagen die kleinsten Muskeln zuerst. Zum Beispiel die in den Fingern. Ich konnte nicht mehr auf einer normalen Tastatur schreiben, weil mir die Fingerkraft fehlte, um die Tasten zu drücken. Also habe ich zuerst auf einem iPad jeden Buchstaben auf einem Touchscreen getippt. Dann begann meine Hand, über den Touchscreen zu schleifen. Genau zu der Zeit habe ich den Buchvertrag abgeschlossen, was eine große Motivation für mich war, zu improvisieren. Ich hatte immer die Notizfunktion auf meinem iPhone genutzt, um schnell etwas aufzuschreiben, Einkaufslisten oder alles, was mir gerade einfiel, auf Reisen zum Beispiel, wenn ich den Laptop nicht herausholen konnte. Ich war immer froh zu wissen, dass das iPhone zur Hand war. So konnte ich immer und überall schreiben. Zum Beispiel wenn ich beim Musikunterricht meiner Kinder auf sie wartete und Ähnliches. Also hielt ich das iPhone in der linken Hand, legte es flach auf meine verkrümmten Finger und tippte mit meinem rechten Daumen. 89.000 Wörter in vier Monaten, einen Buchstaben nach dem anderen. So stark war mein Antrieb. Auf dem Telefon kann ich nur sieben Zeilen gleichzeitig sehen, was genau genommen ein Segen ist, denn so konzentriert man sich auf den Satz, den man vor sich hat. Aktive Verben. Wenige Adjektive. Ich hatte eine Gliederung, ein Rezept für das Buch, ein absolutes Muss für so ein Unterfangen, denke ich. Mein Coautor Bret Witter hat mir dabei sehr geholfen. Er hatte immer das Ganze, das Buch, im Blick, während ich nur auf diesen winzigen Bildschirm schaute. Er erinnerte mich immer wieder daran, wo ich war, wenn ich von meinen Erinnerungen überwältigt wurde.

Sie schreiben darüber, wie man das Leben mit Freude betrachtet. Ist es das, was Ihre Leser aus der Lektüre mitnehmen sollen: dass man auch unter schlimmsten Umständen große Freude empfinden kann?
Susan Spencer-Wendel: Natürlich. Ich versuche, keine weisen Ratschläge zu erteilen, aber ich hoffe, ich werde die Menschen dazu bringen, es so zu sehen. Und ich will, dass sie sich glücklich fühlen.

Ist diese Botschaft insbesondere wichtig für Ihre Kinder?
Susan Spencer-Wendel: Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass sie merken: „Meine Mutter war nicht selbstmitleidig. Also will ich es auch nicht sein.“

Viele Menschen mit der Diagnose ALS würden sich entweder in einer Höhle verkriechen oder von Arzt zu Arzt laufen, um ihr Leben ein kleines bisschen zu verlängern. Warum haben Sie beschlossen, das anders anzugehen?
Susan Spencer-Wendel: Das Problem ist: Eine Höhle hat keine Fenster. Und auch wenn ich an die Türen zahlloser Ärzte klopfte, ich fände nichts hinter diesen Türen. Es gibt keine Heilung. Punkt. Ich bin realistisch: Eine neue Therapie, ein neues Medikament würden für mich zu spät kommen. Ich gebe ja nicht auf, ich akzeptiere nur, das ist ein Unterschied. In meinem Kopf lief eine Kettenreaktion ab, auch wenn ich nicht weiß, was sie auslöste. Wie eine Orchidee, die im Vorgarten vor sich hinkümmert und eines Tages eine Blüte treibt. Die Faktoren waren einfach da. Die Natur selbst war ein entscheidender Faktor für mich. Die Natur ist vollkommen. Fotosynthese, Bestäubung, Empfängnis. Oder die Monarchfalter, die Tausende von Kilometern bis nach Mexiko fliegen, um sich dort zu versammeln. Diese Ameisenart im Regenwald, die fliegen kann, wenn sie von den Baumkronen fällt. Die Gesetze der Physik. Dass Objekte in Bewegung Energie haben. Ich habe nicht den Willen, den Antrieb, also auch nicht die Energie, gegen die wunderbare Natur anzukämpfen. Ein anderer wichtiger Faktor ist mein Mann John. Ich möchte, dass er die Chance auf ein anderes Leben hat und nicht belastet ist mit einer invaliden Ehefrau. Wünsche sind die Ursache allen Leidens, davon bin ich überzeugt. Etwas zu wollen, was man nicht bekommen kann. Das Gegenmittel ist, es nicht zu wollen. Ich versuche mich darin, keine Heilung zu wollen, mich auf den Tod vorzubereiten. Den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Mit Würde in die Nacht hinauszugehen.

Und wie geht es Ihren Kindern dabei, fragen sich die Leute.
Susan Spencer-Wendel: Man darf nicht vergessen, dass es MEINE Kinder sind. Ich weiß, was für sie das Beste ist. Ich weiß, dass sie gut versorgt sein werden. Ich kenne die Liebe, die sie umgibt. Ich weiß, wenn ich das Unvermeidliche würdig akzeptiere, können sie es auch. Ich weiß, dass sie die gleiche Stärke haben wie ich. Daran habe ich keinen Augenblick gezweifelt.

Ihre „therapeutischen“ Reisen waren nicht einfach zu bewerkstelligen. Sie haben in körperlicher Hinsicht einiges auf sich genommen, um an ferne Orte zu gelangen. Waren diese Reisen die teilweise beängstigenden Situationen, in die Sie gerieten, wert?
Susan Spencer-Wendel: Unbedingt. Ich würde auch nicht von beängstigend sprechen. Wir sind ja nicht mit Haien geschwommen. Wenn ich in Wreck Beach oben auf der Treppe erschöpft war, hatte ich keine Angst. Ich war eher besorgt. Ich liebe das Reisen. Also war es ganz selbstverständlich, es zu tun, und überhaupt nicht schwierig. Aber es wäre unmöglich gewesen ohne die Hilfe von John, Nancy und Steph. Wenn die drei im Buch wie Heilige erscheinen, dann, weil sie Heilige sind.