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Rezensionen zu
Vom Frühling und von der Einsamkeit

Gabriele Tergit

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Gabriele Tergit ist eine der großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Bisher habe ich mit viel Freude ihre Lebenserinnerungen gelesen (wobei die nun wirklich wenig Grund zu Freude geben) und den Käsebier. Demnächst werden sicherlich auch die Effingers bei mir einziehen. Bekannt geworden ist sie in jungen Jahren allerdings nicht mit Romanen, sondern mit Gerichtsreportagen. Und das völlig zu Recht, denn jede davon ist eine Inszenierung, eine Erzählung für sich. Ob es nun um den leidigen Paragraphen 218a geht (da hat sich bis vor kurzem so wenig getan, dass die Reportagen mit diesem Thema auch letztes Jahr hätten geschrieben worden sein können), um Kleinstdiebstähle, um Schlägereien, Heiratsschwindel, immer findet die Tergit die richtigen Worte, um den Sachverhalt darzustellen, ihre eigene Meinung schwingt zwischen den Zeilen mit. Gegen den erstarkenden Nationalsozialismus schreibt sie an, benennt Täter, kritisiert Gesinnungsurteile, wundert sich, fragt nach, ordnet ein. 1933 muss sie dann fliehen. Erst 1949 schreibt sie noch einmal über einen Prozess: über das zu milde Urteil für den "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan. Ihre Gerichtsreportagen sind ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft von 1924 - 1933. Sind es zuerst häufig Armutsverbrechen, Diebstähle aus Hunger, kommen immer mehr politische Auseinandersetzungen vor Gericht, Übergriffe nationalsozialistischer Verbände, Kneipenschlägereien mit Toten. Die Texte sind kaum gealtert, wirken auch heute noch frisch und viele Themen sind weiterhin oder wieder aktuell.

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Gabriele Tergit hat mit ihrem Gesellschaftsroman Effingers einen Jahrhundertroman geschrieben, der teilweise mit Buddenbrooks verglichen wird & dessen Neuauflage 2019 sie fast vier Jahrzehnte nach ihrem Tod 1982 wieder deutschlandweit berühmt machte. In der frühen Weimarer Republik war Elise Reifenberg - so Tergits bürgerlicher Name - vor allem als Journalistin sehr erfolgreich & für ihre Gerichtsreportagen, die in der Weltbühne oder dem Berliner Tageblatt erschienen, berühmt. Die interessantesten Reportagen sind im vorliegenden Band Vom Frühling und von der Einsamkeit versammelt. Tergit zeichnet in den Reportagen, die bis auf eine Ausnahme alle zwischen 1924 & 1933 erschienen sind, ein buntes Sittenbild der Zwischenkriegsjahre. Das ist manchmal lustig, wenn missgünstige & zanksüchtige Nachbarinnen sich in Beleidigungen & Meineiden ergehen, mal tragisch, wenn Frauen wegen Abtreibungen (auch damals 218) gnadenlos verfolgt werden. Es treten auf: falsche Adlige, alte Jungfern, Heiratsschwindler, gefallene Mädchen, lustige Dirnen, Kuppler, Totschläger, aber auch Prominente. Etwa der wegen Beleidigung (seines Zahnarztes) angeklagte Alfred Döblin oder rasende Ufa-Schauspielerinnen. Aber auch die düstere politische Situation wirkt sich in den Gerichtssälen mehr & mehr aus. Regelmäßig finden sich Nazis & Kommunisten auf der Anklagebank, wobei Zweitgenannte mit Abstand härter bestraft werden. Gut, dass es engagierte Verteidiger wie Hans Litten gibt. Und der Rechtsstaat stirbt auf Raten, als die Reichsregierung unter Franz v. Papen 1932 Sondergerichte einführt, Verteidigungsrechte eingeschränkt & Rechtsmittel gegen Urteile (Todesurteile!) ausgeschlossen werden. Der lakonische & gleichzeitig ironische Stil der Reportagen hat mir gut gefallen. Tergit hält auch mit ihren Ansichten nicht hinterm Berg, sie schreibt im besten Sinne als engagierte Journalistin. Daher eine entschiedene Empfehlung für diese Reportagensammlung, die eine eindringliche & spannende Lektüre darstellen.

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