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Rezensionen zu
Das verlorene Paradies

Abdulrazak Gurnah

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Das verlorene Paradies - Abdulrazak Gurnah

Von: laslirose aus Ludwigsburg

27.07.2022

Das verlorene Paradies - Abdulrazak Gurnah‘s 1994 erschienene Roman katapultierte ihn 2021, nach der Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis, auf den Olymp der Top-Schriftsteller. Auch ich bin erst durch den Nobelpreis auf ihn aufmerksam geworden. Der Roman spielt sich in Ostafrika, um die Wende des 19. Jahrhunderts, ab. Wir treffen, inmitten des geschäftigen und bunten Treiben einer multiethnischen Gesellschaft, auf den 12 jährigen naiven und hübschen Yusuf, der als Pfandleihe für die Schulden seines Vater’s in Onkel Aziz Obhut kommt. Zunächst arbeitet er im Laden vom Onkel Aziz, und hilft bei dessen paradiesisch anmutendem Garten. Sein Leben ändert sich abrupt, als Onkel Aziz ihn auf eine lange Handelsreise mitnimmt. Schlagartig endet die unbeschwerte Jugend. Gefahren, Tod und Krankheit begleiten die Karawane und lassen ihn erwachsen werden. Nach seiner Rückkehr verliebt er sich Hals über Kopf, doch eine neue Ära der Kolonialherrschaft läutet eine Zeit des Umbruchs ein, und ändert das bisher gekannte Leben. Dieser „coming-of-age“ Roman ist voller Wärme und Humor. Ich habe dieses geschäftige Treiben, dieses kunterbunte Leben, ständig bildlich vor meinem inneren Auge gehabt. Yusuf habe ich sofort ins Herz geschlossen. Ich habe nur eine Kritik an diesem, sonst wunderbaren, Roman. Mich hat es irritiert, dass durchgehend im Roman.. jeder, egal Mann oder Frau, verheiratet oder ledig, offen und handgreiflich Yusuf nachgestellt hat. Schwer zu glauben, dass etwas was heute so gegen jede Moral, Sitte und Anstand verstoßen würde, damals öffentlich möglich wäre. Nun sagt aber A. Gurnah, dass für ihn die Schönheit des Schreibens daraus resultiere, zu zeigen, wie „es anders sein könnte“. In diesem Sinne ist es wohl dann seine schriftstellerische Freiheit. Alles in allem aber ein warmherziger und absolut lesenswerter Roman.

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Dem 1948 im Sultanat Sansibar geborenen und heute in Canterbury lebenden Abdulrazak Gurnah wurde 2021 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Mir war dieser Autor und sein zehn Romane umfassendes literarisches Werk bis dato kein Begriff, was auch daran liegen könnte, dass sein Werk bisher nur spärlich ins Deutsche übersetzt und zudem jahrelang nicht lieferbar war. „Das verlorene Paradies“, bereits 1994 veröffentlicht und der Roman, der Gurnahs Durchbruch als Schriftsteller zementierte, wurde am 08.12.2021 in der Übersetzung von Inge Leipold und durch ein Glossar erweitert, im @penguin_verlag neu aufgelegt. Vielen lieben Dank an den Verlag und @bloggerportal für das kostenlose Rezensionsexemplar! Der Penguin Verlag ermöglicht es, das Werk des Nobelpreisträgers in deutscher Übersetzung zu erkunden. „Ferne Gestade“ ist bereits im März erschienen und meine nächste Lektüre und im Herbst erscheint Gurnahs jüngster Roman „Nachleben“. „Das verlorene Paradies“ entführt den Leser nach Ostafrika Ende des 19. Jahrhunderts in eine ferne, im Umbruch begriffene Welt. Der zwölfjährige Yusuf wird von seinem Vater als Schuldsklave und Pfand für dessen Schulden in die Obhut eines wohlhabenden, erfolgreichen und allseits respektierten Kaufmanns gegeben. „Onkel Aziz“ nimmt den Jungen von seinem beschaulichen Leben auf dem Land mit in die Stadt, wo er sich zusammen mit dem zu einem Freund werdenden Khalil um den Krämerladen kümmert und bei der Pflege des abgeschirmten paradiesisch anmutenden Gartens des Kaufmanns hilft. Doch Yusufs beinahe unbeschwert anmutende Jugend endet abrupt, als er auf eine Karawanenreise mit ins Landesinnere genommen wird. Die gefährliche Expedition birgt Krankheit, Tod, Gewalt und offenbart das Vordringen der deutschen Kolonialherrschaft und damit das Ende der traditionellen Art des Handels. Der Leser begleitet Yusuf beim Erwachsenwerden in einer Zeit des Übergangs. Das alte, durch subtile Hierarchien und Traditionen geprägte Leben im multiethnischen, multireligiösen und multilingualen Ostafrika, in etwa dem heutigen Tansania, ist durch die beginnende gewaltsame Kolonialisierung durch die Europäer im Niedergang begriffen. Gurnah spannt eine facettenreiche Welt auf, in der afrikanischen Muslime, christliche Missionare und indische Geldverleiher in einem Schmelztopf der Kulturen zusammen leben, aber fernab jeglicher Romantisierung des präkolonialen Lebens zeigt er die Schattenseiten von Leid, Gewalt, Sklavenhandel und Rassismus. Die schwarze Bevölkerung wird von den Arabern und Indern als „Wilde“ bezeichnet, wohingegen die Europäer alle Einheimischen als „unzivilisierte Eingeborene“ betrachten, während sie selber von diesen als hässliche und grausame „Wilde“ betrachtet werden. Wunderbar wird die kulturelle Vielfalt durch die immer wieder in den Text eingestreuten Begriffe und Redewendungen auf Kiswahili, Arabisch oder Hindi untermauert, die im Glossar erklärt werden. Eindrucksvoll wird der Untergang des traditionellen Karawanenhandels im Angesicht der sich ausweitenden Kolonialisierung deutlich. Feinsinnig und lebendig, zuweilen poetisch, immer besonnen und urteilslos beschreibt Gurnah diese komplexe, im endgültigen Wandel begriffene Welt nüchtern und ohne zu beurteilen. Das alte Leben verschwindet, während wir Yusuf beim Erwachsenwerden begleiten. Yusuf, dessen Geschichte an die biblische Josefsgeschichte beziehungsweise die Geschichte des Propheten Yusuf im Koran angelehnt ist, träumt von seinem paradiesischen Garten hinter der Mauer mit dem plätschernden Wasser, den betörenden Blüten und süßen Früchten. Doch seine Sehnsüchte und Träume verlieren sich ebenso wie das alte Leben, wobei ich das Ende des Romans schwer nachzuvollziehen fand. In „Das verlorenen Paradies“ treffen Traumbilder und Sehnsüchte auf die Realität und es wird hinterfragt, was wirklich „Paradies“ ist und was nur Schein. Es geht um innere und äußere Freiheit und Entwurzelung. Der deutsche Titel nimmt dabei viel vorweg, wohingegen das originale „Paradise“ mehr Interpretationsraum lässt. Gurnahs Roman ist Zeitbild und Coming-of-Age-Roman und entführt in eine fremde, ferne Welt!

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Abdulrazak Gurnah ist der Literaturnobelpreisträger 2021, aber sein Roman „das verlorene Paradies“ im englischen Original „paradise“ wurde 1994 veröffentlicht. In deutscher Übersetzung kam es 1998 beim S.Fischer Verlag heraus und wurde 2021 in der Übersetzung von Inge Leipold beim Penguin Verlag neu aufgelegt, wahrscheinlich anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises. Der Proganonist der Geschichte ist der zwölfjährige Yussuf, der zunächst bei seinen Eltern aufwächst und dann von einem reichen arabischen Kaufmann als Schuldsklave für die Schulden seines Vaters mitgenommen wird. Yussuf wird im Geschäft seines Onkels eingesetzt, wo er gemeinsam mit einem anderen jungen Mann, der auf ähnliche Art in den Besitz des Kaufmanns gelang ist, unbezahlt arbeitet. Am Ende des Romans ist Yussuf erwachsen und seine Sicht der Welt hat sich entsprechend verändert. Der Roman spielt in einer bewegten Zeit, zu Beginn des 20ten Jahrhunderts, vor dem ersten Weltkrieg. Die zukünftige Kolonialmacht Deutschland beginnt das Leben im heutigen Tanzania mehr und mehr zu beeinflussen und zu Beginn des ersten Weltkriegs werden unter den Einheimischen Soldaten für die deutsche Armee ausgehoben. Yussuf landet, nachdem er von seinen Eltern weggebracht wurde, in einer bunten, multiethnischen, multi-religiösen Gesellschaft, die für die Leser*innen überraschend und eher unbekannt ist. Der Autor zeichnet das präkoloniale Leben in Sansibar illusionslos. Die arabischen Sklavenhändler sind allgegenwärtig, Gewalt und öffentliche Folter sind an der Tagesordnung. Der Kolonialismus wird nicht als Einbruch in ein Paradies dargestellt sondern als zusätzliche Erschwernis des Lebens. Diese objektive Sicht auf Land und Leute, auf Geschichte, Kultur und Religion ist sehr interessant zu lesen und die Sprache des Autors ist leicht, fließend und mitreissend. Gurnah zeichnet keine psychologischen Profile seiner Figuren, er beurteilt die Geschehnisse auch nicht, er beschreibt sie. Weder Schönheit, noch Brutalität werden ausgespart, die Bilder sind sehr stark, vor allem die Handelskarawanenreise fand ich sehr eindringlich. Es wird hier nicht nur diese Form des Handels mit all ihren Gefahren und Gewinnen beschrieben, es wird auch sehr klar, dass es nicht mehr lange möglich sein wird auf diese Weise Geschäfte zu machen, dass die Strukturen dieser ostafrikanischen Welt dabei sind, sich radikal zu ändern. Zwei große Themen sehe ich in diesem Roman: die innere Freiheit unter widrigen Umständen und das Thema der Entwurzelung, einerseits jener des Protagonisten und andererseits jener des gesamten Kulturkreises. Andere mögen andere Leitmotive finden. Der Roman ist für vieles offen. Sehr überraschend fand ich das Ende der Geschichte. Andererseits ist die psychologische Struktur des Protagonisten wenig vertieft und so kann man auch nicht sagen, ob das Ende nun schlüssig ist oder nicht. Für mich ist es ein plötzlicher Einbruch des Irrationalen, der verblüfft, aber bei näherer Betrachtung auch ein Vorgeschmack auf die Zukunft ist, die Yussuf erwartet.

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Ein Stück afrikanische Geschichte

Von: MarcoL

08.03.2022

Die Geschichte spielt in Ostafrika, Ende des 19. Jahrhunderts. Die Sklaverei ist zwar mehr oder weniger verboten und abgeschafft, doch es gibt auch andere Wege und Mittel, um zu billigen Arbeitskräften zu kommen, welche außer marginaler Kost und dürftigen Unterkünften keinerlei Kosten bescheren. Auch Aziz, ein erfolgreicher und wohlhabender Kaufmann, allseits respektiert, nützt solche Umstände aus, auch wenn er seine Untergebenen gut behandelt. Yusufs Vater lebt im Landesinneren, ist an Aziz hochverschuldet, und so übergibt er ihm seinen zwölfjährigen Sohn an dessen „Onkel“, damit dieser als Arbeitskraft die Schulden abarbeitet. Das ist kein Einzelfall. Dennoch ergeht es Yusuf nicht schlecht, wird von Khalil eingewiesen, oftmals mit grober Hand, aber dennoch entwickelt sich zwischen den beiden so etwas wie eine Freundschaft. Yusuf wird von Aziz gut und begünstigt behandelt, und wird bald mit dessen Karawane auf eine Handelsreise mitgenommen … und die Jahre vergehen … Yusuf wächst heran … und muss leidvoll feststellen, dass sich die Dinge ändern. Die Stämme im Landesinneren sind nicht mehr sehr willig auf den Handel, zum anderen werden sie von der Kolonialisierung der Europäer überrannt, allen voran die Deutschen. Da wird nicht mehr gefragt, sondern einfach genommen – Hab und Gut, Land und Leute. S. 115: „Diese Europäer sind wild entschlossen, und bei ihrem Streit um die Reichtümer der Erde werden sie uns alle zermalmen. Ein Narr, der glaubt, sie seien hier, um irgendwie etwas Gutes zu tun. Sie sind nicht am Handel interessiert, sondern am Land selbst. Und an allem, was darin ist … an uns.“ In einer schönen Sprache, nüchtern und nicht aufzwingend, erzählt der Nobelpreisträger von 2021 anhand von Yusuf, was in jenen Ländern geschah, ohne übertriebene Bilder oder Schnörkel. Manchmal kommen die Zeilen für mich leider etwas zu nüchtern daher, fast ein wenig zu emotionslos, was den Lesefluss ein klein wenig ins Stocken geraten lässt (mein Eindruck). Dennoch finde ich, ist dieser Roman absolut lesenswert und berichtet von einem Stück afrikanischer Geschichte – darum gebe ich gerne eine Leseempfehlung

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In die Kolonialzeit des östlichen Afrikas und einen Blick in das Leben des jungen Yusuf lässt Abdulrazak Gurnah, Nobelpreisträger für Literatur, mit „Das verlorene Paradies“ lebhaft vor unseren Augen auferstehen. Staubig, rechtslos, einsam und doch ist der Junge verzaubert von der Schönheit im Garten und dem Leben an sich und andersherum. Gurnah schenkt einen einfühlsamen Protagonisten inmitten der aufeinandertreffenden Kulturen und hinterlässt Unruhe ob der selbigen im Land.

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„Das verlorene Paradies“ zeigt eine mit Blut, Ungerechtigkeit und entsetzlichen Lebensumständen gefüllte gnadenlose Landschaft, in der ein Kind sich weder sicher noch geborgen fühlen kann. Zeitgleich handelt es sich um einen unglaublich spannenden, komplexen Gesellschafts- und Entwicklungsroman, der sowohl ein vielfältiges Bild der innenpolitischen Umstände in Ostafrika als auch eine wichtige Perspektive auf die Auswirkungen des europäischen Kolonialismus wirft. Die Komplexität der innenpolitischen Wechselwirkungen und die Beziehungen zwischen Sultanen, Kaufmännern und Königen; Häuptlingen, Geistlichen und Immigranten, die in Sansibar aufeinandertreffen, ist faszinierend – und wird auf eine ambivalente Art und Weise ausgeführt, die eine Sammlung der Arten von Feindseligkeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Religionen, Herkunftsorten und Gesellschaften durchleuchtet. Kompositorisch, inhaltlich und stilistisch ist dieser Roman von Abdulrazak Gurnah ein hervorragendes Exemplar der Weltliteratur und vergrößert meinerseits nur das Interesse an weiteren Lektüren des Autors. Den Volltext findest Du auf https://sandrafalke.com.

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Was ich von dem Roman erwartet habe und was ich schlussendlich gelesen habe, sind zwei unterschiedliche Dinge. Wie viele andere Rezensenten bin auch ich der Meinung, dass das Buch durchaus gut geschrieben und leicht zu lesen ist, jedoch ohne Hintergrundwissen über die gesellschaftliche und politische Situation in Ostafrika um 1900 sehr schwer zu verstehen. So wirkt es auf jemanden, der sonst nicht viele Berührungspunkte mit der islamischen und hinduistischen Kultur sowie dem Koran hat, verwirrend und einstweilen auch sehr rau. Wir erleben die Geschichte des Jungen Yusuf, der als Auslöse für die Schulden seiner Eltern an einen Kaufmann gegeben wird und fortan sein Leben dort führen muss. Zu Anfang kann man sich als Leser gut mit Yusuf identifizieren, der entwurzelte Junge tut einem in jeder Hinsicht leid. Nach und nach begleiten wir ihn beim Älter werden, er wird als besonders hübsch beschrieben und einige schreiben ihm sogar heilende Kräfte zu. Um zu lernen nimmt der Kaufmann Yusuf eines Tages mit auf eine lange Reise, eine Karawane die zum Handeln ins Landesinnere fährt. Hier finde ich, geht die Geschichte um Yusuf selbst ein bisschen verloren, man erfährt dagegen viel über die Kultur, die Verhaltensweisen und die Umgebung der Protagonisten. Im Mittelteil des Buches viel es mir auch etwas schwerer, dran zu bleiben. Die vielen fremden Begriffe haben mich immer wieder aus dem Lesefluss geholt und ich habe des Öfteren im Glossar nachschlagen müssen. Das empfand ich jedoch keineswegs als störend, brachte es mich doch dazu, einmal über meinen Tellerrand hinaus zu schauen und mich intensiver mit einer anderen Kultur auseinanderzusetzen. Insgesamt ist das Buch eine gute Möglichkeit, sich einmal mit etwas anderem als der eigenen Kultur auseinanderzusetzen, was heutzutage ja unglaublich wichtig ist. Es kann natürlich abschreckend wirken, denn der Umgang, der in dem Buch gepflegt wird, ist keineswegs liebevoll, sondern viel mehr rau. Aber niemals kriegerisch, zumindest nicht, was die Kaufleute unter sich betrifft. Gegen Ende konnte man sich auch wieder besser in Yusuf hineinversetzen, man erlebt erste sexuelle Entwicklungen mit ihm und ebenso, wie er mehr und mehr zu dem Mann wird, der er am Ende ist. Ich persönlich konnte viel aus dem Buch mitnehmen und finde allein schon wegen der dort beschriebenen Kultur sollte man das Buch gelesen haben. Jedoch hätte ich mir ein ausführliches Vorwort zum besseren Verständnis der Zeit und Kultur gewünscht, das hätte es einfacher gemacht, Zusammenhänge zu erkennen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dieses Buch nicht in vollem Umfang verstanden zu haben, deshalb lege ich jedem ans Herz, sich auch noch einmal ein wenig mit der Kultur und Geschichte Ostafrikas auseinanderzusetzen, einfach auch, um aus dem Buch mehr mitnehmen zu können.

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Im Oktober des vergangen Jahres ließ sich eine bemerkenswerte Beobachtung machen. Kollektives Schweigen und Kopfschütteln, das bis hin zu völliger Ignoranz reichte, nachdem aus Stockholm die Kunde des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers in unsere Gefilde vordrang. Abdulrazak wer? Kein Buch lieferbar, kein bekannter Titel, der im Feuilleton groß besprochen wurde – es konnte sich also nur um einen Fehler des Komitees handeln. Schnell war eine Erklärung bei der Hand – hier habe sich die Jury wohl nur für Zeitgeistiges und Politisch Korrektes entschieden, eher eine politische denn literarische Wahl, die man getrost ignorieren könne. So die selbstsicheren Kommentare, die aus dem Feuilleton zu vernehmen waren. Katharina Herrmann hat das Ganze in ihrem Artikel Die Borniertheit der Bauchnabelfluse sehr eindrücklich herausgearbeitet. Ich hingegen war ganz gespannt ob dieser Verkündung. Ein mir völlig unbekannter Autor mit dem Schwerpunkt auf afrikanischer Geschichte? Welch schöne Abwechslung zu meinem so westlich geprägten Leseverhalten, bei dem mir Titel vom afrikanischen Kontinent eher selten unterkommen. Und nachdem dann im Dezember der erste Titel von Abdulrazak Gurnah in deutscher Übersetzung wieder zugänglich war, machte ich mich an die Lektüre. Eine überkommene Übersetzung Das verlorene Paradies, im englischen Original mit Paradise etwas bündiger gehalten, ist ein Roman von Gurnah aus dem Jahr 1994. Die deutsche Übersetzung von Inge Leipold stammt aus dem Jahr 1996 und wurde für die Neuauflage sorgsam durchgesehen, wie es in der Editorischen Notiz am Ende des Buchs heißt. Auch erklärt der deutsche Verlag hier die bisweilen rassistischen und herabwürdigenden Begriffe noch einmal als Figurenrede. Eine Erklärung, die man vor 26 Jahren noch vergeblich in dem Buch gesucht hätte. Hier lässt sich deutlich eine Entwicklung in Sachen Sensibilisierung ablesen – leider vermisst man diese Entwicklung in der Übersetzung, die sich für mich oftmals schwerfällig und besonders im Streben nach gehobener Ausdrucksweise im Mündlichen unfreiwillig komisch und antiquiert las. So unterhalten sich hier gerne einmal zwei junge Männer, eher Teenager, die Sätze mit „Gleichwohl“ einleiten. Dinge tun hier not oder man scheltet sich. Auch völlig überkommene Begriffe wie etwa der Terminus „Unflat“ anstelle von Schmutz oder Unreinheit ließen mich stutzen. Ohne das englische Original zu kennen, beschlich mich während der Lektüre der Eindruck, dass es hier wohl eine Neuübersetzung mit einem in der afrikanischen und deutschen Begriffswelt firmen Übersetzer oder Übersetzerin gewesen wäre, die not getan hätte, um einen optimalen Zugriff auf den Text zu schaffen. Und auch wenn es dann ein paar Monate mehr gedauert hätte, um eine sorgfältige und auf der Höhe der Zeit stehende Übersetzung in Händen zu halten – ich hätte sie mir gewünscht. Aber ökonomische Überlegungen. öffentliches Interesse und die Rechtesituation dürften ihr Übriges dazu getan haben, dass wir nun eben Leipolds Übersetzung aus dem Jahr 1996 zu lesen bekommen. Aber sei’s drum. Der afrikanische Blick auf unsere koloniale Vergangenheit Es ist ja neben der Form auch der Inhalt, der zählt. Und hier erweist sich Abdulrazak Gurnahs Werk als spannendes Antidot zu unserem historisch-kolonialistischen Blick auf Afrika. Denn Das verlorene Paradies bekommen wir aus der Sicht von Yusuf geschildert, einem jungen Afrikaner muslimischen Glaubens, der in Ostafrika aufwächst. Wir schreiben das Ende des 19. Jahrhunderts und alles geht seinen gemächlichen Gang. Doch als sich Yusufs Vater verschuldet, gibt er seinen Sohn als Pfand in die Hände von Onkel Aziz, einem umtriebigen Händler. Dieser parkt Yusuf im Laden von Khalil, den er bei seiner Arbeit unterstützen soll. Doch schon bald wird Yusuf abermals aus dem neuen Umfeld gerissen, da er zusammen mit Aziz und dessen Kolonne auf eine Handelsreise gehen soll. Der Junge sieht neue Städte, Menschen und Lebensweisen, die ihm seine eigenen engen Grenzen deutlich vor Augen führen. Eine dieser Expeditionen wird dann zum großen Desaster, das Yusuf dann aber auch zum ersten Mal eine Vorahnung auf die große Liebe gibt. Und über allem schwebt die Herrschaft der Europäer, die sich in Yusufs Umgebung immer deutlicher abzeichnet. Die Europäer setzen ihren Machtanspruch blutig durch, bevormunden die lokale Bevölkerung und zeigen Härte. So ist es etwa dem Mechaniker Kalasinga widerfahren, der für einen Europäer einen Generator reparieren sollte und dessen Expertise nicht wirklich zählte, wie er in einem abendlichen Gespräch preisgibt. Stattdessen wurde er vom Hof gejagt und Hunde auf ihn gehetzt. Ein Motiv, das sich im Buch noch öfter wiederholen soll und das vor allem in der Schlusspointe eindrücklich wirkt. Fazit Das verlorene Paradies zeigt dem Feuilleton und uns Leser*innen, dass hier eben kein Autor ausgezeichnet wurde, der biedere und brave politisch korrekte Literatur fabriziert, wie des Öfteren insinuiert. Hier schreibt ein Autor mit eigener Stimme, der uns Afrika aus den Augen seiner eigentlichen Bewohner zeigt, der den Schmelztiegel von Ethnien vielstimmig inszeniert und der eine Welthaltigkeit in die hiesige Literaturszene bringt, die uns allen nur guttun kann. Dieser Abdulrazak Gurnah hat etwas zu sagen – mit diesem Buch vor allem uns Deutschen, deren koloniale Vergangenheit hier immer wieder durchscheint. Und wenn dessen Botschaften in den kommenden Veröffentlichungen noch eine zeitgemäße Sprache in Form von guter Übersetzungsarbeit zupass kommt, dann habe auch ich gar nichts mehr zu mäkeln (oder zu schelten, um in der Begrifflichkeit dieses Buchs zu bleiben).

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